Antibiotika-Resistenz

Wissenschaftler rät zu sparsamem Umgang mit Antibiotika

Mit Plakaten gegen Massentierhaltung und Tierquälerei demonstrieren Vertreter mehrerer Bürgerinitiativen am Freitag (25.11.2011) in Hannover am niedersächsischen Landwirtschaftsministerium.
In Deutschland werden zu oft und unnötig Antiobiotika verabreicht. © dpa / picture-alliance / Philipp von Ditfurth
Lothar Wieler im Gespräch mit Korbinian Frenzel · 23.11.2016
Der Präsident des Robert-Koch-Instituts, Lothar Wieler, mahnt Ärzte und Tierärzte zur Zurückhaltung bei dem Arzneimittel Antibiotika. Denn diese seien der "Haupttreiber" bei der Entwicklung von multiresistenten Keimen, an denen jedes Jahr viele Menschen sterben.
Zwischen 1000 und 4000 Menschen sterben nach Einschätzung von Lothar Wieler, Präsident des Robert-Koch-Instituts, allein in Deutschland jedes Jahr an einer durch multiresistente Erreger verursachten Krankenhausinfektion.
Vor diesem Hintergrund mahnte Wieler im Deutschlandradio Kultur zu einem zurückhaltenden Umgang mit Antibiotika. "Der Einsatz von Antibiotika ist der Haupttreiber von Resistenzen", betont er. Deshalb sei es sehr wichtig, dass Ärzte und Tierärzte nur sehr gezielt und wenn es wirklich medizinisch notwendig sei, Antibiotika einsetzten. Außerdem müsse mehr dafür gesorgt werden, dass es erst gar nicht zu Infektionen komme. Hier seien zum Beispiel Impfungen ein "unheimlich wichtiges Mittel", so Lothar Wieler.

Kein Eingriff in die Therapiefreiheit

Ob im Rahmen des Kampfes gegen multiresistent Erreger in die Therapiefreiheit des Arztes eingegriffen werden dürfe, wird im Rahmen des Forums Bioethik des Deutschen Ethikrats debattiert, das heute in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften stattfindet.
Wieler selbst äußert sich zu dieser Frage sehr zurückhaltend: "Es ist sicher so, dass wir Leitlinien zum Beispiel verfassen. Bei diesen Leitlinien werden ja schon bestimmte Optionen nicht mehr gegeben sein", sagte er. "Zum Beispiel, welche Antibiotika man einsetzen kann oder welche man nicht einsetzen kann." Er sehe darin jedoch keinen Eingriff in die Therapiefreiheit, sondern man wolle Ärzten mit evidenzbasierten Zahlen eine Hilfestellung geben.

Das Interview im Wortlaut:
Korbinian Frenzel: Antibiotika retten Leben, wahrscheinlich in einer Zahl, die wir gar nicht beziffern können. Eine andere Zahl, die gibt es, und sie ist quasi das Gegenbild: Jedes Jahr sterben etwa 25.000 Menschen in Europa, weil bei ihnen Antibiotika nicht mehr wirken, die sogenannte Antibiotika-Resistenz. Ein Problem, das wir haben, weil der Wirkstoff zu breit eingesetzt wird möglicherweise. Der Ethikrat beschäftigt sich heute mit diesem Problem, und wir tun das jetzt im Deutschlandradio Kultur mit Professor Lothar Wieler. Er leitet das Robert-Koch-Institut in Berlin. Guten Morgen!
Lothar Wieler: Guten Morgen, Herr Frenzel!

Das Problem der Multiresistenzen taucht oft im Krankenhaus auf

Frenzel: Herr Wieler, man könnte zunächst mal vermuten, dass wir hier vor allem ein medizinisches Problem haben, ein naturwissenschaftliches – worin liegt das ethische Dilemma?
Wieler: Ja, Herr Frenzel, ich glaube, das ist genau die Frage, mit der sich der Ethikrat heute befasst. Ist es ein rein naturwissenschaftliches Problem im Verhältnis zwischen Patient und Arzt, oder ist es ein Problem, das auch ethische Dimensionen hat? Man kann sich manche Situation vorstellen, wo man eventuell abwägen muss, ob man jetzt die Gesundheit des Patienten in den Vordergrund stellt oder vielleicht andere Aspekte. Ich denke, das ist genau die spannende Frage, die heute der Ethikrat beantworten wird.
Ein Arzt desinfiziert sich seine Hände im Krankenhaus
Krankenhauskeime sind weiterhin ein Problem© picture alliance / dpa / Stephanie Pilick
Frenzel: Die Zahl, die der Ethikrat da aufführt, klingt erst mal bedrohlich. 25.000 Menschen, die sterben, weil Antibiotika nicht wirken. Wie groß und dramatisch ist das Problem der Antibiotikaresistenz schon heute aus Ihrer Sicht?
Wieler: Wir beobachten diese Problematik sehr lange. Das ist eine der wesentlichen Aufgaben des Robert-Koch-Instituts, um das Problem beschreiben zu können und wirklich fassen zu können. Wir müssen konstatieren in Deutschland, das Problem ist hauptsächlich sichtbar geworden zunächst in Krankenhäusern.
Da gibt es die sogenannten nosokomialen Infektionen. Wir denken, dass das im Jahr zwischen 400.000 bis 600.000 sind. Das sind geschätzte Zahlen. Und von diesen 400.000 bis 600.000 kommen auf diese multiresistenten Erreger circa 30.000 bis 35.000. Das heißt also, das sind relevante Zahlen. Und die Problematik ist die, dass Menschen, die infiziert sind mit multiresistenten Erregern, natürlich schwieriger zu behandeln sind, deren Infektionen, sodass dann auch im Krankenhaus jährlich zwischen circa 1.000 und 4.000 Menschen sterben. Das sind auch geschätzte Zahlen.
Das heißt, es ist ein relevantes Problem, dem wir uns widmen müssen. Und wir müssen verstehen, warum diese Bakterien resistent werden, damit wir Maßnahmen einleiten, dass die Resistenz eben vermieden wird.

Resistente Bakterien gab es schon immer

Frenzel: Diese Frage stelle ich Ihnen, Herr Wieler. Warum? Warum sind sie resistent? Liegt es daran, was man ja so gemeinhin sagt, dass wir einfach zu viele Antibiotika insgesamt nehmen?
Wieler: Ja. Wir müssen zunächst mal verstehen, dass unsere Umwelt komplett mit Bakterien kontaminiert ist. Wir selbst haben auch ein großes Mikrobiom. Bakterien sind steinalt, die gibt es schon immer. All die Resistenzen, über die wir sprechen, liegen schon seit Hunderttausenden, Millionen Jahren in diesen Bakterien vor. Durch den Einsatz von Antibiotika reichern wir diese Resistenzen an. Das heißt also, ja, durch unsere Gabe von Resistenzen reichern wir etwas an, was schon da ist. Der Einsatz von Antibiotika ist der Haupttreiber für Resistenzen.
Frenzel: Das heißt, wie müssen wir gegensteuern? Der naheliegende Gedanke wäre: deutlich weniger Antibiotika verschreiben. Ist es so einfach?
Wieler: Ja, das ist ein Teil der Problematik. Es ist ganz wichtig, dass Ärzte und auch Tierärzte natürlich nur sehr gezielt Antibiotika einsetzen, wenn es notwendig ist, also wirklich medizinisch indiziert ist. Und das ist der wesentliche Punkt sicher. Die anderen Punkte sind natürlich, dass wir insgesamt dafür sorgen, dass weniger Infektionen geschehen. Wir können viel Vorbeugung betreiben, durch Impfungen zum Beispiel - ein unheimlich wichtiges Mittel in Deutschland und weltweit, damit es gar nicht zu Infektionen kommt.

Weniger Eingriff in die Therapiefreiheit als Hilfestellung

Frenzel: Der deutsche Ethikrat hat jetzt einige Fragen schon vorab an das Thema formuliert, die heute diskutiert werden sollen, zum Beispiel die, ob im Rahmen des verstärkten Infektionsschutzes in die Selbstbestimmung von Patienten und auch in die Therapiefreiheit von Ärzten eingegriffen werden darf. Was sagen Sie dazu? Sagen Sie Ja?
Wieler: Ja, das sind Fragen, die man genau abschätzen muss und die man betrachten muss. Es ist sicher so, dass wir Leitlinien zum Beispiel verfassen. Bei diesen Leitlinien werden ja schon bestimmte Optionen nicht mehr gegeben sein, oder es werden bestimmte Optionen dem Arzt nur noch – oder bestimmte Optionen genommen werden.
Frenzel: Nämlich welche?
Wieler: Zum Beispiel, welche Antibiotika man einsetzen kann oder welche man nicht einsetzen kann. Das ändert sich je nach der Resistenzlage. Hier greifen wir nicht in die Therapiefreiheit ein, sondern wir geben eine Option, die den Patienten stärker hilft. Aber diese ganzen Maßnahmen beruhen darauf, dass wir im Hintergrund evidenzbasierte Zahlen generieren, mit denen wir dem Arzt eine Hilfestellung geben. Es gibt auch Situationen, wo man sich vielleicht fragen kann: ist jetzt in diesem bestimmten Fall dieses Antibiotikum sinnvoll oder geben wir gar kein Antibiotikum? Ich denke, wir unterstützen die Ärzte in erster Linie. Es ist weniger ein Eingriff in die Therapiefreiheit.

In Entwicklungsländern fehlt es oft an Antibiotika

Frenzel: Darf ich diese Frage noch mal zuspitzen: Darf man einem einzelnen Patienten Antibiotika verweigern, auch wenn es ihm dann möglicherweise schneller besser ginge, wenn wir das größere Ziel vor Augen haben, die Resistenzen in den Griff zu kriegen?
Wieler: Ich bin kein Ethiker. Ich kann Ihnen diese Frage tatsächlich nicht beantworten. Aber ich denke, das sind zugespitzt die Fragen, die heute gestellt werden, ob es in solchen bestimmten Einzelfällen so sein wird. Ich glaube, von Ärzteseite wird die Frage immer eindeutig beantwortet werden.
Frenzel: Zugespitzte Fragen, die in der Praxis vielleicht gar nicht so auftauchen – ist das Ihre Erfahrung?
Wieler: In Deutschland ist es sicher selten der Fall. Ich könnte mir vorstellen, es gibt Länder, in denen es wirklich sehr große ethische Dilemmata gibt. Wenn Sie sich vorstellen, dass zum Beispiel in bestimmten Staaten von Afrika oder auch von Indien einfach gar keine Antibiotika verfügbar sind, und sich dort wirklich die Fragen stellen, welches Antibiotika kann ich überhaupt noch nehmen, bekomme ich überhaupt eines? Da gibt es sicher größere Fragen, wo man sich die Frage stellen muss, warum bekommen diese Staaten es nicht in den Griff, den Menschen einen sicheren Antibiotikumzugang zu gewähren.
Frenzel: Lothar Wieler, Leiter des Robert-Koch-Institutes in Berlin. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Wieler: Herzlichen Dank Ihnen!
Frenzel: Heute berät der Ethikrat die Frage, wie wir mit Antibiotikaresistenzen umgehen. Das also Thema heute, sicherlich auch noch bei uns in den Studio-9-Sendungen im Laufe des Jahres, um 12 Uhr und um 17 Uhr.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema