Appell zur Versöhnung mit der geschundenen Natur

14.05.2012
Ein Mann erschießt aus einer Laune heraus eines der prächtigsten Geschöpfe der Natur, einen Albatros. In seiner neuen Graphic Novel und Coleridge-Bearbeitung "Die Ballade vom Seemann und Albatros" führt Nick Hayes Lyrik und Zeichnungen zusammen - in einer Kombination aus polemischer Agitation und betörender Schönheit.
Die mehr als 200 Jahre alte Ballade "The Rime of the Ancient Mariner" von Samuel Coleridge ist ein Gründungstext der britischen Romantik, der in der angelsächsischen Kultur immer wieder aufgegriffen wird. Sogar Donald Duck hat es schon mit dem toten Albatros von Coleridge zu tun bekommen, genregemäß als Parodie.

Bei Coleridge bannt ein alter Seemann einen Hochzeitsgast mit einer düsteren Parabel. Ein Albatros habe sein Schiff aus einer Eiswüste herausgeführt, erzählt er, und dennoch habe er den göttlichen Boten mit seiner Armbrust erschossen. Zur Strafe starben alle an Bord, nur der alte Seemann wurde dazu verdammt, die Geschichte seiner Versündigung immer wieder zu erzählen.

Coleridges Hochzeitsgast wird bei Nick Hayes zu einem gestressten Büroangestellten unserer Zeit. Auf einer Parkbank drängt ihm ein alter Seemann eine Geschichte auf: Auf einem Fischkutter habe er einen Albatros erschossen und das Schiff in eine apokalyptische Welt gestürzt: Ein Meer aus Plastikmüll stürmt gegen den Kutter an, eine brennende Bohrinsel treibt auf sie zu, die See ist von Öl und vergifteten Tieren bedeckt. Rachegeister wüten um das Schiff. Die Kutterbesatzung stirbt, nur der alte Seemann erlebt eine mystische Wiedergeburt. In einer stillgestellten Zeit treibt er durch die Tiefe der See, sieht dort die Schönheit der Natur und gesundet schließlich an Land in einem heilenden Eschenhain. Aber er ist verflucht, muss wie Coleridges Seemann durch die Welt wandern und die Menschen zur Umkehr mahnen.

Nick Hayes' Ballade von Umweltfrevel und Naturzerstörung wird im letzten Teil immer didaktischer und eindimensionaler. Gegen diese Verengung arbeitet jedoch von Anfang an seine ornamental wuchernde Bildsprache. Schon die Aufteilung der Blätter variiert frei zwischen ganzseitigen Zeichnungen und immer wieder neu rhythmisierten Folgen kleinerer Bilder. Nick Hayes Zeichenstil ist verblüffend, mit nur drei Farben - einem blassen Blau, Schwarz und Weiß - schafft er holzschnittartige Tableaus von großer Kraft. Die Zeichnungen machen deutliche Anleihen beim Jugendstil. Wie die britischen Arts-and-Crafts-Künstler spielt Hayes hingebungsvoll mit Naturornamenten und antikisierenden Formen. Sein Text zielt sehr deutlich auf die Gegenwart, aber die tief in der Kunstgeschichte verankerten Bilder geben der Graphic Novel einen überzeitlichen Ausdruck. Lyrik und graphisches Erzählen kommen selten zueinander, Nick Hayes führt die Genres in einer sehr originellen Kombination aus polemischer Agitation und betörender Schönheit zusammen.

So naiv Nick Hayes Appell zur Versöhnung mit der geschundenen Natur ausfällt, seinem Buch gibt er keinen versöhnlichen Schluss. Bei Samuel Coleridge wird der Zuhörer des alten Seemans durch die Geschichte verwandelt: "Ein ernst'rer Mann, ein weis'rer Mann / Erhob er sich am Morgen." Bei Nick Hayes geht der Zuhörer achselzuckend davon. Er wirft dem alten Seemann noch ein paar Münzen zu, um ihn dann zu vergessen.

Besprochen von Frank Meyer

Nick Hayes: Die Ballade von Seemann und Albatros
Aus dem Englischen übersetzt von Henning Ahrens
Mare Verlag, Hamburg 2012
352 Seiten, 28 Euro