Ambivalenter Analytiker des Kapitalismus

Von Agnes Steinbauer · 19.01.2013
Werner Sombart bewunderte und verachtete die Bourgeoisie. Er verehrte und verwarf Karl Marx. Der deutsche Soziologe und Nationalökonom, der nach dem Zweiten Weltkrieg in Vergessenheit geriet, liebäugelte aber auch mit Nazi-Ideologien.
"Kein Gott, keine Ideale, keine Moral, kein König, kein Reichtum, kein Klassenunterschied."

Werner Sombart war gerade 19 Jahre alt, als er das verkündete. Die benannten Themen sollten später für ihn wichtig werden. Geboren wurde er am 19. Januar 1863 in Ermsleben im Harz. Sein Vater, Anton Ludwig Sombart – Landvermesser, Rittergutsbesitzer, Zuckerindustrieller und nationalliberaler Reichstagspolitiker – zog mit der Familie nach Berlin, um seinem Sohn die bestmögliche Ausbildung zu bieten.

"... er wuchs im Reichtum, im Genussleben der Großstadt auf, alle Bildungsmittel der Zeit standen ihm zur Verfügung; er sah ... viel von der Welt, reiste, hatte früh sehr starke ästhetische und sozialpolitische Neigungen."

Beschrieb der Ökonom und Sozialwissenschaftler Gustav Schmoller Sombarts Werdegang. Zwischen 1882 und 1885 studierte Sombart in Pisa, Berlin und Rom Jura, hörte staats- und wirtschaftswissenschaftliche Vorlesungen und beschäftigte sich mit Geschichte, Philosophie und Literatur. Von Gustav Schmoller bekam er entscheidende Impulse zu Sozialismus-Theorien. 1888 promovierte Sombart bei ihm in Berlin mit einer sozialökonomischen Studie über "Die Römische Campagna", in der seine Gedanken zu Staatssozialismus und Kapitalismuskritik bereits angelegt waren. Sombart monierte darin das "individualisierte Wirtschaftsprinzip".

" ... verantwortet vom hohen römischen Adel als Eigentümer der weiten italienischen Landgebiete, ... für den das Erfüllen sozialer Pflichten ein unbekannter Begriff ist ... "

1890 wurde Sombart außerordentlicher Professor in Breslau. Sein Buch "Sozialismus und soziale Bewegung", das 1896 erschien, war von der ersten Auflage an ein Publikumserfolg. Der Nationalökonom habe damit erstmals

"ein breites Lesepublikum mit den Marxschen Theorien und der internationalen Arbeiterbewegung vertraut gemacht",

so der Sombart-Biograf und Tübinger Historiker Friedrich Lenger.

Sombarts Hauptwerk "Der moderne Kapitalismus", das zwischen 1902 und 1927 entstand, habe den Kapitalismusbegriff überhaupt erst in die universitäre Wissenschaft eingeführt, schreibt Lenger. Das Buch ist bis heute ein "Klassiker" der Kapitalismusgeschichte. Sombarts Verhältnis zu Marx sei allerdings gespalten gewesen, so der Journalist Dieter Schnaas in der "Wirtschaftswoche":

"Sombart schätzt an Marx, dass ‘kein Gran Ethik’ seine Schriften trübt, er teilt Marx’ Analyse politischer Klassen ... aber er lehnt dessen Revolutionspathos ab ... "

Aus seiner umfangreichen Bibliothek ließ Sombart nicht nur zahlreiche Quellen aus Philosophie, Kultur- und Religionstheorie in seine Werke einfließen – auch Literatur von Shakespeare, Zola und Goethe begleiteten ihn zeitlebens. Ihn interessierte besonders das "Faustische" im Kapitalismus. 1918 wurde Sombart Professor in Berlin. Seine Villa im Grunewald war mit ihrem "Salon" ein intellektueller Mittelpunkt der Hauptstadt – geführt von Corina, der zweiten Ehefrau Sombarts. Über die Haltung seiner Familie zum Nationalsozialismus befragt, sagte der Sohn aus dieser Ehe, der verstorbene Kultursoziologe und Schriftsteller Nicolaus Sombart, in einem Radiointerview des Senders Freies Berlin 1997:

"Was ich als Schüler erlebte, das Weggehen der Juden, was wir, meine Eltern erlebten, die Emigration ihrer Freunde, das wurde alles diskutiert, aber so sotto voce, hinter verhaltener Hand. Ich erinnere mich nicht, dass mein Vater einen Wutausbruch bekommen und gesagt hat, was tun wir, um das zu verhindern?"

Im Gegenteil - Werner Sombart sympathisierte offen mit den Nazis. In seinem 1911 erschienenen Buch "Die Juden und das Wirtschaftsleben" liebäugelte er mit rassenhygienischen Ideen. 1934 unterzeichnete er den Aufruf "Deutsche Wissenschaftler hinter Adolf Hitler", der im "Völkischen Beobachter" erschien. Später distanzierte er sich von den Nationalsozialisten, die ihn, den wertkonservativen Denker, immer beargwöhnt hatten. 1941 starb Werner Sombart in Berlin.
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