André Heller: "Das Buch vom Süden"

Weisheiten eines Entertainers

Enge Gassen an einem Seitenkanal in der Lagunenstadt Venedig.
Venedig - dorthin reist der Held in Hellers Roman, ins "Lourdes für Seelenkranke". © picture alliance / dpa / Matthias Schrader
Von Edelgard Abenstein · 11.06.2016
Der mulitalentierte Künstler André Heller hat seinen ersten Roman veröffentlicht und spaltet damit die Kritikergemeinde. Edelgard Abenstein hält das Buch für einen altmodischen Bildungsroman, der vor Beschaulichkeit strotzt.
André Heller polarisiert. Die einen halten ihn für einen großsprecherischen Scharlatan, die anderen für ein altersloses Wunderkind. Auch Hellers erster Roman, "Das Buch vom Süden", spaltet, zumindest die Kritiker. Die einen lesen ihn als "Fortsetzung von Joseph Roth" (Die Zeit, Ulrich Weinzierl), und dabei könne einem, jubelt Denis Scheck, so warm werden, dass man aufpassen muss, "keinen Sonnenbrand zu bekommen", die anderen ersticken "im Zuckerguss der Manier" (FAZ, Daniela Strigl).
Was an dem Buch am meisten überrascht: Es kommt vollkommen ohne Spektakel aus. Im Gegenteil, es ist ein gediegener, in der Form durch und durch altmodischer Bildungsroman. Im Mittelpunkt steht ein junger Mann, der wie Heller selbst eine behütete, materiell sorglose Kindheit im Nachkriegswien erlebt.
Erfunden sind die fürsorglichen Bilderbucheltern, der Vater vor allem. Der stellvertretende Direktor des Naturhistorischen Museums, feinsinnig und von delikatem Witz, trauert zeitlebens dem Verlust des Südens nach, den Zypressen und seidenbespannten Sonnenschirmen, die Österreich 1918 mit dem Verlust von Triest und Meran eingebüßt hat. Ein melancholisches Erbe, das sich auf den wohlerzogenen Sohn überträgt. Er entwickelt sich zu einem talentierten Pokerspieler, reist von Casino zu Casino, und weil er viel Geld gewinnt, kann er sich alsbald in einer 13-Zimmer-Villa samt angeschlossenem Park am Gardasee zur Ruhe setzen.

Eine Fülle an Ratschlägen für ein glückendes Leben

In der ersten Hälfte des Romans jagt eine Anekdote die andere, drollige k.u.k.-Originale kreuzen den Weg des Helden: ein Hausarzt, der statt Aspirin ein Rilke-Gedicht verordnet, ein Graf Eltz, später Abkömmling der Monarchie, der jede Lebenslage mit von Wiener Schmäh durchtränkten Bonmots verschönert.
In der zweiten Hälfte wird das Tempo gedrosselt. Es passiert nur noch wenig, sieht man von den Liebesexerzitien ab, die der Held an der Hand dreier, mit unterschiedlichen Talenten begabten Musen absolviert. Stattdessen folgt ein Ratschlag, wie ein glückendes Leben zu führen wäre, auf den nächsten. Man folgt dieser Serie zunehmend ungeduldig, bis am Ende Prediger Heller überraschend eine ganz neue Erkenntnis verkündet: Im Süden vermöge der Mensch zu sich zu kommen, sich mit sich selbst zu versöhnen.

Gemächliches Einerlei

Dass Heller einst spritzig-boshaft formulierte, ist dem Roman kaum anzumerken. Humor blitzt nur durch, wenn er dem Helden bei allem Stillstand mal einen Ausflug nach Venedig gönnt, "dem Lourdes für Seelenkranke" oder ihn über Österreich wettern lässt. Gefühle, Leidenschaften gar gestattet er sich nur bei zutiefst bitteren Geschichten aus der Vergangenheit. Die bitterste handelt von einem Kind, das mit seinem kleinen Bruder aus dem Konzentrationslager flüchtete. Diese Geschichte, atemberaubend pointiert erzählt, ragt einsam heraus aus dem gemächlichen Einerlei des Romans. Es scheint, als hätte Heller große Ehrfurcht vor der großen Form verspürt. So viel Beschaulichkeit war von dem Entertainer, der die Show und schrille Auftritte liebt, nicht zu erwarten. Aber seine Fans werden ihn womöglich für all die abgeklärte Weisheit lieben.

André Heller: Das Buch vom Süden
Zsolnay Verlag, Wien 2016
336 Seiten, 24,90 Euro

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