App "Clue"

Mit einer App den Zyklus verstehen

Eine Frau in Hamburg trägt das Frauenzeichen, den Venusspiegel, als Tattoo auf ihrem Nacken.
Die App-Entwicklerin Ida Tin ist der Meinung, viele Menschen wüssten zu wenig oder Falsches über weibliche Gesundheit. © picture alliance / dpa / Markus Scholz
Von Theresa Sickert · 15.06.2017
Weil sie lange Zeit Angst davor hatte, schwanger zu werden, die Pille aber nicht nehmen wollte, erfand die Dänin Ida Tin selbst eine Lösung für die Verhütungsfrage: eine App, mit der Frauen ihren Zyklus kontrollieren können.
"Was wäre, wenn du sehr genau wissen könntest, wo du in deinem Zyklus bist und du kannst alle diese Daten auf deinem Handy sammeln und du kannst dein Telefon herausnehmen und es wird dir sagen: Ida, du kannst heute nicht schwanger werden und ich müsste mir keine Sorgen mehr machen. So hat alles angefangen."
Das war im Jahr 2009. Ida Tin hatte gerade ein paar Monate nur mit einem Zelt und einem Motorrad in der Wüste verbracht. Auf der Suche nach Sinn und an der Schwelle zur 30. Ihre gesamten Zwanziger hatte die Dänin die Angst begleitet, schwanger zu werden. Die Pille hatte zu viele Nebenwirkungen.
"Und irgendwann dachte ich: Warum ist das so schwierig? Ich fragte mich, warum es so wenig Innovation gegeben hatte, seit die Pille in den fünfziger Jahren herauskam, das ist 70 Jahre her - eine Ewigkeit in der Geschichte der Technik."

Menstruation aus der Tabuzone holen

Also nimmt Ida Tin die Sache selber in die Hand. Sie hat nichts geringeres vor als die Verhütung zu revolutionieren. 2012 startet sie mit ihrer App Clue. Mit ihr können Frauen ihren Zyklus kontrollieren. Hier tragen sie Daten ein wie: Wann kam die Blutung, gab es Schmerzen, welche, wie war die Körpertemperatur, das Wohlbefinden, der Schlaf und wie der Ausfluss aus der Scheide. Insgesamt gibt es 28 Tracking-Kategorien. Die Daten geben Aufschluss darüber, wann die fruchtbaren Tage einer Frau sind - und über den eigenen Körper. Eine wichtige Komponente, findet Ida Tin:
"Wenn es um weibliche Gesundheit geht, gibt es so viel Fehlinformationen in der Welt und Tabus und Mythen und wir wollen sicherstellen, dass wir etwas vermitteln, das wissenschaftlich gültig ist und nicht in irgendeiner Art von 'meinem geheimen Tagebuch' verpackt ist (...) wir möchten, dass es genauso behandelt wird, wie jeder andere Teil des Lebens auch."
In der Clue-App sieht das so aus, dass jedes einzelne Phänomen erklärt wird. Nutzerinnen erfahren beispielsweise etwas über die normale Zykluslänge, den Einfluss verschiedener Verhütungsmethoden und was man unter dem Prämenstruationssyndrom PMS versteht. Ida Tin will damit das Thema Menstruation nicht nur aus der Tabuzone herausholen, sondern auch aus einer blumigen Mädchenwelt, in der es stereotype Vorstellungen von Frauen gibt. Deshalb ist dien Clue-App auch nicht pink.
"Auf einer tieferen Ebene bedeutet es, die Menschen ernst zu nehmen und nicht in Richtung eines weiblichen Stereotyp zu designen. Wir haben Benutzer auf der ganzen Welt, Menschen, die am Anfang ihrer ersten Periode oder auf dem Weg zu ihrer letzten sind, wir haben Menschen, die Transgender sind, Menschen, die versuchen etwas über Geburtenkontrolle herauszufinden. (...) Und das Entwickeln eines wirklich integrativen Produktes, das sich für so viele verschiedene Leute toll macht, war ein wichtige Sache."

"Mehr als ein einfacher Tracker"

Immerhin ist die Hälfte der Weltbevölkerung Frauen. Ein großer Markt - den die 38-jährige erobern will. Dabei setzt sie mit Clue auf ein wissenschaftliches Fundament. Ida Tin lässt sich für ihre App nicht nur medizinisch beraten, sondern ist Forschungskooperationen mit renommierten Universitäten eingegangen: in Stanford, Columbia, Washington und Oxford. Die Forschungspartnerschaften sollen Themen wie menstruelle Blutungsmuster in Bezug auf Alter - von der Pubertät bis zu den Wechseljahren - behandeln und erarbeiten, wie Verhütung und Lebensstil sich auf dieses Muster auswirken. Außerdem soll untersucht werden, wie bestimmte Krankheitsbilder den menstruellen Zyklus beeinflussen.
"Ich denke, das gibt den Nutzerinnen das Gefühl, dass sie dem Produkt vertrauen können und dass es mehr ist als nur ein einfacher Tracker: Es ist eine Verpflichtung zur weiblichen Gesundheit und dazu, die Leute wirklich zu bilden, damit sie wirklich verstehen, worum es bei weiblicher Gesundheit geht."
Die Daten, die das Unternehmen von fünf Millionen aktiven Nutzerinnen aus über 190 Ländern weltweit bekommt, helfen die Zusammenhänge des weiblichen Körpers besser zu verstehen. Die Datenbank ist mächtig und wächst weiter.
"Wir protokollieren über zweihundert Millionen Datenpunkte pro Monat, wir haben also eine Menge interessante Daten von sehr hoher Qualität und daraus mehr zu machen, so dass die Benutzer auch etwas zurückbekommen, ist eine Schlüsselaufgabe."

Infos über Zyklus mit anderen Menschen teilen

Doch dort setzt auch die Kritik an den Verhütungsapps an, denn es handelt sich auch um sehr sensible Daten in den Händen von privaten Unternehmen. Clue beteuert zwar, diese Daten nicht zu verkaufen, trotzdem fehlt dem Startup bislang ein tragfähiges Geschäftsmodell. Seit Februar gibt es eine neue Hoffnung: Da hatte der TÜV Süd das erste Mal eine ähnliche App wie Clue offiziell als Verhütungsmittel deklariert - dieselbe Zertifizierung wie etwa für Kondome. Damit eröffnen sich neue Möglichkeiten, Krankenkassen könnten beispielsweise die Kosten von Nutzern für solche Apps übernehmen. Die selbstbewusste Tin wittert bereits einen gesellschaftlichen Umschwung - und Clue als Teil davon.
"Ich glaube, dass wir - hoffentlich - zu einer sozialen Verschiebung in der Welt beitragen, die ausgeglichener ist."
Ein wichtiger Schritt liegt für die Dänin darin die Blackbox "weiblicher Zyklus" immer weiter zu öffnen. Deshalb kann man seit ein paar Monaten auch über die Clue-App Informationen über seinen Zyklus mit anderen Menschen teilen, zum Beispiel dem Partner.
"Es geht auch darum, Männer in das Gespräch einzuladen und sie dazu einzuladen, zu verstehen, was ihr Zyklus für Frauen bedeutet. Und ich denke, Technologie kann eine große Rolle dabei spielen, diese Konversation zu erleichtern - und das ist gut für beide Geschlechter oder alle Geschlechter."
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