Anatol Stefanowitsch über politisch korrekte Sprache

Sprechen in der Öffentlichkeit verlangt mehr Nachdenken

Ein kleiner Mann steht auf einem Hocker und hält eine Angel mit einer Sprechblase vor einen großen Mann am Mikrofon.
Man solle sich möglichst so ausdrücken, wie man selbst angeprochen werden wolle, rät Anatol Stefanowitsch. © imago/Ikon Images
Moderation: Andrea Gerk · 08.05.2018
Es gibt wenig, über das Menschen so engagiert diskutieren wie politisch korrekte Sprache. Allerdings nicht in jedem Fall. "Wir haben das Gefühl, bestimmte Leute müssen sich bestimmte Dinge gefallen lassen", sagt der Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch.
Andrea Gerk: Es gibt Weniges, worüber sich Menschen derartig aufregen können wie über den Umgang mit unserer Sprache. Ob es das angebliche Eindringen von zu vielen Anglizismen und jugendsprachlichen Wendungen ins Deutsche ist oder der politisch korrekte sprachliche Umgang mit Minderheiten, den verschiedenen Geschlechtern und - wenn man sich rechte Hetzschriften im Internet anschaut, muss man schon sagen - mit Menschen an sich. Für eine politisch korrekte Sprache plädiert der Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch jetzt in einem schmalen Bändchen und jetzt ist er bei mir im Studio. Hallo, guten Tag, Herr Stefanowitsch!
Anatol Stefanowitsch: Hallo, ich freue mich, dass ich hier bin.
Gerk: "Eine Frage der Moral" heißt Ihr Essay, und wenn man sich jetzt da so widerliche Hetzschriften da anguckt, dann ist man ja sofort d'accord. Also wenn gegen Flüchtlinge, Politiker da in übelster Weise sich ausgesprochen wird. Aber es gibt ja so andere Fälle von Sprachregelung, meinetwegen wenn Kinderbücher verbessert werden, also wenn da bestimmte fragwürdig gewordene Begriffe rausgenommen werden oder auch, als es um die österreichische Nationalhymne ging - da regen sich alle dann plötzlich auf. Wie kommt das, dass die Reaktionen da so unterschiedlich sind?
Stefanowitsch: Also zum einen ist es sicher die Macht der Gewohnheit. Wir haben uns daran gewöhnt, dass der öffentliche Diskurs, der politische Diskurs auch da, wo er etwas härter geführt wird, dass der in einem gewissen gemäßigten Rahmen geführt wird. Also das, was nicht nur die AfD leider, sondern auch immer mehr Politiker am rechten Rand des demokratischen Spektrums da sprachlich liefern, das hat irgendwo eine neue Qualität und das fällt auf.
Deshalb ist es vielleicht leichter, da einzusehen, dass wir es hier mit einem Problem zu tun haben, als eben in diesen Fällen von Kinderbüchern, die zum Teil 50 Jahre oder älter sind, die wir als Kinder selber so gelesen haben, bei denen uns eben der Rassismus eventuell nicht mehr so auffällt. Der andere Grund ist vermutlich, dass wir doch irgendwo unterscheiden zwischen unterschiedlichen Gruppen von Betroffenen. Also wir haben irgendwo das Gefühl, bestimmte Leute müssen sich bestimmte Dinge eben gefallen lassen und andere Leute vielleicht nicht. Und daher kommen auch diese unterschiedlichen Reaktionen auf unterschiedliche Arten von Diskriminierung.

Jeden so behandeln wie man selbst behandelt werden möchte

Gerk: Tatsächlich ist das ja auch die interessante Frage, wo fängt das an, dass eben Empörung berechtigt ist, dass bestimmte Begriffe einfach nicht mehr gehen und auch historisch so belastet sind, dass man sie nicht mehr verwenden soll. Und wo fängt diese Übersensibilisierung an, dass man eben so vorsichtig wird, dass man gar nicht mehr unreflektiert sprechen kann, was ja eigentlich wesentlich für unsere Sprache ist, im Alltag sprechen wir ja wie wir gehen, wir denken ja da nicht pausenlos drüber nach. Wo sehen Sie da diesen Grad, wo das kippt?
Stefanowitsch: Zunächst einmal würde ich sagen, übersensibel kann man eigentlich so lange nicht sein, wie es darum geht, Rücksicht auf Menschen zu nehmen. Vielleicht nimmt man mal zu viel Rücksicht auf jemanden, das kann sicher mal vorkommen, dass man an irgendeiner Stelle Rücksicht nimmt, wo es eigentlich gar nicht nötig gewesen wäre, aber das ist ja nicht schlimm. Es ist ja besser so rum als andersrum. Deshalb würde ich sagen, solange es darum geht, dass man eben sich immer wieder auf so eine Art Grundprinzip des fairen Umgangs miteinander einigt, wie ich das in meinem Buch ja versuche mit der goldenen Regel, dass ich einfach sage: Überleg dir, ob du in der Situation, in der dein Gegenüber ist, ob du möchtest, dass man so über dich spricht, dass man so mit dir spricht - wenn nein, dann überleg dir eben eine andere Art zu sprechen. Wenn man sich daran hält, sehe ich eigentlich nicht so recht, wo die Übersensibilität schädlich werden sollte in dem Sinne, dass sie vielleicht unsere Kommunikation behindern würde.
Gerk: Ist das denn in Ihren Augen auch ein Generationending, denn wir sehen das manchmal, wenn wir hier jüngere Kollegen haben, denen geht das schon relativ leicht über die Lippen, dass sie zum Beispiel in einem gesprochenen Text Autor_Innen sagen. Das fällt uns, die wir hier das schon länger machen, sehr schwer, weil wir finden einfach, das klingt nicht gut. Wie soll man damit umgehen, was raten Sie uns?
Stefanowitsch: Also das ist sicher in dem Sinne ein Generationenproblem, wie ich eben gerade gesagt habe, wenn die eigene sprachliche Sozialisation einmal abgeschlossen ist, dann ist es eben schwieriger da noch mal ranzugehen und Dinge zu verändern, als wenn man noch mitten in der eigenen Sozialisation ist, wenn diese Diskussion aufkommt. Allerdings geht es hier ja auch eher darum, welche Form wir anstelle der alten - möglicherweise als diskriminierend erkannten - Form setzen. Das ist eine Frage, die in gewisser Weise noch mal getrennt ist.
Die entscheidende Frage an dieser Stelle wäre erst mal, würde ich sagen, dass das, was nicht mehr geht, weil es eigentlich nie hätte sein dürfen, diese Situation ist, dass wir eben mit dem generischen Maskulinum über auch gemischte Gruppen sprechen, bei denen Frauen mit dabei sind, oder eben abstrakte Kategorien, in denen wir sowieso über potentielle Leute reden, von denen wir das Geschlecht gar nicht wissen. Ob wir dann jetzt diese Autor_Innen-Aussprache an diese Stelle setzen oder uns eben die Mühe machen, jedes Mal Autorinnen und Autoren zu sagen.
Was da dann am Schluss besser klingt, oder ob wir versuchen, Partizipialformen zu finden - bei Autor/Autorin gibt es das jetzt nicht, dann müsste man Schreibende oder Schriftstellernde oder sowas als Form finden - das ist dann die Frage, die nach der Einsicht kommt, dass der bisherige Sprachgebrauch, der sehr tief drin steckt - auch selbst bei mir noch und ich denke ja viel darüber nach, aber trotzdem weiß ich, dass auch in diesen Radiointerviews immer wieder, wenn ich hinterher das höre, dann denke ich, da habe ich auch wieder das generische Maskulinum benutzt -, dass wir erkennen, dass das nicht geht.

Im persönlichen Umgang ist das weniger kompliziert

Gerk: Werden Sie das denn auch oft gefragt, auch so im Freundeskreis, sag mal ich weiß gar nicht, wie ich das so richtig korrekt sagen soll, ist das inzwischen, merken Sie da, dass die Leute auch sensibler sind oder auch verunsichert?
Stefanowitsch: Eine Verunsicherung bemerke ich nicht so sehr im persönlichen Umgang, das merke ich dann eher mal an E-Mails, die manchmal netter, manchmal weniger nett eben ankommen und mir vorwerfen, dass ich Leuten vorschreiben will, wie sie zu sprechen haben; oder tatsächlich mal nachfragen, was man denn bitteschön sagen solle, weil das, was man bisher gewohnt war, nicht mehr geht. Im persönlichen Umgang ist das, glaube ich, alles sehr viel weniger kompliziert, als immer getan wird, weil im persönlichen Umgang ja, wenn einem etwas rausrutscht, was nicht in Ordnung ist, oder wovon einer der Anwesenden oder eine der Anwesenden oder jemand drittes, der nicht da ist, aber mitgedacht wird, sich verletzt fühlt, dann kann es ja direkt ausgesprochen werden und nachgebessert werden.
Gerk: Es geht um öffentliches Sprechen ...
Stefanowitsch: In diesen Situationen, wenn wir unabsichtlich jemandem auf den Fuß treten, dann fangen wir auch keine lange Diskussion an, ob dessen Fuß dort hätte stehen sollen, sondern dann entschuldigen wir uns, und dann treten wir beim nächsten Mal eben neben den Fuß. Im öffentlichen Sprachgebrauch ist es anders, weil der wirkmächtiger ist, weil das hören mehr Leute, das beeinflusst mehr Leute - vielleicht auch in ihren Entscheidungen, in ihrem politischen Denken, in ihrem gesellschaftlichen Denken -, deshalb ist das sicher die Stelle, an der man sehr viel härter in die Selbstreflexion gehen muss.
Gerk: Gilt das denn auch für Literatur zum Beispiel, dass man da auch korrekter schreiben muss inzwischen, oder ist so ein Kunstraum dann wieder ein Spielplatz, an dem man sich eigentlich alles erlauben darf?
Stefanowitsch: In gewisser Weise ist es ja auch außerhalb der Kunst ein Spielplatz, in dem man sich alles erlauben darf, denn es folgen ja keine negativen Sanktionen auf Überschreitungen dieser politisch korrekten Sprachvorschläge, die eigentlich keine Regeln sind meistens, sondern Denkanstöße. In der Kunst ist es natürlich so, da würde ich zwei Fälle unterscheiden. Da ist zum einen die Situation, wo ich Charaktere zeichne literarisch, die eine bestimme Art von Sprache haben, die vielleicht auch keine netten Menschen oder unabsichtliche Rassisten sind oder was auch immer. Die sollen natürlich so sprechen, wie sie sprechen würden. Wenn ich allerdings mich hinter der Kunst verstecke und sage, das ist nur ein Songtext, ich spiele dort gar nicht mich selber, sondern nur irgendeine Figur, das ist aber für das Publikum gar nicht zu unterscheiden - dann bin ich natürlich trotzdem irgendwo für den Rassismus oder Sexismus oder andere Diskriminierungen verantwortlich, die ich dort künstlerisch verarbeite.
Gerk: Professor Anatol Stefanowitsch, vielen Dank, dass Sie hier bei uns waren. Das Buch, über das wir gesprochen haben, ist unter dem Titel "Eine Frage der Moral - Plädoyer für eine politisch korrekte Sprache" erschienen beim Dudenverlag, 64 Seiten kosten acht Euro.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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