Anti-Israel-Demos in Berlin

Deborah Feldman: Das ist "purer Judenhass"

Teilnehmer einer Demonstration verbrennen am 10.12.2017 eine selbstgemalte Fahne mit einem Davidstern in Berlin im Stadtteil Neukölln.
Teilnehmer einer Demonstration verbrennen am 10.12.2017 eine selbstgemalte Fahne mit einem Davidstern in Berlin im Stadtteil Neukölln. © dpa/Jüdisches Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus e.V.
Ruth Fruchtman und Deborah Feldman im Gespräch mit Joachim Scholl · 13.12.2017
Aus Protest gegen die Entscheidung von US-Präsident Trump, Jerusalem als Hauptstadt Israels anzuerkennen, sind bei Kundgebungen in Berlin israelische Fahnen verbrannt worden. Wir haben mit den beiden Schriftstellerinnen Deborah Feldman und Ruth Fruchtman über die Situation in Berlin gesprochen.
Joachim Scholl: Nun begrüße ich zwei Gäste, zum einen Deborah Feldman, die deutsch-amerikanische Schriftstellerin, die über ihre orthodox-jüdische Herkunft und Familie weltweit bekannt wurde durch einen weltweiten Bestseller.
Guten Tag, Frau Feldman!
Deborah Feldman: Guten Morgen!
Scholl: Und an ihrer Seite sitzt Ruth Fruchtman, sie ist in London geboren, hat dort Germanistik studiert, in Israel und längere Zeit in Frankreich gelebt. Ihre jüdischen Wurzeln führen nach Polen, und seit nunmehr bald 40 Jahren schreibt Ruth Fruchtman als Schriftstellerin auf Deutsch in Berlin.
Kürzlich ist ihr jüngster Roman "Jerusalemtag" erschienen. Schön, dass Sie gekommen sind, Frau Fruchtman!
Ruth Fruchtman: Danke schön!
Scholl: "Jerusalemtag", mit diesem Wort feiert man in Israel die Besetzung Ostjerusalems vor 50 Jahren im Juni 1967 während des Sechstagekriegs, und in diese Zeit führt Ihr Roman zurück, er spielt aber auch in der Gegenwart, Frau Fruchtman, und den immer wiederkehrenden Konfliktsituationen um diese Stadt Jerusalem. Jetzt hat Donald Trump einen eigenen Jerusalemtag geprägt, könnte man sagen. Wie haben Sie denn diese Ankündigung, diese Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt Israels empfunden?
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Die Autorin Ruth Fruchtman im Studio im Deutschlandfunk Kultur© Deutschlandradio / Laura Lucas
Fruchtman: Ich war sehr schockiert. Also ich finde wirklich, das war die Flinte ins Korn werfen, und es hat bestimmt sehr, sehr negative Auswirkungen. Es gab diese Demonstrationen am Wochenende, ganz empörte Palästinenser, also mit Recht, und auch andere Araber, und, ich glaube, sogar aus der Türkei.
Scholl: Wie ist es Ihnen gegangen, Frau Feldman? Wie haben Sie das registriert, diesen Affront, als Affront?

"Klare Grenze zwischen Israelkritik und Antisemitismus"

Feldman: Also schockiert war ich nicht, weil mit Donald Trump kann man nicht wirklich schockiert sein, mit diesen Demonstrationen auch nicht, weil solche Demonstrationen sind schon auch stattgefunden in Berlin, habe ich auch persönlich erlebt. Ich habe in Neukölln gelebt, ich habe mehrmals sowas mitbekommen. Also das ist alles eigentlich gar nicht neu. Vielleicht haben wir neue Auslöser, aber es gab immer wieder Auslöser dafür, und ich bin selbst auch ziemlich israelkritisch, finde aber, dass es eine klare Grenze gibt zwischen Israelkritik und Antisemitismus, und das, was wir am Wochenende erlebt haben, was wir schon mehrmals in Berlin erlebt haben, ist keine Israelkritik mehr, sondern purer Judenhass.
Scholl: Frau Fruchtman, Sie haben in Ihrer Arbeit immer wieder Partei auch für die Palästinenser ergriffen, mussten oft scharfe Kritik einstecken, haben aber oft auch immer hingewiesen, Israelkritik muss nicht Antisemitismus heißen, aber jetzt haben wir in den letzten Tagen diese palästinensischen Demonstranten gesehen, wie sie durch die Straßen gezogen sind. Es wurden israelische Flaggen oder Flaggenattrappen verbrannt. Wie reagieren Sie da drauf? Wie besorgt Sie das?

Antiisraelisch, antizionistisch

Fruchtman: Im Gegensatz zu Frau Feldman habe ich das nicht als puren Judenhass erlebt, ich habe das natürlich als Hass auf Israel erlebt und auf diese israelische Politik, und die Palästinenser, die ich kenne, die können einen Unterschied machen zwischen Israelis und anderen Juden, es gibt auch palästinensische Israelis, also Palästinenser mit israelischem Pass natürlich und Staatsbürgerschaft, aber ich ... Nein, die Sprüche, die ich gehört habe, waren nicht antijüdisch. Gut, sie waren schon antiisraelisch, antizionistisch.
Scholl: Aber das Ressentiment natürlich ist, glaube ich, auf jeden Fall vorhanden und wird vielleicht jetzt einfach auch noch ventiliert durch diese Situation. Sie, Frau Feldman, haben schon öfter öffentlich erzählt, gerade kurz in einem Nebensatz auch erwähnt, dass Sie die Haltung von Palästinensern hier in Berlin, also auch da, wo Sie gewohnt haben in Neukölln, oft als klaren Antisemitismus empfunden haben. Wie hat sich das ausgedrückt?
Deborah Feldman
Die Autorin Deborah Feldman. © ©MathiasBothor 2015
Feldman: Also ich bin in 2014 nach Berlin gezogen, und ich habe zuerst in der Sonnenallee gewohnt. Ich war ja umgeben von der arabischen und türkischen Gesellschaft.
Scholl: Die große Meile in Neukölln.

"Das kann nicht mehr mit Wut erklärt werden"

Feldman: Genau. Ich habe viele Leute kennengelernt, Leute aus Libanon, Leute aus der Türkei, Leute aus Syrien, Leute auch aus Palästina. Es gibt, wie Frau Fruchtman auch erwähnt hat, viele Leute, die differenzieren können, es gibt mindestens genauso viele, die nicht differenzieren wollen.
Das heißt, als ich da gelebt habe, musste ich verstecken, dass ich jüdisch bin, ich habe extrem oft antijüdische Parolen gehört, ich musste meinem Sohn beibringen, dass er niemandem erzählen kann, dass er jüdisch ist. Man hat ständig gefragt, woher wir kommen. Es gab immer diesen Verdacht, sind wir vielleicht ..., und dann immer dieser Versuch zu raten, bin ich doch ..., und im Handyladen hat man mich gefragt, bin ich jüdisch, weil mein Nachname darauf deuten würde, und dann habe ich gefragt, ist das problematisch für Sie – nein, aber alle meine Freunde hassen Juden, weil die Probleme mit Israel haben.
Ich habe gesagt, ja, Gott sei Dank, Sie können ja den Unterschied ziehen, aber er meinte, ich vielleicht, die meisten nicht. Und so haben wir es genau erlebt, und die meisten Leute, wenn sie angefangen, über Israel zu sprechen, dann haben sie sehr schnell über Juden im Allgemeinen gesprochen. Die hatten gesprochen, dass die Juden alles kontrollieren wollen, dass sie das Geld besitzen, dass sie Macht über Deutschland verfügen wollen und so weiter.
Ich finde, dass das, was über das Wochenende bei den Demonstrationen gesagt wird, zum Beispiel "Tod den Juden", das geht nicht mehr um Israel. Wir sehen, wie die antisemitischen Angriffe dann weltweit ausgelöst werden, das kann nicht mehr mit gerechtfertigter Wut erklärt werden. Klar, Menschen sind politisch wütend – dafür sollte man eigentlich keine Synagoge in Schweden angreifen und kein Restaurant in Amsterdam. Da ziehe ich meine Grenze, und ich bin fähig zu verstehen, dass es Menschen gibt in dieser Gemeinschaft, die differenzieren können, ich bin genauso fähig aber, das wahre Problem anzuerkennen, nämlich dass die meisten Leute Israelkritik als Grund ausnutzen, um ihren Antisemitismus zu untermauern und besonders in Deutschland, dass sie gerne den wunden Punkt bei den Deutschen treffen würden, nämlich, ah, hier ist Antisemitismus besonders provozierend, wir provozieren gerne, weil wir uns sowieso ausgegrenzt fühlen.
Scholl: Das ist natürlich jetzt ein ganz perfider Mechanismus, den Sie beschreiben. Frau Fruchtman. Sie leben, glaube ich, jetzt fast 40 Jahre in Berlin.
Fruchtman: Ja. 30 in Berlin, 40 in Deutschland.
Scholl: 30 in Berlin. Haben Sie denn ähnliche Erfahrungen oder ganz andere Erfahrungen wie Frau Feldman gemacht, gerade auch, weil Sie ja doch immer auch sich für die palästinensische Position öffentlich eingesetzt haben als Jüdin mit einem Namen, der sofort an das Jüdische erinnert – Fruchtman?

"Netanjahu will einen jüdischen Staat für ethnische Juden"

Fruchtman: Ja. Also nein, ich habe diese Erfahrungen, ehrlich gesagt, nicht gemacht. Also bei den Deutschen habe ich eher einen ausgeprägten, manchmal falschen Philosemitismus erlebt, und ich habe sehr viele Phasen also in Deutschland, in der Bundesrepublik mitbekommen, aber ich finde, es ist kein Wunder, wenn ... Ich meine, ich befürworte das nicht, und ich weiß auch nicht, wie ich reagieren würde in solchen Situationen. Ich habe nicht in Neukölln gelebt, aber es ist kein Wunder, dass man jüdisch sagt, wenn Netanjahu ständig auf einen jüdischen Staat pocht. Er will nicht einen demokratischen Staat für alle. Also er will einen jüdischen Staat für ethnische Juden.
Scholl: Wir haben natürlich jetzt auch eine Situation, bei der man den Eindruck hat, dass für Differenzierung gar kein Platz ist. Also Donald Trump ist wie ein Elefant im Porzellanladen, Premier Netanjahu brüskiert jetzt die EU, indem er sie auffordert, eben auch diese Anerkennung zu leisten. Haben Sie beide denn, Frau Feldman, Frau Fruchtman, eigentlich noch Hoffnung, dass aus dieser heillos scheinenden Situation ja noch irgendein vernünftiger Weg herausführt? Was meinen Sie?

"Ich bin für keine Theokratie"

Feldman: Also ich denke, das wird jetzt sehr, sehr lange dauern. Ich weiß nicht, ob in meiner Lebenszeit eine Lösung gefunden wird. Ich habe gelesen, dass viele Palästinenser selbst schon die Zweistaatenlösung längst aufgegeben haben, dass sie denken, langfristig ist es wirklich nur möglich, einen Staat zu haben, wo alle die gleichen Rechte haben. Das wäre natürlich ein Traum. Das hätte ich sehr gerne. Ich bin, wie Frau Fruchtman, nicht dafür, dass es einen ethnisch-jüdischen Staat gibt. Ich bin für keine Theokratie. Und ich finde es natürlich als Jüdin in der westlichen Welt sehr schwierig, was gerade mit Amerika und Israel los ist, auch persönlich in meinem Leben hat es wieder Wirkungen: Mit den vielen jüdischen Freunden, die ich in Berlin habe, ist es sehr, sehr problematisch. Wir sind gerade alle sehr niedergeschlagen, und meine Hoffnung wird immer da sein, aber es sieht jetzt gerade nicht so gut aus.
Scholl: Frau Fruchtman, Ihr Roman führt ja auch in die Welt Jerusalems. Man hat wirklich das Gefühl, man schreitet durch diese wunderbare Stadt mit Ihnen. Was denken Sie, verzagt sie ein wenig, die Situation, auch dass es vielleicht eine Lösung doch einfach nicht geben kann?

Eine schlechte Situation noch verhängnisvoller gemacht

Fruchtman: Es war schon schwierig genug, bevor Herr Trump gesprochen habt, und ich finde auch ... Ich meine, die Anzahl von Siedlungen in der Westbank macht praktisch eine Zweistaatenlösung sehr schwierig, und ideal wäre natürlich ein binationaler Staat wie von Martin Buber, also Kulturzionist, erwünscht war, aber zurzeit ... Also ich finde es wirklich sehr schlimm, was Trump gemacht hat. Er hat eine schlechte Situation noch verhängnisvoller gemacht, und ich weiß nicht, wie das ausgehen wird. Ich kann mir vorstellen, das war mit Netanjahu abgesprochen, um die Palästinenser sowieso zu spalten, also um diese Vereinigung zwischen Fatah und Hamas und jegliche Friedenslösung zu torpedieren.
Scholl: Ich danke Ihnen, Ruth Fruchtman, und Ihnen auch, Deborah Feldman, für dieses Gespräch und Ihren Besuch!
Alles Gute Ihnen beiden! Der Roman von Ruth Fruchtman, "Jerusalemtag", ist jetzt im Berliner Klak Verlag erschienen, 262 Seiten der Umfang, 16,90 Euro der Preis.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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