Am Rande der Zivilisation

19.10.2006
Ein Sägewerk und sein Besitzer in der polnischen Provinz stehen im Zentrum des Romans von Daniel Odija. Es geht um Aufstieg und Fall in den Jahren nach dem Umbruch von 1989. Mit beachtlicher Sprachkraft skizziert Odija das triste Leben am Rande der Zivilisation, ohne dabei die stillen Hoffnungen und Illusionen der Menschen auszublenden.
Wo die Provinz am tiefsten ist, wo es auf den ersten Blick aussieht, als würden die Mechanismen der "richtigen" Welt gar nicht mehr hinreichen, vermutet man Ödnis und Langeweile. Es sind jene Orte, die einen erschrecken lassen, wenn man sie auf einer Landstraße durchquert und plötzlich der Gedanke aufkommt, wie es wohl wäre, wenn man sein Leben genau hier verbringen müsste. Lässt sich von solch einem Ort aus das Leben beschreiben?

Ungefähr so mag die Frage gelautet haben, die sich der junge polnische Schriftsteller Daniel Odija vorgelegt hat. Sein Roman "Das Sägewerk" ist eine Antwort, die aufhorchen lässt. Denn seine – offenbar in der ostpolnischen Provinz angesiedelte Geschichte – belegt nachhaltig, dass das möglich ist.

Ein vom allgemeinen Niedergang gezeichnetes Kaff bildet den Mikrokosmos, in dem sich alles abspielt. Von der Landwirtschaft, die einst das wirtschaftliche Rückgrat des Ortes bildete, ist nur die "Kolchosensiedlung" geblieben. Hier wohnen die Übriggebliebenen, die recht eigentlich vor sich hinvegetieren. Langeweile, Trunksucht, Perspektivlosigkeit, allenfalls ein paar Gelegenheitsjobs kennzeichnen das Panorama dieses verfluchten Ortes. Aber es gibt unter den Einwohnern des Ortes einen, der selbst unter diesen Umständen sein Glück zu machen weiß: Józef ist ein Unternehmer, der noch in der Misere Möglichkeiten findet, Geld zu machen. Er kauft Land auf und besorgt sich Kredite, um ein Sägewerk aufzubauen. Das Sägewerk floriert zunächst, nach und nach wird Józef zum Dorfoligarchen, der alles und jeden im Griff hat, nicht zuletzt, weil er der einzige Arbeitgeber im Ort ist.

Aber der Niedergang ist bereits eingeschrieben in die anfangs florierende Unternehmung. Ein windiger Berater und Vertreter, der neue Kunden für das geschnittene Holz auftreiben soll, erweist sich als Fehlschlag. Und vor allem kann sich Józef nicht arrangieren mit der Politik der Zukunft. Die tritt ihm entgegen in Gestalt eines populistischen "Bauernpolitikers", der die wirtschaftlich deklassierte Mehrheit auf seine Seite zu bringen weiß. Der Mann gewinnt an Einfluss, und der Umstand, dass Józef ihm ganz am Anfang seines Aufstiegs auf barsche Art seine Unterstützung verweigert hat, trägt entscheidend zum Verhängnis bei. Das Sägewerk verbrennt schließlich, sein ausgebrannter und von den Banken gehetzter Besitzer wartet auf kaum mehr als den Tod.

Diese Kerngeschichte, die sich lesen ließe als eine Parabel auf die wirtschaftliche Depression und ihre Folgen, wird angereichert mit zahlreichen "Nebengeschichten", die sich um andere Bewohner des Ortes drehen. In diesen Geschichten verlässt der Autor die Parabel-Ebene völlig und blendet die Illusionen und Sehnsüchte, die Verzweiflungen, unerfüllten Bedürfnisse und die existentielle Einsamkeit seiner Figuren ein. Der Ton bleibt immer düster – es gibt einfach keine glücklichen Umstände zu berichten –, jedoch sucht Odija in diesen Episoden nicht die soziale oder politische Seite der Gegebenheiten. Vielmehr zeigt er sich fasziniert von den menschlichen Abgründen und Unerhörtheiten, die diese "Randlage" der Zivilisation bereithält. Natur- und Klimabeschreibungen, Traumbilder und Phantasien, die sich assoziativ mischen mit den Lebensumständen seiner Figuren, deuten auf einen anderen Rahmen hin: es geht um jenes "Geworfensein" des Individuums, das sich in Umständen, die nicht von ihm abhängen, wiederfindet und versucht, darin zurecht zu kommen.

Odija montiert diesen Rahmen mit einer beachtlichen Sprachkraft und viel Sinn für die suggestiven Möglichkeiten des Erzählens, dabei kontrolliert und mit großem Gefühl für den Erzählrhythmus. Man wird diesen Autor im Auge behalten müssen.

Rezensiert von Gregor Ziolkowski

Daniel Odija: Das Sägewerk
Roman
Aus dem Polnischen von Martin Pollack
Paul Zsolnay Verlag, Wien 2006
173 Seiten, 17,90 Euro