Am Rande der Bayreuther Festspiele

"Wahnfried" ist das Zentrum des Wagnerismus

Ein Flügel steht im Haus Wahnfried in Bayreuth (Bayern). Das Museum wurde am 26.07.2015 nach längeren Bau- und Renovierungsmaßnahmen wieder geöffnet.
Dieser prächtige Flügel steht im Haus Wahnfried in Bayreuth, den dem Richard Wagner wohnte. © picture alliance / dpa / Nicolas Armer
Von Philipp Quiring · 25.07.2016
Der Kult um Richard Wagner wäre längst nicht das, was er ist, gäbe es nicht die alljährlichen Bayreuther Festspiele. Philipp Quiring hat sich im Vorfeld im Haus "Wahnfried" in Wagners Wirkungsgeschichte einweihen lassen.
Am Rande des Bayreuther Hofgartens liegt das Haus "Wahnfried", das ehemalige Wohnhaus Richard Wagners. Dort lebte Wagner bis zu seinem Tod 1883, direkt daneben befindet sich das denkmalgeschützte "Siegfried Wagner"-Haus - von Wagners Sohn erbaut. Zusammen mit einem Neubau des Architekten Volker Staab aus dem Jahre 2015 ergibt sich so die Möglichkeit, die Rezeptions- und Wirkungsgeschichte des Wagner-Kults mit ihrer künstlerischen Reichhaltigkeit und ihren historischen Schattenseiten aus vielen Blickwinkeln darzustellen. Dabei nimmt sich das Siegfried Wagner-Haus der Ideologiegeschichte Wagners an.
"Ja, wir befinden uns hier im Erdgeschoss des Siegfried-Wagner Hauses. Dieses Haus ist gebaut worden, als Junggesellenhaus für Siegfried Wagner. Er starb ja schon 1930, im gleichen Jahr wie Cosima Wagner. Dann hat Winifred Wagner dieses Haus erweitern lassen und als Gästehaus genutzt. Hier haben also auch beispielsweise Richard Strauss und Arturo Toscanini gewohnt - während ihrer Festspielaufenthalte. Und dann zwischen 1936-1940 Adolf Hitler als Gast der Familie."
Das Siegfried Wagner-Haus mit Kamin, Speise- und Gartenzimmer wurde noch bis 1980 von Wagners Schwiegertochter Winifred bewohnt.
Zitat von Richard Wagner
"Hier wo mein Wähnen Frieden fand – Wahnfried – sei dieses Haus von mir benannt."

Einen Eindruck des Zeitgeistes

Im ehemaligen Wohnhaus Richard Wagners - "Wahnfried" – befindet sich das Nationalarchiv und die Forschungsstätte der Richard-Wagner-Stiftung. Die Besucher erhalten hier Einblicke in das Leben und Schaffen des Komponisten. Erhalten einen Eindruck von der Zeit um 1880 und vom alltäglichen Arbeits- und Lebensumfeld der Familie. Dabei ist auch der Schreibtisch zu sehen, an dem Wagner komponierte.
"Allerdings ist es ja so, dass die Geschichte dieses Hauses nicht mit Wagners Tod endet, im Gegensatz zu anderen Künstlergedenkstätten, sondern das Haus Wahnfried war ja auch ideologisches Zentrum des Wagnerismus‘. Und das führte dann letztlich auch dazu, dass 1945, als der Krieg dann auch nach Bayreuth kam, in den ersten Apriltagen, das Haus Wahnfried – es war ein Flächenbombardement – zu 2/3 zerstört wurde."
Die Zerstörung, der Verlust sind Teil von "Wahnfried". Das originale Mobiliar ist praktisch nicht mehr vorhanden. Mithilfe von Fotodokumenten wird der ursprüngliche Zustand möglichst genau rekonstruiert. Das fehlende Mobiliar wird durch Duplikate ersetzt, die durch weiße Hussen als Nachbauten gekennzeichnet sind. Zwei Uhrgläser, Wagners Brille und ein Federhalter sowie der Flügel, den Wagner 1876 von der Firma Steinway & Sons zu seinen ersten Festspielen als Geschenk erhielt, sind originale Überbleibsel.

Älsteste Kostüme aus der Ära Cosima Wagners

Neben den zwei historischen Bauten wirkt der Neubau aus dem Jahre 2015 mit seiner gläsernen Stahlkonstruktion futuristisch. Hier ist die Aufführungsgeschichte von Wagners Opern bei den Bayreuther Festspielen zu erleben, von den Anfängen bis in die Gegenwart. Ein kleines Modell des Festspielhauses weckt im Bayreuth-Sänger Andreas Hörl Erinnerungen, wie er von der Bühne aus die einzigartige Bauweise des Innenraums erlebt.
"Herrlich – wenn man im Zuschauerraum sitzt, dann sieht man den Dirigenten nicht, weil der Orchestergraben ist ja durch eine Schallwand praktisch verdeckt und es geht aus dem Nichts heraus, beginnt die Musik. Man sieht praktisch kein Licht, man sieht keinen Dirigenten auftreten, und das Orchester ist - obwohl es in voller Lautstärke spielt - eigentlich im Zuschauerraum relativ leise. D.h. dass die Sänger überhaupt nie Mühe haben, über das Orchester zu kommen. Und auf der Bühne ist es gerade andersrum – man hört das Orchester eigentlich sehr gut – und man muss sich darauf verlassen, darauf vertrauen können, dass man praktisch mühelos über das Orchester kommt. Das ist in Bayreuth wirklich einzigartig."
Andreas Hörl singt spontan im Neubau zur Freude der Besucher. In fünf großen Vitrinen hinter ihm, werden ausgewählte Kostüme verschiedener Phasen der Bayreuther Festspiele ausgestellt. Die ältesten Kostüme reichen bis in die Ära Cosima Wagner zurück – Sven Friedrich:
"Man sieht es sehr schön, den Stil der damaligen Zeit, den naturalistischen Bühnenhistorismus: Alles musste echt sein oder echt erscheinen. Wir haben dahinten zum Beispiel einen Schuppenpanzer einer Walküre von 1896. Die Dinger waren sakrisch schwer, weil eben alles nach diesem Meininger-Stil des Naturalismus möglichst echt sein oder doch echt erscheinen sollte. Wenn man hier z.B. sich das Kostüm der Ortrud anschaut, mit diesen ganzen Strasssteinen und so. Das hat man natürlich bei der damaligen Beleuchtung, das war ja Gaslicht anfangs, überhaupt nicht gesehen."
Durch Kostüme als Zeitzeugnisse und Aufführungsabbildungen wird die Anmutung der historischen Inszenierungen so ein Stück weit erfahrbar. Das Kostüm der Zaubergestalt Klingsor etwa aus der Parsifal-Inszenierung von Christoph Schlingensief: Zum Greifen nahe.

"Ich nenne das unsere Verbrechergalerie"

Seit 1993 leitet Sven Friedrich das Richard-Wagner Museum. Mit den historischen Bauten, den Forschungsmöglichkeiten und dem Neubau kann er auch zukünftig dem Wagner-Kult vielseitig begegnen. Unter seiner Leitung erhielt das Museum ein eigenes Kino und eine Galerie mit Porträts der Dirigenten, die in Bayreuth gearbeitet haben..
"Ich nenne das auch immer gerne unsere Verbrechergalerie, weil das so ein bisschen Steckbriefartig ist. Wir haben das übernommen aus dem wichtigsten Gang im Bayreuther Festspielhaus. Das ist wie in jedem Theater der Gang zwischen Orchestergraben und Kantine. Da hängen also die Festspieldirigenten begonnen mit Hans Richter - dem Dirigenten des ersten Ring 1876 - durch alle Zeiten bis hin zu den jüngsten Festspieldirigenten. Und nachdem diesen Gang zwischen Orchestergraben und Kantine natürlich nicht jeder kennt, haben wir gedacht, wir übernehmen das hier, um dann auch unseren Besuchern mal die große Ahnengalerie der großen und großartigen Dirigenten zu präsentieren, die hier in Bayreuth bei den Festspielen gearbeitet haben."
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