Angst und Hilflosigkeit

Von Christian Geuenich · 16.10.2008
In "Das Fremde in mir" erzählt die Regisseurin Emily Atef von einer Mutter, die ihr neugeborenes Wunschkind nicht lieben kann. Es ist ein Sozialdrama, das beim Internationalen Filmfest Oldenburg mehrere Preise gewonnen hat.
"Es geht um eine sehr gegenwärtige Krankheit, die es bestimmt auch vor 200 Jahren schon gab, eine Tabukrankheit, man redet nie darüber.

Aber man muss sehr präzise sein, weil 10 bis 20 Prozent aller Frauen, die gebären, diese Krankheit haben. Und da ich selbst nicht Mutter bin, Esther Bernstorff, meine Ko-Autorin auch nicht, da mussten wir ganz präzise recherchieren, sehr viel mit Frauen reden."

Am Vorabend bei der Deutschlandpremiere von "Das Fremde in mir" konnte man noch deutlich die große Anspannung bei Emily Atef spüren. Sie war unsicher, wie das schwierige Thema postnatale Depression ankommt, wie das Publikum wohl reagiert, wenn eine Mutter ihr Kind nach der Geburt nicht so lieben kann, wie sie möchte.

Der große Applaus hat der iranisch-französische Regisseurin sichtlich gut getan, jetzt redet sie ganz gelöst über ihren Film. Die 35-Jährige mit dunklem Teint und schwarzgelockten Haaren, die sie locker hochgesteckt hat, sitzt auf einem Barhocker, trägt ein blaues Oberteil und einen grün-karierten Rock.

Filmausschnitt "Das Fremde in mir":

"Alle waren so begeistert von seinem Geruch, ich habe da nichts gerochen, das hat nach nichts gerochen. Ich wollte, dass er wieder weg ist. Ich habe das Gefühl, meine Milch ist Gift. Lukas wollte sie auch nicht trinken."

Therapeut: "Er hat Ihre Anspannung gefühlt."

Im Zentrum von Atefs Film steht eine Mutter, die über mehrere Wochen unter einer schweren postnatalen Depression leidet und ihr Wunschkind nicht annehmen kann.

"Was uns auch noch sehr wichtig war, ist, dass das Publikum sich niemals so hinterlehnen kann und sagen kann, ach, sie hat keine gute Beziehung zu ihrer Mutter, ach sie kommt aus einem schwachen sozialen Umfeld, das würde mir nicht passieren. Wir wollten, dass man niemals so ganz ruhig sein kann, okay das ist ein Film, das würde mir nie passieren."

Rebeccas soziales Umfeld spiegelt eine Gesellschaft wider, in der die sofortige Mutterliebe nach der Geburt als Selbstverständlichkeit angesehen und alles andere als unnormal und rabenmütterlich abgelehnt wird. Emily Atef gelingt es ohne Pathos und musikalische Untermalung mit ihrer Geschichte leise und intensiv zu berühren.

"Mein Ziel ist es immer eine kleine Geschichte zu erzählen, aber ein großes Drama darin zu finden und es zu erzählen, ohne die Hilfe von außen, Schnörkeleien, so wie Musik nonstop, Dialog-Erklärung, sondern Platz geben, um den Schauspielern den Platz zu geben zu spielen, aber auch den Figuren, den Platz zu geben, zu leben."

Emily Atef wird in Berlin als Tochter eines iranischen Bauingenieurs und einer Französin geboren. Als sie 7 Jahre alt ist, zieht die Familie nach Los Angeles, mit 13 in das kleine Heimat-Dorf der Mutter im ostfranzösischen Jura-Gebirge.

"Es war nicht einfach als Kind, immer der Fremde zu sein, aber jetzt ist es etwas, was mir eine Stärke gibt. Als Teenager wollte ich einfach normal sein, ich wollte nicht immer das Mädchen sein mit Akzent. Als ich aus Deutschland nach Amerika kam, kam ich da hin mit meinem Scout-Schulranzen, der totale Nerd, meine Mutter hat mir immer die Haare kurz geschnitten, ich hatte so John-Lennon-Glasses, ich war der totale Außenseiter, und die haben mich fertig gemacht."

Nach dem Abitur studiert Emily Atef Schauspiel an der renommierten Ecole Jacques Lecoq in Paris. Mit 24 geht sie ans National Theatre nach London, arbeitet dort als Schauspielerin, ist mit diesem Beruf aber unglücklich. Nebenbei dreht sie Kurzfilme und merkt, dass es sie hinter die Kamera zieht. Also beginnt sie mit 28 noch einmal ein Studium an der Deutschen Film- und Fernsehakademie in Berlin.

"Seitdem ich das gefunden hatte, rein persönlich fühlte ich mich auf einmal stabil, als ob ich auf meinen zwei Füßen gelandet bin. Eine unglaubliche Stärke habe ich gefühlt, weil ich mich gefunden hatte."

Bei der Frage, was sie denn an ihrer Arbeit als Drehbuchautorin und Regisseurin so reizt, muss Emily Atef nicht lange überlegen.

"Erstmal eine Geschichte zu entwerfen, dieser Schreibprozess, das ist so wunderbar. Und dann das noch mit Bild, mit Schauspielern dann wirklich so zu hinzubiegen, dass es so ist, wie ich es fühle, und natürlich beeinflusst von diesen ganzen unglaublichen Künstlern, die mir noch dazu Geschenke geben, und das dann einem Publikum zu liefern, das dann - wenn man Glück hat - auch noch emotional da gebunden sind, das ist einfach großartig, wirklich."

Schon während ihres Studiums dreht sie "Molly’s Way", bekommt dafür den Förderpreis Deutscher Film für das Beste Drehbuch. Der Film, für den Atefs älterer Bruder die Musik geschrieben hat, handelt von der Irin Molly, die in einer polnischen Kleinstadt Marcin sucht, den Vater ihres ungeborenen Kindes. Bei den Dreharbeiten in Polen lernt Emily Atef ihren jetzigen Ehemann kennen - einen Filmausstatter, der wie die Figur im Film Marcin heißt. Obwohl oder vielleicht gerade weil sie als Kind so viel gereist ist, ist die Regisseurin gerne unterwegs.

Mit ihrem Mann zu kochen oder DVDs zu gucken, sei Luxus, sagt Emily Atef, die gerne an einem See wohnen würde, um morgens direkt in der Natur joggen zu können - am liebsten mit Musik.

"Das liebe ich auch. Yoga und Laufen, total. Also ich laufe wie eine Schildkröte, sehr, sehr langsam, aber so daydreaming ist so mein Ding, dieses Abdriften, das habe ich schon immer gehabt, diese Neigung einfach aus dem Fenster zu schauen und einfach zu träumen, vielleicht braucht man das auch, um wieder runterzukommen."