"Antichrist"

09.09.2009
Während ein Paar miteinander schläft, stürzt das gemeinsame Kind aus dem Fenster. Was folgt, ist ein gewalttätiger Geschlechterkampf.
BRD, Frankreich, Italien, Schweden, Dänemark, Polen 2009, Regie: Lars von Trier, Hauptdarsteller: Willem Dafoe, Charlotte Gainsbourg, 108 Minuten, ab 18 Jahren

Bei seiner Welturaufführung in Cannes von den Kritikern mit Buhrufen quittiert, sind die Proteste gegen diesen provokanten Film nicht abgerissen. Frauenfeindlichkeit ist nicht der mildeste Vorwurf, Pornografie, eitle Selbsttherapie des von Depressionen geplagten Regisseurs lauten andere Anwürfe. Die ökumenische Jury in Cannes hat dem Film sogar einen "Anti-Preis" verliehen. In der Tat mischen sich moralische und geschmackliche Verdammnisse, die Lars von Triers neuestem Werk für manchen Zuschauer sicher einen zusätzlichen Reiz verleihen. Dabei ist der Film die blanke Reizüberflutung.

Das beginnt mit der ersten Szene, in der unter Händel-Musik und in Zeitlupe ein kleines Kind aus dem Fenster fällt, derweil seine Eltern in einem exzessiven Geschlechtsakt davon nichts bemerken, oder später im Film gesteigert als Wiederholung, die Mutter den Tod des Kindes hätte verhindern können, es aber nicht tat. Da haben schon Schuldgefühle die Frau in einen schwer traumatisierten Zustand gesetzt, während ihr deutlich rationaler agierender Mann versucht, die Frau aus einer medikamentösen Behandlung in eine bewusst erlebte Therapie zu versetzen. Beider Umgehen mit der Schuld ist offensichtlich unterschiedlich, was die Frau deutlich als Vorwurf an den Mann richtet.

Er sucht als Ursache nach Ängsten bei seiner Frau, die im Film – genauso wie er - keinen Namen trägt. Als sie die Natur, den Wald als ihren absoluten Angstort benennt, fährt er mit ihr in das Ferienhaus der Familie mitten in einem wuchernden, in grün-grauen Tönen gemalten Urwald, in dem die Hütte "Eden" steht. Schritt für Schritt zwingt er sie, sich ihren Ängsten zu stellen, und als ihr das gelingt, scheinen alle Dämme gebrochen, alle rationalen Begrenzungen des Menschseins.

Was folgt ist ein so gewalttätiger Geschlechterkampf, dass ihn die Frau nur mit dem Tod des Mannes beenden kann. Szenen von bisher auf der Leinwand nicht gesehener Grausamkeit, Verstümmelung bei beiden Geschlechtern folgen, umstellt von christlichen Symbolen, die der Natur beigegeben oder in die Handlung eingebaut werden. So entdeckt der Mann den Entwurf der Dissertation seiner Frau, an dem sie allein mit dem Kind in der Hütte gearbeitet hatte, eine Untersuchung der Hexenverfolgungen im Mittelalter. Für den Zuschauer liegt die Unterstellung nahe, die Frau sei nun selbst zur Hexe geworden, zum Männer verschlingenden Bösen an sich, denn auch das Baby war ein Junge, auch er trug Male der Verstümmelung.

Wenn Lars von Trier bekennt, der Film sei therapeutischer Ausfluss seiner eigenen Obsessionen, entfällt damit sowie durch die Wucht des darstellerischen Einsatzes, mit der Charlotte Gainsbourg ihre sehr schwierige Rolle stemmt, die Möglichkeit einer parodistischen, ironischen Deutung. Das alles ist bitter ernst gemeint, eine Zumutung für den Zuschauer und eine Steilvorlage für die Kritiker, die Lars von Triers öffentliche Selbsttherapien aus moralischen und/ oder ästhetischen Gründen ablehnen.

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