Antibiotika-Einsatz in der Mast

Ein Cocktail fürs Schwein

Drei Schweine stehen in einem Stall und gucken in die Kamera.
Schweine im Stall: Einer von vier Bauern schreibt nicht richtig auf, was er mit seinen Antibiotika macht. © dpa/picture alliance/Bernd Wüstneck
Von Philip Banse · 02.10.2014
Werden bei der Tierzucht zu viele Antibiotika eingesetzt, entstehen Resistenzen. Und dann wirken die Medikamente nicht mehr, wenn Tiere erkranken. Doch die Verlockungen, Masttieren einen Cocktail zu verpassen, sind groß: Tierärzte verdienen am Verkauf und Bauern schätzen das schnellere Wachstum der Tiere dank Pharma-Einsatz.
"Wir sind hier in Neumünster, eine schöne Schulkarte aus den 50ern, fahren dann die Autobahn, die hier noch nicht eingezeichnet ist, hoch, erstmal Richtung Flensburg, dann an die Westküste und werden dann hier in Risum-Lindholm, Dagebüll, hier in diesem Raum werden wir Betriebe kontrollieren und dann noch ein bisschen weiter südlich und dann gehts wieder zurück."
Gordon Graber und Christof Ostheimer fahren vom Hof des Landeslabors Schleswig-Holstein am Rande von Neumünster.
Das Landeslabor kontrolliert Tierhalter und Tierärzte in ganz Schleswig-Holstein. Fünf Veterinäre für 15.000 Betriebe.
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Die beiden Amtstierärzte Gordon Graber und Christof Ostheimer werden Milchbauern besuchen und Schweinezüchter, unangemeldet. Sie fahnden nach verbotenen Medikamenten, nach Arzneimittel-Rückständen in Fleisch und Milch. Aber vor allem sind sie dem Missbrauch von Antibiotika auf der Spur, also Arzneien, die Bakterien bekämpfen.
"Das Hauptproblem ist das Entstehen von Resistenzen bei den Bakterien. Und da wird ja seit Jahrzehnten kann man sagen und in den letzten Jahren ja immer stärker eine Zunahme der Resistenzen bei den verschieden Bakterienarten und bei den verschiedenen Antibiotika beobachtet."
Antibiotika wirken immer weniger, weil das Maß verloren gegangen ist. 2013 wurden allein in Deutschland über 1400 Tonnen Antibiotika an Tiere verabreicht – doppelt so viele wie beim Menschen. Ohne Antibiotika wird es wohl nicht gehen, aber Bundesregierung, Tierschützer und Medizinier sind sich einig: In deutschen Ställen werden zu viele Antibiotika eingesetzt. Und jedes Mal, wenn Antibiotika verabreicht werden, regen sie Bakterien an, sich zu schützen, Resistenzen zu entwickeln. Nach Angaben des Robert Koch Instituts sterben in deutschen Krankenhäusern jedes Jahr bis zu 15000 Menschen, weil sie an resistenten Keimen erkrankt sind, bei denen kein Antibiotikum mehr wirkt.
"Und daran hat die Humanmedizin einen ganz großen Anteil, aber die Tiermedizin eben auch oder die landwirtschaftliche Nutztierhaltung. Das ist eigentlich das Hauptproblem."
Christof Ostheimer und Gordon Graber fahren Richtung Wattenmeer. Blauer Himmel und grüne Wiesen, auf denen sich Windräder drehen. Ihre Schatten huschen über die fensterlosen Blech-Ställe der Schweinemäster.
"Das ist doch ein Koog, hier gibt es doch kein Hochwasser mehr, oder?" /
"Das war aber mal alles offen hier. Früher war das so, dass hier alles mal überschwemmt war, deswegen diese Warften. Dann wurde das hier alles eingedeicht." / "Deswegen Koog? Deswegen eingedeicht, das heißt doch Koog, oder?" / "Das ist auch ein Koog, kommen jetzt aber auch gleich in den nächsten Koog, also haben noch zwei Deiche bevor wir ans Wasser kommen."
"Wo wir zuerst hinfahren? Der hatte Dokumentationsmängel in der Arzneimittelanwendung."
Bauern müssen den Antibiotika-Einsatz dokumentieren
Um den korrekten Einsatz von Antibiotika überprüfen zu können, müssen Bauern alles genau aufschreiben: Welchem Tier haben sie wann wie viel von welchem Antibiotikum geben und warum? Nur so können Kontrolleure wie Graber und Ostheimer überhaupt abschätzen, ob Antibiotika zurecht und richtig dosiert eingesetzt wurden. Ist die Dosis zu niedrig oder zu hoch, maximiert das die Resistenzbildung.
Navi: "Die Route ist berechnet. Dem Straßenverlauf folgen."
Einer von vier Bauern schreibt nicht richtig auf, was er mit seinen Antibiotika macht, sagt Ostheimer. So auch der erste Bauer, den die beiden heute ansteuern zu einer Nachkontrolle.
"13. März waren wir da und er hatte aufgehört, zu dokumentieren am 15. Januar. Also zwei Monate hat er praktisch gar nichts aufgeschrieben." / "Wenn diese Dokumentation fehlt, dann kann er in der Zeit ja praktisch alles machen, ohne, dass jemandem mitkriegt." / "Ja, natürlich, klar, das ist der Sinn der Dokumentation, dass man wirklich nachvollziehen kann. Die sind jetzt gerade am Silieren hier."
Der Bauer hat frisch gemäht, fährt mit dem Trecker Grashaufen platt, um sie mit Plane zu bedecken.
Ostheimer geht auf den Hof. Irgendjemand müsste ihm die Akten zeigen und Fragen beantworten.
Aber der Bauer arbeitet und seine Frau sagt: Weder hat sie Zeit, noch Ahnung von der Dokumentation des Antibiotika-Einsatzes bei ihnen auf dem Hof. Ostheimer setzt sich wieder ins Auto.
"Warum kontrollieren sie jetzt nicht?" / "Ja, weil da jetzt gerade eben die Gras-Sillage hergestellt wird, das gute Wetter muss genutzt werden und vor allem die ganzen Hilfskräfte sind alle für heute hierher bestellt, die arbeiten da zu viert oder zu fünft mit verschiedenen Treckern und da kann man jetzt nicht erzwingen, dass die Arbeit für eine Stunde unterbrochen wird. Wenn jetzt Gefahr im Verzuge wäre, dann würde ich das schon durchsetzen, aber das ist ja hier nicht der Fall. Es handelt sich ja nur um eine ganz normale Nachkontrolle, die kann ich auch heute Nachmittag machen. Der hat jetzt gar keine Zeit dafür, hier jetzt irgendwas nachzuholen oder aufzuhübschen, also das ist dann in Ordnung."
Auch der zweiten Hof hatte bei der letzten Kontrolle nur unzureichend aufgeschrieben, was mit den Antibiotika geschieht.
Geführt wird der Hof von Anja Roloff und ihrem Mann. 160 Milchkühe, ein durchschnittlicher Hof für Schleswig-Holstein. Der Tanklaster der Meierei kommt holt jeden Tag 5000 Liter Milch ab.
Ostheimer und Graber steigen in verwaschen-grüne Stoff-Overalls, frisch aus der Wäscherei, dazu Plastik-Überzieher für die Stiefel und Gummihandschuhe. Die Veterinäre gehen in den Stall, bleiben vor einem fleckigen Kleiderschrank aus dunklem Holz stehen. Die Stallapotheke.
Auf der Suche nach Anhaltspunkten für den Missbrauch von Antibiotika ist die Stallapotheke stets die erste Station. Der Bauer darf nämlich immer nur so viel Antibiotika lagern, wie er in den nächsten Tagen für aktuell kranke Tiere benötigt. Sonst wäre das Vorratshaltung und die ist verboten.
Bäuerin Roloff muss für alle Antibiotika in diesem Schrank einen Abgabebeleg des Tierarztes vorweisen können. Das ist eine Art Lieferschein, auf dem der Tierarzt genau vermerken muss, warum er dem Bauern Antibiotika überlassen hat: welches Antibiotikum für welches Tier in welcher Menge aufgrund welcher Krankheit. Im alten Schrank von Bäuerin Roloff stehen etwa zehn Medikamente, meist nur eine Packung, viele fast leer. Darunter auch Antibiotika wie Resflor zur Behandlung der Atemwege von Rindern.
"Was wäre denn verdächtig?" / "Wenn jetzt hier fünf oder sechs Flaschen von diesem Resflor stehen würden beispielsweise, größere Mengen auch unangebrochen, wo ich jetzt nicht am letzten Abgabebeleg sehen kann aha, oder dass mir die Landwirtin nicht zeigt, hier sind die kranken Tiere, für die ist das vom Tierarzt jetzt abgeben. Das wäre verdächtig. Dann wäre das ja eine Vorratsabgabe."
Soweit alles normal, sagt Ostheimer. Dann findet er auf dem Schrank eine Dose Bisolvon, ein Antibiotikum gegen Husten, das Etikett ist mit rotem Filzstift durchgestrichen.
"Was haben wir denn da? Eine alte Bisolvon-Dose, ist durchgestrichen. Wissen sie was da drin ist? Könnte Traubenzucker sein, aber ich weiß es nicht."
Abgelaufenes Antibiotikum oder Traubenzucker?
"Ich bin ja versucht, einen Finger rein zu halten, aber ich mach´s dann lieber doch nicht. Das könnte gut sein. Oder wollen sie selber mal probieren?" / "Ist Traubenzucker, eindeutig."
Graber und Ostheimer schauen sich auf dem Hof um. Am Milchtank fehlt der Dichtungsring, die Kühe bekommen sehr viele Hormone, weil sie sonst keine Milch geben, aber nach Antibiotika-Missbrauch sieht es erstmal nicht aus.
"Haben Sie denn das Gefühl, dass sie bei so einem Rundgang wie wir das jetzt machen schon substanziell prüfen können?" / "Gut, im Laufe der Zeit bekommt man schon seine Erfahrung und denkt, jetzt hat der Tierhalter einem einige Sachen vorenthalten. Das kann mal mit Medikamenten sein, dass man nur einen Ausschnitt gezeigt bekommt, aber dass noch eine Lagerungsmöglichkeit woanders besteht, das kann man nie ganz ausschließen. Aber man sieht das ja auch an der Tierzahl, am Gesundheitsstatus mit was für einem Arzneimittelaufkommen hier zu rechnen ist." / "Und das ist bei diesem Hof?" / "Bei diesem Hof, das müssen wir erst mal sehen. Wir müssen uns die Dokumentenlage noch ansehen. Wir haben jetzt nur einen Auschnitt gesehen, das kann man jetzt noch nicht beurteilen."
Ein Verwarnungsgeld von maximal 50 Euro
Ostheimer und Graber sitzen am hölzernen Küchentisch der Bäuerin. Es gibt Filterkaffe aus Bechern. Ostheimer hat sein Protokollformular vor sich. Drei Seiten Fragen zum Einsatz von Medikamenten.
"Jetzt kommen wir zur eigenen Dokumentation, also die wird geführt grundsätzlich, ja."
Gordon Graber hat zwei Aktenordner der Bäuerin durchgeblättert. In ihnen muss sie aufschreiben, wer welcher Kuh wann welches Antibiotikum gegeben hat. Vor allem muss in den Akten stehen, welche Menge des Antibiotikums der Bauer jedem Tier gegeben hat. Und das fehlt.
"Ich habe es hier auf einem einzigen Beleg gefunden, nämlich hier, da haben sie mal angegeben, dass sie hier 12,5 ml Dexamethason zwei Kühen verabreicht haben, aber sonst geht das aus ihren Aufzeichnungen überhaupt nicht hervor, wieviel die Kühe bekommen haben. Wie viel haben sie eingesetzt?" / "Mein Mann kann das immer ziemlich gut abschätzen, was die Tiere wiegen." / "Das glaube ich auch und dann kommt er zu einer Menge, das sind dann vielleicht 25 Milliliter und die Menge muss da aufgeschrieben werden, genau das. Das ist das Entscheidende. Da besteht noch Verbesserungsbedarf."
"Nachkontrolle ist erforderlich? Ja. Meinste nein? Wollen wir knobeln? Das hängt so ein bisschen vom Grad der Mängel ab, das waren ja letztes Mal erheblich mehr, deswegen ja auch die Nachkontrolle heute, die ja auch kostenpflichtig ist, die kostet ja Geld. Das ist deutlich weniger geworden, also ich würde Nachkontrolle machen."
Wie viele Antibiotika werden auf dem Hof eingesetzt? Hat der Tierarzt wirklich jedes Tier untersucht, bevor Antibiotika verabreicht wurden? All das lässt sich mit den Papieren auf diesem Hof nicht klären, weil Bauer Roloff und Tierarzt zu wenig aufschreiben.
Also noch mal 'ne Verwarnung, die dann aber keine weiteren Folgen haben wird. Sie überweisen dann das Verwarnungsgeld, das werden also maximal 50 Euro sein, maximal, und dann ist die Sache damit dann auch erledigt.
"Dann bedanke ich mich für die Zusammenarbeit."
Die Kontrolleure gehen raus zum Auto. Die Bäuerin Roloff bleibt in der Küche und erzählt, wie der Antibiotika-Einsatz bei ihr wirklich abläuft, etwa, wenn sie glaubt, dass eine Kuh Mastitis hat, also eine bakterielle Euter-Entzündung.
"Wenn ich eine Mastitis erkenne morgens um fünf beim Melken, dann muss ich den Tierarzt anrufen, der die Kuh untersucht, bevor ich der was eingeben darf. Wenn ich aber zweimal am Tag melke, kann ich eine Mastitis durchaus auch selbst erkennen, dafür muss ich kein Tierarzt-Studium haben. Aber es ist nicht erlaubt."
Denn eine Mastitis kann von unterschiedlichen Bakterien verursacht werden, so dass unterschiedliche Antibiotika angesagt wären.
"Theorie und Praxis. Ich habe das Medikament meistens da, Restmengen von der vorherigen Untersuchung, gebe der was ein, fahr zum Tierarzt und hol mir wieder was, um die weiter behandeln zu können. Nein, rechtmäßig wäre, ich müsste den Tierarzt anrufen, der müsste morgens um fünf kommen, sich das Kuh angucken, bevor ich sie behandle." / "Ist aber praxisfern." / "Ja."
Dass Bauern wie Anja Roloff nur lückenhaft dokumentieren, was sie mit ihren Antibiotika machen und in der Praxis oft gegen geltendes Recht verstoßen, ist nicht gut, sagt Christof Ostheimer. Das Hauptproblem im Kampf gegen Antibiotika-Missbrauch liege jedoch woanders. Denn Bäuerinnen wie Roloff behandeln immerhin nur die wirklich kranken Tiere mit Antibiotika - nicht den kompletten Bestand.
"Wo fahren wir jetzt hin?" / "Ja, jetzt fahren wir zu einem Mastschweinebetrieb hier im benachbarten Koog, in dem wir in den letzten zehn Jahren vermutlich nach unserer Aktenführung noch nicht gewesen sind. Also das ist für mich auch ganz Neuland, kenne ich nicht den Betrieb."
Kurz hinter dem Deich spritzt der Bauer und Schweinemäster sein Feld, als Ostheimer und Graber ihm zuwinken. Ungehalten klettert der Zwei-Meter-Mann in Latzhosen von seinem Trecker. Ostheimer und Graber erklären ihm, sie würden gern seine Schweinemast kontrollieren. Dokumentation, Blutproben, ein bis zwei Stunden.
"Passt mir aber ganz schlecht. Da kann ich mich nicht gegen wehren?" / "Nein, leider nicht." / "Ist so gutes Wetter." / "Ja schon, bleibt ja noch paar Tage gut." / "Nee, Radio will ich nicht mit dabei haben." / "Weil?" / "Ich das nicht möchte, weil die meiste Berichterstattung gegen die Landwirtschaft ist. Ist eigentlich fast nur noch negativ, alles schlägt auf die Landwirtschaft ein, will ich nicht." / "Könnten Sie ja einen Punkt dagegen machen." / "Ja, indem ich sie nicht reinlasse."
Der Schweinestall, ein grauer Blechbau ohne Fenster, das Dach bedeckt mit schräg aufgestellten Solar-Zellen. 2000 Schweine mästet er da drin. Industrieeller Standard.
Nach anderthalb Stunden kommen Graber und Ostheimer aus dem Schweinestall, packen ihre Overalls in Plastiksäcke.
Zunächst schien es so, als würden auch in dieser Schweinemast nur tatsächlich kranke Tiere mit Antibiotika behandelt.
"Und dann haben wir aber auch festgestellt, dass dort, entgegen seiner ursprünglichen Ankündigung so, doch auch die Tiere kurz nach der Aufstallung mit Amoxicillin, also einem Antibiotikum, und Fenbendazol, also einem Entwurmungsmittel, behandelt werden." / "Also so alle?" / "Ja, alle. Eine Methaphylaxe, bestandsweise Methaphylaxe. Das ziemlich regelmäßig."
Was Ostheimer sagt ist: Der Bauer kauft seine Ferkel bei einem Ferkelzüchter und wenn sie bei ihm im Stall ankommen, bekommen alle Ferkel Antibiotika ins Futter gemischt - auch wenn nur einige wenige Husten haben. Dieser "Begrüßungs-Cocktail" sei Standard in der Massentierhaltung, sagt Veterinär Ostheimer und das größte Übel im Kampf gegen die Antibiotika-Resistenzen.
"Also im eigentlich brisantem Vormastbereich, wird hier in dem Betrieb, in dem wir eben waren, wird genau das betrieben, was wir eigentlich nicht wollen, dass jedes gemästete Ferkel erstmal in seinen ersten Wochen eine Woche lang oder zwei Wochen mit einem Antibiotikum behandelt wird."
Ferkel drängen sich am im Ferkelaufzuchtbereich des Schweinezuchtbetriebes Seegers in Großenkneten (Niedersachsen).
Ferkel in einem niedersächsischen Ferkelaufzuchtbereich.© picture alliance / dpa
Wenn alle Ferkel - krank oder nicht - wochenlang Antibiotika bekommen hat das für Bauer und Tierarzt einige Vorteile. Der Bauer profitiert, weil die Ferkel nicht husten - aber sie wachsen auch schneller. Denn Antibiotika regen den Stoffwechsel an und machen die Ferkel schneller fett. Deswegen wurden Antibiotika lange auch als Mast-Mittel eingesetzt.
Das ist seit 2006 verboten. Jetzt müssen wenigstens einige Tiere krank sein, um die Behandlung eines ganzen Bestandes zu rechtfertigen. Aber auch der Tierarzt profitiert vom Antibiotika-Einsatz: Er verkauft sie nämlich. Anders als Humanmediziner sind Tierärzte auch Apotheker. Der Verkauf von Antibiotika ist für viele Tierärzte eine wichtige Einnahmequelle, sagt Christof Ostheimer.
"Es entsteht automatisch die Tendenz, möglichst viel abzugeben Antibiotika, denn da habe ich auch meinen Verdienst und meinen Gewinn davon."
Dieser Effekt wird verstärkt, weil die Pharmaindustrie den Tierärzten erhebliche Rabatte gewährt. Je mehr Antibiotika ein Tierarzt abnimmt, desto höher der Rabatt, desto höher sein potentieller Gewinn beim Verkauf an den Bauern. Deswegen fordern Grüne und Tierschützer: Die Rabatte der Pharmaindustrie für Tierärzte müssen begrenzt werden. Einige fordern auch, den Tierärzten gleich ganz das Dispensierrecht zu entziehen, also das Recht, Medikamente zu verkaufen.
"Wenn man die These vertritt, dass das Dispensierrecht der Tierärzte dazu geradezu drängt, möglichst viele Antibiotika und möglichst viele Arzneimittel abzugeben, um dadurch Einkommen zu erzielen, wenn man dieser These anhängt, dann sollte die Abschaffung des Dispensierrechts zu einer Reduzierung der Antibiotika-Anwendung führen." / "Vertreten Sie diese These?" / "Ich bin nicht sicher."
Ostheimer hofft, dass sich Tierärzte ethisch Verhalten. Ihr Recht, Medikamente zu verkaufen, ist mit vielen Pflichten verbunden. Tierärzte müssen prüfen: Was ist die Ursache der Krankheit und lässt sie sich vielleicht ohne Antibiotika beseitigen? Welcher Keim genau macht die Tiere krank? Nur mit solchen Laboruntersuchungen kann der Tierarzt nämlich ein zielgenaues Antibiotikum wählen, das nur jenen Keim bemämpft und nur beim ihm zu Resistenzen führt. Der gerade kontrollierte Schweinemäster hat jedoch alle seine 2000 Ferkel mit Amoxicillin gefüttert, einem Breitband-Antibiotikum, das bei einem ganzen Arsenal von Keimen zur Bildung von Resistenzen führen. Durfte der Tierarzt diesen Begrüßungs-Cocktail verschreiben?
"Da bin ich mir noch nicht sicher. Da muss ich mit der Tierärztin erstmal sprechen. Ich würde eher den Eindruck haben, aus den Gesprächen und dem Eindruck, den wir hier gewonnen haben im landwirtschaftlichen Betrieb, dass hier die Leitlinie nicht wirklich angewendet wurde."
Osteimer will den Tierarzt Anfang Oktober überprüfen. Er kann ihn zwingen, sich an die Antibiotikarichtlinie zu halten. Wenn er der Tierarzt sich nicht dran hält, droht ihm ein Bußgeld.
"In welcher Höhe ungefähr?" / "Einige hundert Euro, würde ich mal sagen."
Das dürfte den Tierarzt nicht schrecken. Denn durch die Rabatte der Pharmaindustrie macht der bei jeder Bestandsbehandlung von 2000 Schweinen mit dem Verkauf von Antibiotika einen geschätzten Gewinn von bis zu 250 Euro.
Diese routinemäßige Bestandsbehandlung mit Antibiotika gilt als das größte Problem beim Umgang mit Antibiotika im Tierstall. Tierschützer, Grünen-Politiker und FoodWatch sagen: Die Lösung ist einfach. Wir müssen die Massentierhaltung beenden, Tiere artgerecht halten, ihnen mehr Platz geben, dann werden sie seltener krank und wir brauchen kaum noch Antibiotika.
"Es ist eigentlich so einfach, es ist eigentlich so einfach, aber diese einfache Lösung ist gesellschaftlich nicht durchsetzbar."
Wer besonders viel Antibiotika verbraucht, muss seinen Verbrauch senken
Denn eine ganze Gesellschaft müsste ihre Ernährung umstellen. Ein Kilo Hähnchen würde dann nicht 3 Euro 80 kosten, sondern 5 Euro 80. Das will kaum ein Politiker riskieren und so reichte es nur zur 16. Novelle des Arzneimittelgesetzes. Halter von Masttieren müssen ihren Antibiotika-Einsatz erstmals an eine zentrale Datenbank melden; wer besonders viel Antibiotika verbraucht, muss seinen Verbrauch senken. Allerdings gelten diese strengeren Regeln nur für Masttiere, also Tiere, die Fleisch liefern. Das sind in Schleswig Holstein zwar die Mehrheit der Schweine und Hühner, aber eben nich alle Tiere, die Nahrungsmittel liefern.
"Das ist sehr, sehr bitter, meines Erachtens sehr hinderlich für die Beurteilung der Gesamtlage und auch für die Beeinflussung dieses ganzen Geschehens, aber es ist zumindest ein Einstieg, dass es jetzt zunächst mal eben in den reinen Mastbetrieben geschieht. Man wird dann im Laufe der nächsten zwei, drei Jahre learning by doing erkennen, dass das nicht ausreicht. Man hat dann aber schon mal die Strukturen geschaffen für die Dokumentation und für die Auswertung der Dokumentation und dann dürfte es auch leichter sein, auszuweiten auf die anderen Bereiche, die eben nicht konkret Mast sind, sondern die Vorstufen der Mast."
"So jetzt fahren wir jetzt - warte mal - hier jetzt rechts." / "Wo fahren wir jetzt hin?" / "Jetzt ist es halb vier? Oje. Da können wir keinen Betrieb mehr machen. Den Rinderbetrieb, den wir da vorhin am Morgen gewesen sind, wo wir gesagt haben, wir kommen am Nachmittag wieder, wenn wir da jetzt in einer Viertelstunde hinkommen, ist der gerade am Melken. Das ist ne Zeit, da kann man wirklich nicht in einen Betrieb zu einer Kontrolle. Das muss ich nicht nächste Woche machen oder so. Wir können jetzt nichts mehr beschicken. Tut mir leid. Ist so."
"Wir fahren jetzt über Langenhorn, da ist nämlich die beste Bäckerei des Nordens. Da trinken wir einen Kaffee und dann gehts schnurstracks nach Hause."
Seit über 20 Jahren macht Christof Ostheimer das jetzt, diese Kontrollen. Es habe sich viel verbessert. Bei Lebensmittelproben fänden sie immer weniger Rückstände, auch verbotetene Medikamente seien selten geworden. Auch die Dokumentation der Bauern habe sich verbessert.
"Die entscheidende Frage ist letztlich: Wird denn der Einsatz von Medikamenten, insbesondere der Antibiotika, ist der rückläufig? Wird die Verpflichtung zum sorgsamen Einsatz der Antibiotika, wird diese Verpflichtung der Tierärzte wird sie eingehalten stärker als früher? Da sind die Fortschritte auch sichtbar, aber nicht zufriedenstellend."
Christof Ostheimer blickt aus dem Fenster auf die weißen Windräder, die Richtung Wattenmeer schauen.
"Also da ist noch großer Bedarf, aber wir sehen ja rund um uns herum die ganzen Windmühlen überall laufen. So wie sich da im Energiebereich doch einiges inzwischen ändert und wir von der Atomenergie wegkommen und von den fossilen Brennstoffen, so ist das hier in diesem Bereich des Verbraucherschutzes meines Erachtens auch der Fall. Es ist ein dickes Brett, was wir da zu bohren haben, aber gegen Windmühlen anlaufen, so würde ich es auf keinen Fall bezeichnen oder eben auch nicht sehen."
Die Bilanz des heutigen Tages: eine Bäuerin, die ihren Antibiotika-Einsatz weiterhin nur lückenhaft dokumentiert und ein Schweinemäster, dessen Tierarzt 2000 Schweinen regelmäßig wahrscheinlich ordnungswidrig Antibiotika als Begrüßungs-Cocktail verschreibt.
"Wie ist so ihr Gefühl, bewirken die Kontrollen was? Sind die sinnvoll?" / "Auf jeden Fall, da bin ich mir sicher. Ich glaube, ich kann das auch ganz gut beurteilen, weil ich ja wirklich schon seit mehr als 20 Jahre da im Geschäft bin und das mache."
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