Anschlag in London

Gewöhnen wir uns langsam an Anschläge?

Ein Polizist steht in London vor einer abgesperrten Straße.
Nach dem Anschlag in London stehen viele Briten noch unter Schock © AFP / Joel Ford
Immo Fritsche im Gespräch mit Anke Schäfer  · 23.03.2017
Bei dem Anschlag in London starben vier Menschen. Dennoch gab es beim Länderspiel Deutschland-England keine Schweigeminute. "Man kann sagen, dass eine Wiederholung von Anschlägen, die nach einem ähnlichen Muster ablaufen, zu einer Gewöhnung führen kann", so Psychologe Immo Fritsche.
Wenige Stunden vor dem Länderspiel zwischen Deutschland und England erschütterte ein Anschlag in London die Welt. Vier Menschen kamen bei dem terroristischen Angriff ums Leben. Dennoch gab es vor Anpfiff des Abschiedsspiel von Lukas Podolski weder eine Schweigeminute, noch liefen die Mannschaften mit Trauerflor auf. Spiegelt das wider, dass wir uns in Europa langsam an Anschläge gewöhnen?

Mentale Schemata

"Psychologisch kann man sagen, dass eine Wiederholung von Anschlägen, die nach einem ähnlichen Muster ablaufen, zu einer gewissen Gewöhnung führen kann", sagte der Sozialpsychologe Immo Fritsche von der Universität Leipzig im Deutschlandradio Kultur. Dadurch könnten Ereignisse als weniger bedrohlich wahrgenommen werden und wären weniger präsent. "Das heißt, an einzelne Ereignisse können wir uns möglicherweise dann irgendwann nicht mehr so gut erinnern in einer Kette." Dass eine gewisse Gewöhnung stattfinde, könnte ein Hinweis darauf sein, dass sich bereits gewisse "mentale Schemata" entwickelten. Es gebe dann bereits eine Erwartungshaltung, wie Anschläge ablaufen könnten und wer mögliche Täter seien. Im konkreten Fall des Anschlags in London müsse man aber zunächst ein paar Wochen abwarten, um wirklich zu sagen, wie die öffentliche Wahrnehmung sei, sagte Fritsche.

Sehnsucht nach Gemeinschaft wächst

Der Sozialpsychologe verwies auf unbewusste Prozesse, die ein gesellschaftliches Klima verändern könnten. Beim Umgang mit Bedrohung wachse die Sehnsucht nach Gemeinschaft und das Denken in Gruppen. "Denken in Wir versus Die, dass Terroristen in aktuellen Lagen erzeugen wollen, das steigt an." Das zeigten experimentelle Studien. Menschen identifizierten sich durch Bedrohungen stärker mit eigenen Gruppen, sei es die Familie oder die eigene Nation. Gleichzeitig deute die Forschung darauf hin, dass die Wahrnehmung von Bedrohung in Gesellschaften langfristig zu einem "conservative shift" führen könne. Das heißt, es würden politische Ansichten bevorzugt, die eher konservativ sind.
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