Antrittsvorlesung an der Uni Bonn

Gastdozent Gabriel beklagt "politisches Vakuum"

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Der ehemalige Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) hat seine Antrittsvorlesung als Gastdozent an der Universität Bonn gehalten. © picture alliance / dpa / Oliver Berg/dpa
Von Peter Zudeick · 16.04.2018
Einen Monat nach seinem Ausscheiden aus dem Bundeskabinett hat Sigmar Gabriel heute wieder einen Auftritt: als Gastdozent an der Uni Bonn. Es gibt Protest, es gibt Applaus - und am Ende auch Erleichterung.
Die Hütte ist voll, Scharen von Studierenden drängeln draußen vor der Tür von Hörsaal 1, kommen aber nicht rein, weil auch der größte Hörsaal der Uni Bonn noch zu klein ist für Sigmar Gabriel. So mag er das. Und weil er genau weiß, dass das Publikum von ihm nicht nur eine Antrittsvorlesung des ehemaligen Außenministers erwartet, sondern auch den geübten Redner mit eingebautem Unterhaltungswert, liefert er auch das:
"Sie müssen sich jetzt umdrehen, da hängen die ein Plakat über Israel raus. Wenn Sie sich das nicht angucken, sind die enttäuscht."
Da holt er sich seine ersten Lacher ab. "Gegen Iran-Siggi. Für Israel" steht auf dem Transparent, das einige Studierende auf der Empore hochhalten, und natürlich geht Gabriel sofort darauf ein. Aber die Protestierer wollen keinen Vortrag über Gabriels Vater, den alten Nazi, hören, und über seine Besuche in Israel und Palästina. Sie wollen protestieren.
"Hören Sie mal zu. Wenn Sie an der Uni sind, müssen Sie sich angewöhnen, wenn sie schon jemanden herausfordern, sich seine Antwort anzuhören."
Einmal im Element, legt er vergnügt nach.
"Und ich hoffe, Sie kommen in das Seminar. Sie sind nicht zugelassen worden? Ich lade Sie persönlich ein und hole Sie am Eingang ab."
Und da Sigmar Gabriel ungern was auslässt, muss auch der Hinweis auf seine Routine mit solchen Zwischenfällen sein.
"Sie können davon ausgehen, dass ich mit derlei Veranstaltungen über eine gewisse Erfahrung verfüge."

Vortrag über die Lage im Nahen Osten

Und dann kommt der Vortrag über die schwierige Lage im Nahen Osten, über das besondere Verhältnis Deutschlands zu Israel, über die schwierige Situation der Palästinenser und das selbstverständliche Recht, auch die Politik Israels zu kritisieren. Da kommen Buhrufe nicht nur von der Empore.
"Na, mit Buhrufen wird's ja nicht besser."
Gabriel kommt immer mehr in Stimmung, jetzt muss auch noch der Hinweis darauf sein, dass er auch mal jung war:
"Das letzte Mal, dass ich an der Uni Bonn war, habe ich mit solchen Transparenten im Hofgarten gestanden, also ich bin auch nicht viel besser als ..., also Sie haben die Chance, erst Außenminister und dann Vorleser hier an der Uni zu werden mit dem, was sie gerade machen. Das ist eine gerechte Strafe für die Jugendsünden."
Das ist den Protestierern dann doch zu viel Kumpanei, sie ziehen ab.
"Mensch, Transparente hochhalten und dann abhauen. Das geht nicht. Wehe, Ihr kommt nicht in das Seminar."
Und als es dann vorbei ist, kommt einem mählich der Verdacht, Gabriel habe die Protestaktion bestellt. Aber so berechnend ist wohl nicht mal der mit allen Wassern gewaschene Politprofi. Und dann kommt doch noch die Vorlesung zum Thema. Deutschland und Europa und die Welt und zurück, er spannt einen weiten Bogen, und die Kernaussage ist: Wenn Europa keine gemeinsame Strategie für die Zukunft entwickelt, wird es in Zukunft keine Rolle mehr spielen. Zum Beispiel bei der Bewältigung der Nahostkrise.

Es entsteht ein politisches Vakuum

"Die bittere Wahrheit ist: Wir halten Vorträge, beklagen die Lage und fordern die Achtung des Völkerrechts ein, während andere die Machtachsen in der Region grundsätzlich verschieben oder es zumindest versuchen."
Europa spricht nicht mit einer Stimme, definiert kein gemeinsames Interesse, schon lange nicht mehr, es sieht eher so aus, dass die Einzelinteressen sich immer stärker in den Vordergrund drängen. Und damit entsteht ein politisches Vakuum:
"Wer die Lage in Europa nüchtern analysiert, wird schnell merken: Es sind nicht neuer Nationalismus und Populismus, die Europa bedrohen, sondern unsere eigene Unfähigkeit, angemessene Antworten auf der Herausforderungen unserer Zeit zu finden. Erst das politische Vakuum ermöglicht es Populisten und neuen Nationalisten, ihre Antworten in Europas Gesellschaften zu verankern."
Soweit die nüchterne Analyse. Und die Lösung des Problems?
"Was müssen wir also tun, um Faktor der Weltpolitik zu werden? Dazu gehören wirtschaftliche Mittel, politische, kulturelle, aber übrigens auch im Zweifel die Bereitschaft zum Einsatz militärischer Mittel."
Keine Buhrufe bei dieser Aussage, das verwundert dann doch bei studentischem Publikum. Aber die Damen und Herren Studenten haben ja noch Zeit, im Seminar mit Sigmar Gabriel ihre Meinung zu sagen.
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