Amnesty Menschenrechtspreis

Vier Ärztinnen gegen Folter und Gewalt

Die Gründerinnen des Nadeem-Zentrums für Folteropfer, Mona Hamed (l-r), Aida Seif el Dawla, Magda Adly und Susan Fayyad
Die Gründerinnen des Nadeem-Zentrums für Folteropfer, Mona Hamed (l-r), Aida Seif el Dawla, Magda Adly und Susan Fayyad © Polaris Images/Amnesty
Von Cornelia Wegerhoff · 16.04.2018
Heute Abend wird der Amnesty Menschenrechtspreis in Berlin verliehen. In Abwesenheit werden vier Ärztinnen geehrt, die in Ägypten Opfern staatlicher Folter helfen. Ihre Klinik wurde von den Behörden geschlossen, ausreisen können sie nicht.
Das Nadeem-Zentrum liegt gut erreichbar in der Kairoer Innenstadt. Sobald man sich dem Gebäude nähert, in der die ägyptische Hilfsorganisation ihre Räume hat, folgen einem plötzlich auf jedem Schritt Blicke.
Überall in dieser Straße seien Informanten der ägyptischen Staatssicherheitsbehörde platziert, sagt Aida Seif al-Dawla. Die 63-Jährige ist Psychiaterin und eine der vier Gründerinnen des Nadeem-Zentrums, Ägyptens einziger Anlaufstelle für die Opfer staatlicher Gewalt und Folter.
"Nadeem" – das ist der arabische Begriff für einen engen Freund, einen Vertrauten. Im Nadeem-Zentrum können sich die Gewaltopfer Ärzten anvertrauen. Sie bieten medizinische und vor allem psychologische Hilfe an. Dem ägyptischen Regime ist das ein Dorn im Auge. Im Februar 2017 wurde die Klinik der Organisation im Rahmen einer Polizeirazzia geschlossen. Doch Hilfesuchende kommen immer noch.
Das Team arbeitet weiter − im Verborgenen
Aida Seif al-Dawla bleibt vage. Zum Schutz der Betroffenen: "Sie verabreden sich mit ihren Therapeuten. Seit der Schließung hat unser Team nicht damit aufgehört, Klienten zu treffen und ihnen zu helfen. Nicht für einen einzigen Tag."
Stolz schwingt in der Stimme der Ärztin mit. Und sie freut sich über den Amnesty Menschenrechtspreis aus Deutschland:

"Für das Team, für die Organisation ist es das natürlich eine Würdigung, eine Ehre und wir sind sehr glücklich. Das Schöne an diesem Preis ist, dass er in einer Serie von Auszeichnungen an ägyptische Menschenrechtsaktivisten kommt. In einer Zeit, in der die Regierung versucht, diese Gruppierungen zu zerschlagen. Sie werden von der ägyptischen Regierung dämonisiert und attackiert."
Die Ärztinnen unterstützten Staatsfeinde, wird propagiert. Zwei der vier Frauen haben Ausreiseverbote. Und erst vor wenigen Tagen wurde auch gegen Aida Seif al-Dawla privat eine Strafanzeige erstattet, wegen der Verbreitung angeblich falscher Informationen über die ägyptische Polizei. Doch leider seien staatliche Gewalt und Folter die bittere Wahrheit und Alltag, bestätigt Kollegin Mona Hamed. Auch sie hat unzählige Gespräche mit traumatisierten Opfern geführt:

"In jeder Polizeistation gibt es einen Raum, der 'talaga' genannt wird, 'Kühlschrank'. Es ist bekannt, dass das der Ort ist, wo gefoltert wird. Sie haben dort die komplette Ausstattung: Stöcke, Wasserfässer, Elektroschock-Geräte. Sie fesseln die Hände auf dem Rücken und hängen die Leute an den Handschellen auf. Das ist sehr schmerzhaft. Bei einer anderen Stressposition muss der Gefangene die Arme um die Knie schlingen. So wird er dann gefesselt und an einer Stange aufgehangen. Sie nennen die Stange 'shaweya', Grill."
Aida Seif al-Dawla ist 63 Jahre alt, längere weiße Haare, weiß-schwarze Bluse, sitzt und lächelt. Sie ist Psychiaterin und eine der Gründerinnen des Nadeem-Zentrums gegen Gewalt und Folter in Kairo.
Aida Seif al-Dawla ist Psychiaterin und eine der Gründerinnen des Nadeem-Zentrums gegen Gewalt und Folter in Kairo© Amnesty International / Dana Smillie
Die Regierung streitet die Vorwürfe ab
"Das sind Gegenstände, die nicht vom Taschengeld der Polizeibeamten gekauft werden", stellt ihre Kollegin Aida Seif al-Dawla klar.
"Das kommt aus dem Haushalt des Innenministeriums. Also, wenn ein Staat Geld dafür ausgibt, Folter-Ausstattung in Polizeistationen zu haben, dann ist das eine Entscheidung. Die Entscheidung für Gewalt. Sie ist Teil einer systematischen Staatspolitik, die Entscheidung, so zu regieren."
Auch das UN-Komitee gegen Folter erklärte in einem Bericht vom Sommer 2017, die ihm vorliegenden Fakten führten – so wörtlich – "zu der unausweichlichen Schlussfolgerung, dass Foltern in Ägypten systematische Praxis ist". Doch die ägyptische Regierung streitet das ab. Der Minister für rechtliche und parlamentarische Angelegenheiten, Omar Marwan, betont:
"Das ägyptische Gesetz stellt nicht nur Folter unter Strafe, sondern sogar die verbale Beleidigung eines Verdächtigen. Folterfälle sind also Rechtsverstöße, die aber auf der ganzen Welt zu finden sind, nicht nur in Ägypten. Allerdings geht es in Ägypten um Einzelfälle und nicht um systematische Praxis."
Für das Team des Nadeem-Zentrums zählt hingegen nur, was die Opfer ihm anvertrauen. Aida Seif al-Dawlas Schluss daraus:
"Das ist ein gefährliches Land. Und ein unbarmherziges Regime."
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