António Lobo Antunes: "Ich gehe wie ein Haus in Flammen"

Das traurigste Haus von Lissabon

Zu sehen ist eine Straßenbahn, die eine Straße in Lissabon hinauffährt.
Roman über das Erbe von Diktator Salazar in Portugals Gesellschaft: António Lobo Antunes' "Ich gehe wie ein Haus in Flammen". © imago stock
Von Sigrid Löffler · 28.04.2017
Die Bewohner eines Mietshauses in Lissabon quält ihre Vergangenheit unter dem Diktator Salazar. António Lobo Antunes setzt mit seinem Roman "Ich gehe wie ein Haus in Flammen" der portugiesischen Gesellschaft einen Spiegel vor und regt sie zur Aufarbeitung ihrer Geschichte an.
Acht Parteien leben in einem dreistöckigen Wohnhaus in Lissabon – alle mit ihrer je eigenen Geschichte und Herkunft, ihren Erinnerungen, Sehnsüchten, Träumen, Ängsten und Hoffnungen. Die Bewohner dieses Hauses sind lauter traurige alte Menschen, die eine Menge Trödel gelebten (und auch ungelebten) Lebens angehäuft haben. Auf diesem Erinnerungsplunder hocken sie jetzt und hadern mit ihrer Vergangenheit und ihrer Gegenwart, ihren Beschädigungen und unerfüllten Wünschen.

Schuldgefühle des Bürgertums

Ihr unglückliches Gemurmel erfüllt das Haus und füllt auch die Seiten im 25. Roman des portugiesischen Erzählers und Arztes António Lobo Antunes. Die Konzentration auf den Mikro-Kosmos eines Wohnhauses gibt dem Roman "Ich gehe wie ein Haus in Flammen" seine Struktur: Das Haus wird zum Abbild des heutigen Portugal, wie Lobo Antunes sein Land seit jeher porträtiert – als gealterte bürgerliche Gesellschaft im Niedergang, bedrückt von der Last ihrer nicht aufgearbeiteten und weiterschwärenden kolonialen Geschichte unter dem ewigen Diktator Salazar.
Der Autor, Portugals berühmtester Nicht-Nobelpreisträger, recycelt hier abermals seine Lebensthemen und das gleiche Milieu und Personal, die er in seinem umfangreichen Erzählwerk bereits um- und umgewälzt hat. Und er variiert ein weiteres Mal seine unverwechselbare symphonische Erzählform mit ihrer Leitmotiv-Technik und ihrem Spiel der Refrains und wiederkehrenden Requisiten – ein polyphones Stimmengewirr, in dem alle Zeiten im Augenblick des Jetzt stagnieren und der Erzählstrang völlig eliminiert ist.
Wiederum sind schuldbewusste Erinnerungen an die aufgegebene afrikanische Kolonie Angola ein Thema des Romans – diesmal in Gestalt des alten Oberst Augusto im dritten Stock links, der sich Jahrzehnte nach der Rückkehr in die Heimat immer noch mit Selbstvorwürfen quält, dass er seinerzeit seine schwangere Geliebte, die Mulattin Sofia Rosa, herzlos in Luanda zurückgelassen hat.

Salazars Schatten

Von der Melancholie des Alters sind auch die anderen einsamen Männer und Frauen im Haus verschattet, etwa der verwitwete greise Rechtsanwalt im zweiten Stock rechts, der die Demütigungen durch seine Salazar-hörige einstige Schwiegerfamilie nicht vergessen kann, oder die liebestolle geschiedene Richterin im zweiten Stock links mit ihren würdelosen und stets in Peinlichkeiten endenden Avancen an die Männer ihrer Umgebung. Den alten Kommunisten im Erdgeschoss links quält das Bewusstsein, dass ihn die Geheimpolizei PIDE einst durch Folter gebrochen und zu ihrem Spitzel gemacht hat.
Es sind nicht nur die Lebenden, die dieses Haus bevölkern. Bei allem Detail-Verismus öffnet Lobo Antunes seinen Roman auch für Phantasmen. Die Geister der Toten spuken durchs Haus wie durch die Erinnerungen seiner Bewohner, und auf dem Dachboden vegetiert ein uraltes Gespenst, das vielleicht ein verwahrloster Bettler, vielleicht aber auch der unsterbliche Doktor Salazar ist.
All dies macht aus «Ich gehe wie ein Haus in Flammen» ein typisches Alterswerk – in seiner handwerklichen und technischen Souveränität wie auch in seinen Schwächen, Wiederholungen und Vergesslichkeiten.
(Online-Bearbeitung: pv)

António Lobo Antunes, Ich gehe wie ein Haus in Flammen
Luchterhand Verlag, München 2017
444 Seiten, 24 Euro

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