Altenburg

Ausländerfeinde rufen zum Kultur-Boykott auf

Blick über Altenburg in Ostthüringen: In der Mitte das traditionsreiche Landestheater Altenburg
Blick über Altenburg in Ostthüringen: In der Mitte das traditionsreiche Landestheater Altenburg © dpa/picture alliance/Jan Woitas
Von Henry Bernhard · 12.01.2017
In Ostthüringen gibt es einen Boykottaufruf gegen ein Theater und ein Museum. Das "Bürgerforum Altenburg" macht gegen Flüchtlinge mobil - und gegen Kulturschaffende. Die Ablehnung der Rechtspopulisten habe man sich ehrlich erarbeitet, sagen die Altenburger Theaterleute.
"Widerstand! Widerstand!"
Eine Kundgebung des "Bürgerforums Altenburg" im Osten Thüringens am Ende des vergangenen Jahres. Die lokale Variante der PEGIDA-SÜGIDA-AfD-Demonstrationen, mit Unternehmern und Bildungsbürgern, aber auch mit bekennenden Rechtsextremen und Antisemiten. Der letzte Redner ist Andreas Sickmüller. Er geißelt die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung und der linken Landrätin im Altenburger Kreis und schließt Ausländer ausdrücklich aus der Solidargemeinschaft aus, die nur für Deutsche da sei:
"Ich möchte schließen mit einem Vergleich zu einem den Deutschen gegenüber in der Nachkriegszeit immer wieder erhobenen Kollektivvorhalt: Sie hätten nichts getan gegen die Regierung des Dritten Reichs, hielt man immer ungerechterweise allen Deutschen vor. Lasst es nicht dazu kommen, dass euch in einigen Jahren derselbe Vorhalt zur heutigen Regierung, diesmal allerdings zu Recht gemacht wird!"
Und da sich Kulturschaffende der Stadt Altenburg öffentlich für eine flüchtlingsfreundliche Politik stark gemacht hatten, endet Sickmüller mit einem Boykottaufruf:
"Und ich rufe alle, die gegen diese Politik sind, dazu auf, das Theater in Altenburg und das Lindenau-Museum zu boykottieren! Grenzt sie auf dieselbe Weise aus, wie sie es mit euch tun! Und zeigt ihnen, woher das Geld kommt, mit dem sie ihre Miete bezahlen!"

"Jeder darf dafür sein, dass man die Kultur abschafft"

Schauspieler des Theaters und der Direktor des Lindenau-Museums in Altenburg waren bei einer Veranstaltung zum Umgang mit Flüchtlingen in der Stadt aufgetreten und hatten sich hinter die Landrätin gestellt, die überproportional viele Flüchtlinge in der Stadt Altenburg und nicht im ganzen Landkreis verteilt untergebracht hat. Dagegen gibt es in Altenburg heftigen Protest. Schauspieldirektor Bernhard Stengele vom Altenburger Theater nimmt den Boykottaufruf zunächst einmal sportlich:
"Ich komme gerade von einer Reise zurück zu unserem Kooperationspartner nach Israel und war mit einem palästinensischen Theater unterwegs, die, wenn sie in Israel gastieren, damit leben müssen, dass Leute rufen: 'Tötet die Araber! Tötet die Araber!' Und das ist dann eine echte Drohung. So schlimm ist es bei uns nicht. Also ich nehme das Ganze unter Meinungsfreiheit. Jeder darf dafür sein, dass man die Kultur abschafft, das ist unser Meinungsrecht. Und auch, wenn das auf ziemlich ekelhafte Weise dargebracht wird: Wir würden was falsch machen, wenn das Bürgerforum sagen würde: 'Besuchen sie bitte dieses Theater!'"
Die Ablehnung der Rechtspopulisten habe man sich ehrlich erarbeitet, so Stengele:
"Na ja, wir haben uns in den letzten zwei Jahren sehr, sehr intensiv mit der – hier heißt es ja 'Bürgerforum' – mit der Bewegung auseinandergesetzt, wir haben große Events gemacht, Gegendemonstrationen; wir haben am 1. Mai einen Tag gemacht, der hieß 'Gut Mensch!' mit Ausrufungszeichen, wo wir 1200 Besucher hatten. Das heißt, wir positionieren uns sehr klar für eine weltoffene Gesellschaft, und das nimmt das Bürgerforum wahr und wehrt sich dann entsprechend dagegen."
60 der 300 Beschäftigten des Theaters Gera-Altenburg sind keine Deutschen, sie kommen aus 26 Nationen. Im Weihnachtsmärchen "Alladin und die Wunderlampe" beispielsweise trifft eine Prinzessin aus der Türkei auf einen Zauberer aus Burkina Faso.
"Wir haben hier ja wirklich ein internationales Ensemble. Das Besondere ist, dass wir die Leute direkt aus den Ländern zu uns einladen. Natürlich ist das eine Idee: zum Beispiel beim Weihnachtsmärchen, die Kinder kommen durcheinander, wenn die zu Hause gefüttert werden mit schlechten Informationen oder so, und dann sehen sie so schöne begabte Menschen auf der Bühne, da passiert wirklich was Positives."
Die Besucherzahlen haben sich seit dem Boykottaufruf nicht verändert; entweder hat ihn niemand ernst genommen oder die Schnittmenge zwischen Theatergängern und Bürgerforum ist eher gering.
"Ich muss auch sagen, wenn man da ein großes Bohei drum gemacht hätte, hätte man dem auch mehr Bedeutung beigemessen, als es letztendlich hat."
Manuel Kressin ist Schauspieler in Altenburg:
"Es ist natürlich tragisch, dass es heutzutage so solchen Aufrufen kommt, und irgendwie aber auch entlarvend, dass Leute, die die deutsche Kultur schützen wollen, zum Boykott der deutschen Kulturstätten aufrufen, denn es war ja nicht nur das Theater, sondern auch das Lindenau-Museum."
"Das ist auch nicht die Mehrheit, das Bürgerforum stellt mit Sicherheit nicht die Mehrheit. Aber der Stadtkern, das ist anders als in einer Stadt wie Würzburg, der Stadtkern wird ganz schnell von denen besetzt. Es ist ohnehin sehr leer hier, weil hier keiner wohnt in der Innenstadt. Und dann, wenn da 20 Leute sind, die feindselig sind, dann ist das halt spürbar. Das macht es so ungerecht! Weil das Publikum ist ganz auf unserer Seite."
Ausstellungsraum im Lindenau-Museum in Altenburg (Thüringen).
Ausstellungsraum im Lindenau-Museum Altenburg (Thüringen).© Lindenau-Museum Altenburg
Weder die lokale noch die überregionale Tagespresse hatte über den Boykottaufruf berichtet. Einzig die Zeitschrift "Opernwelt" thematisierte ihn in ihrer Dezemberausgabe. Der Bürgermeister schwieg, er führt seit über einem Jahr eine Art Eiertanz zwischen seiner Partei, der SPD, und dem "Bürgerforum" auf; die Landrätin will kein Öl ins Feuer gießen. Im Theater-Förderverein ist man froh darüber. Frieder Krause:
"Wir waren im Prinzip der hiesigen Presse dankbar, muss ich mal jetzt so sagen, dass also nicht groß in der Presse dieser Boykottaufruf wiedergegeben worden ist, um sozusagen den Ball in dieser Frage flach zu halten."

Gefährliches Signal: "Altenburger, geht nicht in dieses Theater!"

Der Thüringer Kulturminister Benjamin-Immanuel Hoff von den Linken empfindet das eher als Friedhofsruhe:
"Jasper von Altenbockum hat jüngst in der FAZ vom US-amerikanischen Wahlkampf gesprochen als 'Populismus am Rande der Gewaltbereitschaft'. Und ich glaube, dass wir mit dieser Gefahr auch im Kulturdiskurs konfrontiert sind und dass quasi mit dem Gestus, 'Deutsche, kauft nicht bei Juden!' jetzt gesagt wird: 'Altenburger, geht nicht in dieses Theater, weil die sich menschenrechtsfreundlich zum Thema Flüchtlingsaufnahme in Altenburg geäußert haben!' Das ist schon eine neue Qualität. Ich halte das für ein ganz gefährliches Signal. Und wir hatten im vergangenen Jahr mehrere tausend Menschen, die an Veranstaltungen teilgenommen zur Theaterfinanzierung. Und ich erwarte, dass diejenigen, die damals dabei waren, um sich für ihr Theater einzusetzen, dass die sich jetzt auch hinstellen und sagen: 'Wir sind die Zivilgesellschaft; wir stehen zu unserem Theater und Orchester. Und wir lassen das von niemandem in Frage stellen!'"
Der Generalintendant des Theaters Gera-Altenburg, Kay Kuntze, sieht im aufrechten Programm die richtige Antwort auf die Provokation. Aber auch er macht sich weiterführende Gedanken:
"Ich habe das auch als Youtube-Video gesehen, diese Kundgebung, war natürlich geschockt, habe auch mit unserem Generalmusikdirektor darüber gesprochen, ein Franzose. Und wie es der Zufall so will: Seine Schwiegereltern mußten in der braunen Zeit aus dem Haus fliehen, was man von der Kundgebung, also in der Kamera-Einstellung, noch sehen konnte. Natürlich muss man aufpassen: Geschichte wiederholt sich nicht. Aber man muss schon sagen: Wehret den Anfängen! Nur zu schweigen dazu, wäre wahrscheinlich die falsche Reaktion."
Die Altenburger Theaterleute wollen sich jedenfalls nicht einschüchtern lassen. Auch nicht die griechische Schauspielerin Katerina Papandreou, die nicht wegen des Boykottaufrufes das Theater verlassen will, sondern weil sie und andere ausländische Mitarbeiter sich zunehmend auf der Straße Pöbeleien ausgesetzt sehen. Papandreou und drei andere nicht-deutsche Schauspieler und Sänger werden so das Theater Gera-Altenburg vorzeitig verlassen. Aber das ist eine andere Geschichte.
"Immer wo ich das gesagt habe zu Freunden von mir in Griechenland, alle, die diese Geschichte mit dem Boykott gehört haben, haben gesagt, 'Also, das bedeutet wirklich, dass dieses Theater seine Arbeit wahnsinnig gut macht!' Also, die waren alle sehr stolz! Die waren echt begeistert, muss ich sagen."
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