Alternatives Leben

Raum im Grünen

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Blick in die Garten-Kolonie "Wildwuchs" in Hamburg © Axel Schröder
Von Claudia van Laak, Ronny Arnold und Axel Schröder · 05.06.2014
Drei Geschichten aus der Idylle: Unsere Korrespondenten berichten von einer neuen Schrebergarten-Generation in Hamburg, von einem integrativen Garten in Dresden und einer Westberliner Gartenkolonie, die mit dem Bau der Mauer plötzlich auf DDR-Gebiet stand.
West-Schrebergarten auf DDR-Boden
Von Claudia van Laak
"Ein Paradies am Havelstrand ist unser Erlengrund,
und streift man so weit durchs Land
so ruft doch jeder Mund
im Erlengrund bin ich zuhaus…." (Erlengrund-Lied)
"Ja, wir sind eine Generation, wir haben einiges historisch erlebt, ja."
Rentner Hans Flügel in seinem Paradies. Das sind 31 Lauben, die meisten aus Holz. Eine kleine Badestelle, drei Bootsstege, eine große Wiese mit Wippe, Trampolin und eine Feuerstelle - die Wochenendgemeinschaft Kolonie Erlengrund e.V., heute Teil des Berliner Bezirks Spandau.
"Wir gehören zur alten Garde, wir sind hier großgeworden. Unsere Eltern haben dieses Grundstück erworben, also meine Eltern noch früher als deine Eltern. Also, meine Eltern sind seit Mitte der dreißiger Jahre hier drauf."
Joachim Deppe und sein Freund Hans Flügel sind zusammen aufgewachsen. Sie wirken wie ein altes Ehepaar, fallen sich immer wieder ins Wort. Der eine ergänzt die Anekdote des anderen. Hans Flügel wurde später Sozialpädagoge, sein Freund Joachim Deppe Konditormeister.
Erlengrund war eine Westberliner Exklave auf DDR-Gebiet, erzählen die beiden braungebrannten Rentner, die 70 Jahre lang, bis zum Tod Joachim Deppes, befreundet waren. Drei Seiten Mauer, eine Seite Wasser. Die Maueröffnungszeiten von Montag bis Freitag: 6-8, 10-12 und 16 - 19 Uhr.
"Ich bin hier rausgekommen gegen zwölf, auf meiner Uhr war es eine Minute vor zwölf, bei dem Grenzer war zwei nach zwölf. Da war Schluss. Da durfte ich bis vier Uhr warten. Wir konnten abends um sieben, 19 Uhr, konnten wir nicht mehr rein und nicht mehr raus. Und erst morgens um sechs wieder."
Rechtsfreier Raum – zum Faulenzen
Reine Schikane, sagen die beiden. Schließlich war der Wachturm immer besetzt und der Einlass genau geregelt. Nur die Laubenpieper und die ein halbes Jahr zuvor angemeldeten Besucher durften mit einem Berechtigungsausweis passieren.
Ihr Auto mussten sie auf einem benachbarten Parkplatz stehenlassen. Bohrmaschine und Bier, Holzkohle und Handtuch, Würstchen und Wandfarbe - alles wurde auf Schubkarren verladen und – am Wachturm der Grenztruppen vorbei – zu einem speziellen Tor an der Mauer gebracht.
"Wenn die im Häuschen saßen und hatten die Mütze auf, dann wussten wir, das haben wir so besprochen, aha, jetzt müssen wir den Ausweis zeigen. Wenn die die Mütze nicht aufhatten, dann sind wir durchgegangen und Tschüss, Tachchen, hallo und so, dann war es wieder in Ordnung."
Dass keiner rein durfte hatte auch sein Positives. Die Kolonie Erlengrund – bestens bewacht – war im Grunde ein rechtsfreier Raum. An Bauvorschriften musste sich keiner halten – das Bauamt konnte ja nicht kontrollieren. Wer keine Lust hatte zum Arbeiten, meldete sich einfach krank und verschwand hinter der Mauer – keiner konnte die Krankschreibung überprüfen.
"Wir konnten noch als Kinder den West-Förster ärgern und Mist bauen und anschließend sagen, tschüssi."
"Auf jeden Fall sicher"
Größtmögliche Freiheit drinnen, aber trotzdem jahrzehntelang eingesperrt. Kurios. Fühlten sie sich nicht eingemauert, die Schrebergärtner?
"Bezogen auf Erlengrund habe ich das nie empfunden. Als Berliner, der beruflich auch mal hin und wieder, also in die Bundesrepublik gefahren ist, war das denn schon anders. Aber hier fühlte man sich einfach sauwohl. Auf jeden Fall sicher. Denn, kein Mensch hat seine Türen abgeschlossen oder überhaupt etwas abgeschlossen. Denn, hier kam ja keiner rein."
Ein Jahr vor 1989 fiel hier schon die Mauer – durch einen Gebietstausch mit der DDR. Die Erlengrunder haben die Betonwand ersetzt durch einen mannshohen, blickdichten Holzzaun, obendrauf drei Reihen Stacheldraht. Wer 27 Jahre lang freiwillig eingesperrt war, kann anscheinend auf die Mauer nicht verzichten.

Internationale Gärten in Dresden
Von Ronny Arnold
Jinrong Wu kniet kurz neben seinem kleinen Beet, dann dreht er eine Runde durch den Garten. Ein kurzes Gespräch hier, etwas Fachsimpeln unter Kleingärtnern dort. Wu ist Chinese, er kommt gerade von der Arbeit. Der 52-Jährige arbeitet als Programmierer in einem Dresdner Unternehmen – seit acht Jahren bestellt er sein Beet in den Internationalen Gärten.
"Bisschen Blumen, bisschen chinesisches Gemüse, was halt so Spaß macht. Das ist aber nicht die Hauptsache. Hauptsache ist, dass wir die Leute kontaktieren können, das ist unser Ziel eigentlich, hierher zu kommen. Haben Sie davon gehört, dass der Garten jetzt eventuell umziehen muss? Das ist schlecht für die Migranten, aber auch für die Stadt Dresden ist das nicht so gut. Man zeigt mit dem Garten, dass die Dresdner Stadt weltoffen ist."
Jinrong Wu hat schon einige im Garten kommen und wieder gehen sehen. Ein Großteil der Mitstreiter hier sind Migranten und Asylsuchende, nicht alle bekommen ein dauerhaftes Bleiberecht. Für die, die bleiben dürfen, ist das Projekt in der Dresdner Johannstadt ein wichtiger Anlaufpunkt.
"Für die Leute, die gerade nach Deutschland gekommen sind, ist es sehr wichtig, hier soziale Kontakte sofort haben zu können. Gerade, wenn sie der Sprache nicht so mächtig sind, können sie hier trotzdem mit den Leuten kommunizieren. Die Leute hier sind ziemlich weltoffen und helfen gerne."
"Es geht um Werte, die zwischen den Menschen entstehen"
1800 Quadratmeter sind die Internationalen Gärten groß, es gibt viele Einzelbeete und ein paar Gemeinschaftsflächen, einen zum Gartenhaus umgebauten Container.
Auch Almasalme Mohammad kommt schon lange hierher, bis vor wenigen Jahren hatte der 38-jährige Syrer ein eigenes Beet. Jetzt steht genau an jenem Platz ein riesiger Funkmast, den die Stadt mitten ins Gartengrundstück gepflanzt hat. Egal, meint Almasalme Mohammad, er kommt trotzdem immer wieder gern vorbei.
"Es geht praktisch um Werte und die entstehen zwischen vielen Menschen, die aus der ganzen Welt hierher kommen. Das macht Spaß, man lernt neue Leute kennen und es ist auch sehr interessant, was da für ein Austausch geschieht. Deswegen spielt das keine Rolle, ob ich jetzt ein Beet habe oder nicht. Ich bin aktiv dabei, bei den Veranstaltungen, bei allem, das ist ein Lieblingsort von mir geworden."
Etwa 80 Leute sind hier momentan aktiv. Noch, denn die Stadt Dresden will den Garten umsiedeln. Parkplätze werden gebraucht, ein Parkhaus soll entstehen, wo seit fast zehn Jahren Menschen aus der ganzen Welt ihr Gemüse anpflanzen, gemeinsam Feste feiern, Deutsch lernen und sich gegenseitig helfen – trotz kultureller Unterschiede und erheblicher Sprachbarrieren. Wer Hilfe bei Behördengängen braucht, bekommt diese genauso hier wie nötige Kontakte zu Rechtsanwälten und Infos zum Asylrecht. Landschaftsarchitekt Mattes Hoffmann hat das Projekt mit ins Leben gerufen – heute ist er Vorstandsmitglied des Gartenvereins und enttäuscht von den Stadtplanern im Rathaus.
"Man möchte hier dem MPI, dem Max-Planck-Institut, freundlich unter die Arme greifen. Man schenkt ein Grundstück in einem Wohngebiet her, was von der Ruhe lebt. Und mit diesem Schritt, hier ein Parkhaus zu bauen, verschenkt man das ohne Not und ohne Grund.
Stadt will auf dem Gebiet neue Parkplätze schaffen
Im Rathaus der Stadt Dresden sieht man das ein wenig anders. In der Johannstadt fehle es seit Jahren an Parkmöglichkeiten, mindestens 400 Stellplätze würden benötigt, gern noch ein paar mehr. Eifrig habe man alternative Standorte für das geplante Parkhaus geprüft. Am Ende sei das Gartenareal, direkt gegenüber des MPI, als einzige sinnvolle Alternative übrig geblieben – so Jörn Marx, Dresdens Baubürgermeister.
"Wir haben schon seit einiger Zeit die Anfrage vom Max-Planck-Institut, hier eine Institutserweiterung zu bekommen. Damit einher geht natürlich auch der Bedarf für Stellplätze. Und wir als Stadt haben auch das Defizit erkannt und haben gesagt, okay, wir setzen uns drauf und versuchen, gemeinsam hier eine Lösung zu erarbeiten. Und wir legen auch Wert darauf, dass wir das sehr offen transportieren."
Offen transportiert? Da muss Mattes Hoffmann kurz schmunzeln. Er sei über die Pläne informiert worden, das ja, und er durfte auch zweimal vorm Bauausschuss reden. Genützt hat es am Ende wenig, der Beschluss steht, in spätestens zwei Jahren soll mit dem Bau begonnen werden. Für Hoffmann passt das alles zum stiefmütterlichen Umgang mit der Gartenidee in den letzten Jahren.
"Wir hatten gefordert, dass das noch einmal aufgenommen wird und auch transparenter gemacht wird und dass die soziale Nachhaltigkeit stärker in den Vordergrund rückt. Weil wir auch dachten, das Projekt ist wertvoll für Dresden. Die Stadt schmückt sich damit auf ihrer Internetseite, mit dem Integrationskonzept. Doch wir haben in den ganzen Jahren von der Landeshauptstadt selbst keine Unterstützung bekommen. Und das Parkhaus ist quasi die Krone in dieser Entwicklung."
Das Angebot der Stadt: eine Ersatzfläche
In den letzten Wochen haben einzelne Politiker das Gespräch mit dem Verein gesucht, sie besuchten sogar den Garten, erklärten ihren Plan. Kommunalwahlkampf, betont Mattes Hoffmann. Ob sich nun auch in den kommenden Monaten noch jemand aus dem Rathaus für das Projekt interessieren wird, weiß er nicht. Mittlerweile habe man ihnen aber zumindest eine Ersatzfläche angeboten – und will sogar über finanzielle Hilfen reden. Denn der Umzug könnte bis zu 50.000 Euro kosten. Jinrong Wu befürchtet, dass die Gemeinschaft auseinander brechen könnte, weil sehr wahrscheinlich nicht alle mit umziehen.
"Meine Hoffnung ist, dass wir hier bleiben können. Momentan sieht es aber nicht so aus. Wenn wir den Garten nicht mehr haben, fehlt eine Plattform. Wenn wir ein neues Grundstück haben, dann ist das mit viel, viel Arbeit verbunden. Aber ich hoffe, dass uns die Stadt dabei unterstützt, dass wir eine schöne Fläche bekommen können."
Almasalme Mohammad findet die Politik der Stadt Dresden fragwürdig. Einerseits lobe man das Projekt für die gute Integrationsarbeit, andererseits tue man zu wenig, um den Gärtnern ihre paar Quadratmeter dauerhaft zu erhalten. Für den Syrer passt das irgendwie nicht zusammen.
"Das ist ein Treffpunkt, der einen großen Beitrag zur Integration und zum Menschenverständnis in den neuen Bundesländern leistet. Man macht uns mit unseren Werten, die wir durch die Jahre geschaffen haben, zu Nomaden. Und das funktioniert nicht. Man ignoriert dadurch eine wichtige Komponente für die Menschen, nicht nur das Geld. Gern haben sich die Menschen hier engagiert, damit es diese Zusammentreffen ständig gibt. Und das zählt für mich, das zählt sehr, genauso wie für Flüchtlinge, Asylbewerber oder für Ingenieure. Das alles gibt es hier bei uns."

Hamburger Hipster im Schrebergarten
Von Axel Schröder
Bullerbü mitten in Hamburg. Das dunkle Braun der Laube war gestern. Jetzt leuchtet die kleine Holzhütte in einem frischen, hellen Blau. Fensterrahmen und Dielenboden sind weiß gestrichen. Und wo vor einem Jahr noch dicht an dicht meterhohe Bambusbüsche wucherten, wächst heute frischer Rasen, ranken junge Rosenstöcke in den Beeten. Vor dem kleinen Gemüsebeet steht die Hamburger Rechtsanwältin Konstanze Jungwirth, präsentiert die ersten Erfolge:
"Wir haben alte Kartoffeln, die zuhause rumlagen und wo schon die ersten Keimlinge oben rauskamen, hier verbuddelt und unglaublicherweise sind jetzt hier riesige Kartoffelpflanzen. Daneben wachsen Möhren und Lauchzwiebeln. Und dann kommen da Radieschen. Und ganz hinten habe ich in der kleinsten Ecke versucht, Riesenkürbisse zu verbuddeln. Und selbst da tut sich schon was!"
Bisher bestehen die Riesenkürbisse allerdings erst aus zarten, zentimetergroßen Pflänzchen. Zusammen mit ihrem Mann hat die Juristin ihre 400-Quadratmeter-Parzelle wieder begeh- und bepflanzbar gemacht. Die Kinder - Hannah, Leo, Julius und Philip – hüpfen auf dem Trampolin neben der Gartenpforte. Vor allem junge Familien mit Kindern übernehmen nach und nach die Schrebergarten-Kolonie "Eppendorf 04" im Norden Hamburgs. Der Verein vergibt die seit einigen Jahren sehr begehrten Flächen vor allem an junge Eltern, am besten an Bekannte und Freunde derjenigen, die schon vor Ort sind, erzählt Konstanze Jungwirth.
"Wir sind jetzt alleine was uns angeht sieben befreundete Familien mit insgesamt 17 Kindern, die hier ihren Garten haben. Und das ist natürlich toll! Während man hier im Garten werkelt, laufen die Kinder zwischen den Parzellen hin und her und kriegen hier mal ein Grillwürstchen und da mal ein Eis. Und da gibt es gibt eine Schaukel und drüben gibt es ein Trampolin. Und das ist schon wie Dorfleben mitten in der Stadt. Das ist schon toll!"
"Ich hab Hunger! / Soll ich mal kurz für Nahrung sorgen? Wollt ihr Äpfel, Birnen oder Kekse? – Ich will Kekse! Kekse!"
Die Juristin und Schrebergärtnerin in Ausbildung geht rein in ihre Laube, kümmert sich um die Kinder.
Die meisten sind Kreative
Im Südosten Hamburgs, im Kleingartenverein "Wolfskuhle", findet der gleiche Generationswechsel statt. Ein Drittel der 160 Parzellen ist schon in der Hand "junger Menschen". "Jung", das heißt hier: die Neuen sind zwischen 40 und 50 Jahre alt. Ein Paar machte vor sechs Jahren den Anfang. Zwei Sommer lang kamen Freunde zu Besuch, fingen Feuer für das Idyll an einem Seitenarm der Elbe. Tanja Steinbrück, große dunkle Brille, steht mit sieben anderen Neu-Gärtnern auf dem gemähten Rasen ihrer Parzelle, erzählt, womit die meisten von ihnen ihr Geld verdienen:
"Ich glaube, wir sind alle mehr oder weniger aus dem kreativen Bereich: Architekten, Designer, Illustratoren halt viele. Fotografen, Theater, aus dem redaktionellen Bereich. Querbeet. Aber eben: keine Handwerker!"
Ganz ohne Reibung geht der Einbruch der Kreativen in die Schrebergartenwelt nicht vonstatten. Jahrzehntelang hielten sich auch in der "Wolfskuhle" ganz bestimmte Ideen, wie ein Garten auszusehen hat. Skeptische Blicke der Nachbarn über ihre penibel geschnittenen Hecken bleiben nicht aus:
"Die gucken schon immer und staunen. Mein Lieblingszitat ist: 'Bleibt das jetzt so?' Weil wir da so kleine Grashuckel haben stehen lassen, weil da so schöne Blumen wuchsen. Es wird dann schon beäugt, aber letztendlich akzeptiert das jeder."
Und auch hier weicht das dunkle Braun der Lauben einem frischen Mintgrün, hellem Gelb, Bullerbü-Blau. Einen echten Konflikt Alt gegen Jung sehen die Kreativen aus St. Pauli und Eimsbüttel aber nicht. Und sie entwickeln Ideen, wie mehr Gemeinschaft wachsen kann, erzählt die Schauspielerin und Kleingärtnerin Charlotte Crome:
"Als ich hier anfing, gab es noch diesen Konflikt Alt-Jung. Und dann habe ich mir überlegt, was wir machen können, um Alt und Jung zusammen zu bringen. Kam dann auf die Idee, dass das doch mit einer Boule-Bahn ganz gut wäre. Und jetzt ist die Boule-Bahn fertig und wir spielen hier. Und das ist wirklich total durchmischt. Und man hat über dieses Spiel plötzlich so eine Verbindung, wo man sich regelmäßig trifft und Spaß und sich dadurch auch wieder viel entspannt hat!
Keine Pestizide, Bäume fällen verboten
Die Schrebergartenwelt ist im Umbruch. Wo früher einfache Arbeiter Obst und Gemüse anbauten, suchen jetzt die Kopfarbeiter aus den Städten ihren Ausgleich, bieten ihren Kindern größtmöglichen Auslauf und Abenteuer. Die starren Regeln - Heckenhöhe, Grashalmlänge und die Null-Toleranz-Politik gegenüber Unkraut - weichen einem neuen Pragmatismus.
Die Pioniere dieser Neu-Interpretation der Schrebergartenidee haben ihren riesigen Garten mitten in Hamburg. Schon vor 25 Jahren haben sie den Verein "Wildwuchs" gegründet und gleich acht Parzellen zusammengelegt. Gerda Fellberg sitzt an einem kleinen Holztisch unter einem knorrigen Holunderbaum. Die Rentnerin gehört zu den Gründungsmitgliedern von "Wildwuchs":
"Wir sind hier in Lokstedt, in Hamburg. 'Wildwuchs' ist Mitglied des 'Landesbundes der Gartenfreunde'. Aber – wie der Name schon sagt – bei uns sieht das doch deutlich anders aus als in den anderen Kolonien. Wir haben wenige Hütten. Wir haben viel langen Giersch, er jetzt gerade blüht. Wir haben große Bäume! Und eine Gemeinschaftswiese, einen Feuerplatz und ein Vogelland mit manchmal bis zu 35 Bienenstöcken. Wir haben viele brütende Vögel hier und viele Familien mit kleinen Kindern."
Und klare Regeln: Jeder Pestizid-Einsatz ist streng verboten. Und Bäume dürfen nicht gefällt werden. Ende der Achtzigerjahre, als die Wilden ihr Projekt starteten, waren die Parzellennachbarn fassungslos: "Kraut und Rüben!", schimpften sie. 25 Jahre später wächst die Zahl derer, die diesen Wildwuchs heimlich bewundern. Aber nach wie vor werfen einige ihren Grünschnitt einfach über die Hecke, rüber zu den Chaoten. Gerda Fellberg nimmt das achselzuckend hin, lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. Und Gartenzwerge? Nein, die findet man nicht in diesem 10.000-Quadratmeter-Garten, beteuert Gerda Fellberg. Aber auch diese kleinen bemalten Gipszwerge, den Inbegriff deutscher Spießigkeit sieht sie ganz undogmatisch:
"Ich glaube, der Gartenzwerg ist nicht so das Problem! Der 'Gartenzwerg im Kopf' – das ist das Problem! Mir wäre das egal, wenn der ganze Garten voller Gartenzwerge steht, wenn ansonsten da drin nicht nur Leinkieselplatten, hässliche – wie heißen die? – komische Kantensteine aus rotem Beton, so dann drei Feuersalvien und eine Eisbegonie drin sich quälen… Diese Art Gartenzwergigkeit finde ich ätzend. Ansonsten: Gartenzwerge finde ich nicht so schlimm!"
Gerda Fellberg verabschiedet sich, geht die Hühner füttern. Vorbei an den blühenden Rosen, dem blühenden Giersch. Und pflegt den geordneten Wildwuchs.
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