Am offenen Grab

Von Ita Niehaus · 16.10.2010
Wie spreche ich mein Beileid aus? Worauf muss ich achten, wenn ich schriftlich kondoliere? Geht das auch heute per E-Mail? Antworten auf diese und andere Fragen gibt Dr. Klaus Dirschauer in seinem Ratgeber "Herzliches Beileid. Ein kleiner Knigge für Trauerfälle". Dirschauer war viele Jahre Ausbildungsreferent der Bremischen Evangelischen Kirche. Was will er mit seinem Buch bewirken?
"Ich möchte sensibel machen für die Situation und die Hilfe der Tradition in dieser Situation dieses ungeheuerlichen Prozesses – Tod. Alles, was im Knigge von mir empfohlen wird, hat mit der Leib- lichkeit der Erfahrung von Sterben und Tod und Trauer zu tun."

Über 40 Jahre hat sich der Bremer Pastor und Sachbuchautor Klaus Dirschauer mit Tod und Trauer beschäftigt. Eines hat er dabei immer wieder erlebt: Die alten Rituale und Traditionen sind oft in Vergessenheit geraten.

"Die erscheinen auch überflüssig, weil sie keinen Sinn mehr in sich selbst trugen. Das Sinndenken ist sehr stark funktional ausgerichtet, dass ich ganz bestimmte Dinge nur abhake wie auf einer Checkliste. Da wir dieses nicht mehr gelernt haben, dieses, was ich bei den Katholiken noch erlebt habe, dass wenn ein Überführungswagen auf der Straße vorüber rollt, ich mich bekreuzige und auf lateinisch oder deutsch sage 'Bedenke, dass ich sterben muss' oder 'Im Namen Gottes'."

Viele Menschen sind verunsichert, wissen nicht mehr genau, wie sie angemessen kondolieren oder ihre Anteilnahme bei einer Trauerfeier zeigen können. Dirschauers Knigge beantwortet deshalb nicht nur alle wesentlichen Fragen rund um das Thema Trauerfall. Es geht dem 73-jährigen Theologen um mehr. Er will, wie er es nennt, die Todeswirklichkeit im Alltag zurückgewinnen.

"Ich will das mal beschreiben. Ich zünde eine Kerze an für den Menschen, ich nehme die Zeitung und falte sie so, dass ich die Anzeige sehe. Ich setze mich hin und unterbreche das Leben. Da könnte es anfangen. Da kann der Tod ins Bewusstsein und in den Alltag zurück kommen. Er kommt nicht zurück, in dem ich zu einem Zeremoniell der Beerdigung gehe und wieder davon gehe, wenn ich das selbst nicht ein Stück aneigne."

Rainer Maria Rilke:

"Dass wir erschraken, da du starbst, nein, dass
dein starker Tod uns dunkel unterbrach,
dass Bis dahin abreißend vom Seither
das geht uns an, das einzuordnen wird
die Arbeit sein, die wir mit allem tun"

Ein Knigge für Trauerfälle ganz praktisch: mit Literaturzitaten für Kondolenz- karten etwa. Und mit konkreten Benimm-Tipps. Angefangen bei der Kleidung – am besten gedeckte Farben, keine Tennissocken und keine hochhackigen Pumps - bis hin zum korrekten Verhalten bei der Trauerfeier, beim Trauermahl oder beim Kondolieren.

"Da bin ich für die formale Sprache, weil der Tod sonst nicht zu bewältigen ist. Subjektiv reicht es nicht aus mit einer Umarmung, ich muss es aussprechen. Es ist eine Intimität auf Abstand. Das ist auch ein Respekt vor dem, was der andere durchmachen muss. Man könnte im Englischen 'my sympathy' sagen, meine Sympathie. Wir kennen nicht das Wort Sympathie nicht im Sinne von Kondolenz. Meine herzliche Anteilnahme."

Bewusst Abschied zu nehmen vom Verstorbenen und sich dabei auch die Zeit zu lassen, die man dafür braucht– das ist Klaus Dirschauer besonders wichtig.

"Ja und dann fasse ich mich am Herz und gehe nach vorne. Und bleibe da im angemessenen Abstand vor dem Sarg stehen und mache eine Verbeugung und lege die Hände zusammen, schließe die Augen und gedenke des Toten oder spreche ein Gebet. Und dann lege ich meine Blumen, wenn ich sie habe, ab und sonst drehe ich mich wieder um und gehe ohne links und rechts Leute nickend zu grüßen mit etwas gesenkten Blick in die Reihe, in der ich Platz nehmen will."

Es sind die kleinen Dinge, auf die jeder achten sollte, um seine Anteilnahme auszudrücken. Rechtzeitig zur Trauerfeier da sein, vorher das Kaugummi entsorgen und das Handy ausmachen.

"Was mich am meisten ärgert ist die Geschwätzigkeit hinter dem Sarg. Deshalb schlage ich vor, dass am Ende der Trauerfeier die großen Blumengebinde und Kränze zum Grab getragen werden. Und damit wird das Hinterhergehen zu einem Trauerweg, um dieses Menschen willen, der da im Sarg liegt und um der Menschen, die seines Todes wegen traurig sind. Und das verdient Schweigen, nicht dass ich mich unterhalte, vielleicht angefangen bei dem Menschen, dass er so früh gestorben ist bis zu irgendwelchen Alltagsdingen. Ich kann das als Unsicherheit und als Gedankenlosigkeit alles rechtfertigen, das will ich aber nicht."

"Erde zu Erde, Asche zu Asche, Staub zum Staube." Das offene Grab erschreckt viele. Doch Rituale, wie etwa der dreifache Erdwurf oder Blumenwurf am Grab, können helfen.

"Ich begrabe ihn ja symbolisch. Ich kann dann sagen, ich habe meinen Vater begraben oder meine Frau begraben. Ich will auch gehalten sein, ich will mir das auch zumuten, deshalb bin ich da so formal und sage: Halte doch mal dieses Ritual aus und gehe es doch mit. Um des Toten willen nicht nur und um des Trauernden willen, sondern um meiner selbst willen. Und es wird, wenn ich es tue, gut sein hinterher. Das war ich ihm schuldig, meine Anteilnahme."

Klaus Dirschauers kleiner Knigge für Trauerfälle passt in jede Westentasche. Er ist sehr informativ, gut lesbar – also eine wertvolle Hilfe im Trauerfall.

"Ich gehe anders in die Beerdigung rein und nehme anders Anteil, wenn ich mir das selbst einmal richtig zugemutet habe. Achte mal darauf, Freundchen. Nicht weil das irgendein Knigge gesagt hat oder ein Dirschauer – das ist nicht der Punkt. Sondern weil ich selbst merke, ich kann damit umgehen."


Buchtitel:
Klaus Dirschauer: "Herzliches Beileid. Ein kleiner Knigge für Trauerfälle", Claudius Verlag, München 2009, 48 Seiten, 4,90 Euro