Andenken

Die wundersame Vermehrung der Berliner Mauer

Von Gerd Brendel · 13.08.2014
Es scheint endlos viele davon zu geben: Bunt bemalte Betonbrocken, die als Stücke aus der Berliner Mauer verkauft werden. Doch angesichts ihrer Zahl müsste die Mauer viel größer gewesen sein. Woher kommen sie also? Die Spur weist eindeutig ins Reich der Mitte - wobei es auch hierzulande entsprechende Kompetenzen gäbe.
"Mauerstück - bitteschön."
Mit Verschwörermine hält Ismet zehn Zentimeter antifaschistischen Schutzwall in der Hand. 50 Stückchen vom angeblich historischen Beton verkauft er täglich an seinem Stand gleich hinter dem Checkpoint Charlie.
"Ja, das ist original. Ich weiß, das original."
Behauptet der Andenken-Verkäufer.
"Hat Freund kaputt gemacht, habe von ihm genommen das."
Oder doch der Freund vom Freund? Oder der Freund vom Freund vom Freund des Freundes?
Das Misstrauen ist berechtigt. Denn selbst wenn seit dem Mauerfall die rund 500 offiziell gemeldeten fliegenden Händler und Souvenir-Läden pro Tag jeweils nicht mehr als 50 Mauer-Reliquien verkauften hätten, kommt man auf knapp zwei Milliarden Quadratzentimeter oder 182.500 Quadratmeter Berliner Mauer. Der historische Schutzwall allerdings belief sich allerdings nur auf eine Fläche von 146.200 Quadratmetern.
Ein Fall von Produktpiraterie
Mann: "Wo finden Sie das schon? Mauer ist alle."
Wie wahr! Und das schon seit einer ganzen Weile. Woher aber kommen die bunt bemalten Betonbrocken? Aus welchem Mauerwerk werden sie heimlich herausgebrochen? Und von wem? Und zu welchen Arbeitsbedingungen?
Man muß also in eine andere Richtung forschen. Worum geht es? Um einen Fall von Produktpiraterie. Und da weist die Spur eindeutig ins Reich der Mitte. Erstens verfügen die Chinesen seit Jahrhunderten über ein eigenes Bauwerk ähnlicher Machart als Anschauungsmaterial, und zweitens: Wenn schon Gucci-Taschen, Rolex-Uhren und Kuckucksuhren "made in China" massenweise zwischen Schanghai und Hongkong vom Fließband gehen, warum dann nicht Berliner Mauer-Stückchen?
Klingt wahrscheinlich - aber wünschenswert? Wohl kaum, denn wo bleibt der Nutzen für die Werktätigen vor Ort, für die täglichen Grenzgänger? Also den Auftrag für den Mauernachschub an die hiesige Industrie vergeben! Mit einem Mal wäre die Baukrise überwunden. Und das nötige Know-how darf man zumindest in der Hauptstadt auch voraussetzten. Dort sammelt man ja ständig neue Erfahrungen mit der Verfertigung deutscher Geschichte als Kopie, wie der Neunachbau des Berliner Stadtschlosses - vermutlich aus DDR-Beton - eindrucksvoll beweist.
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