"Als Stuttgarter Oberbürgermeister könnte ich sehr, sehr viel gestalten“

Moderation: Ernst Rommeney und Ulrich Ziegler · 28.04.2012
Der grüne Bundestagsabgeordnete Fritz Kuhn fordert eine effektive Verkehrspolitik für Stuttgart. Eine Großstadt, die mit den höchsten Feinstaubwerten in ganz Europa zu kämpfen habe, brauche ein schlüssiges Verkehrskonzept. Eine schnelle Einführung einer City-Maut lehnt er allerdings ab.
Deutschlandradio Kultur: Fritz Kuhn war ehemaliger Parteivorsitzender von Bündnis 90/ Die Grünen, ehemaliger Wahlkampfmanager, ehemaliger Stellvertretender Fraktionsvorsitzender seiner Partei im Deutschen Bundestag und im Landtag von Baden-Württemberg. Und jetzt schauen wir mal in die Zukunft. Vielleicht ist er bald der erste grüne Oberbürgermeister einer Landeshauptstadt, nämlich in Stuttgart.

Warum wollen Sie nun Berlin verlassen? Warum wollen Sie unbedingt nach Stuttgart gehen?

Fritz Kuhn: Es gab die Frage der Grünen in Stuttgart, ob ich da kandidieren wollte. Stuttgart ist eine tolle Stadt. Es ist auch eine Herausforderung, da jetzt zu kandidieren. Es ist ja nicht ganz einfach, es zu gewinnen, aber ich traue mir zu, dass ich es gewinnen kann. Und mein Hauptgrund ist, in so einer Stadt als OB können Sie sehr, sehr viel gestalten. Ich habe übrigens deswegen den stellvertretenden Fraktionsvorsitz auch niedergelegt, um für den Wahlkampf mehr Zeit zu haben. Und das pack ich jetzt an. Das macht mir viel Spaß.

Deutschlandradio Kultur: Also, auch mehr gestalten als Bundespolitiker beispielsweise, der hier in Berlin noch arbeitet?

Fritz Kuhn: Das kann man nicht sagen. Das "Mehr" ist eine Frage nach Qualität und Quantität. Ich bin jetzt viele Jahre im Parlament, auch in der Bundespolitik. Und jetzt kam halt die Anfrage in der Situation, wo Baden-Württemberg eine grün-rote Regierung hat, die CDU aus der Wahl eine Art Roll-Back machen will ins Schwarze hinein, Reconquista ihrer schwarzen Macht im Ländle. Und das ist reizvoll für jemanden, wie mich.

Wer meinen politischen Weg kennt, weiß, dass ich immer gern auch schwierige Sachen gemacht habe. Als ich 2000 nach Berlin bin, standen wir unter 5 %. Und es kam die Frage auf, welcher Bundesvorsitzende kann dazu beitragen, dass man da wieder rauskommt. – Also, schon so eine gewisse Neigung zu schwierigen Aufgaben habe ich schon immer gehabt.

Deutschlandradio Kultur: Aber wenn Kommunalpolitik für einen Bundespolitiker so reizvoll ist, warum geht es dann den Kommunen so schlecht? Warum müssen die sich immer wieder beklagen – sowohl im Bund als auch im Land, wir bekommen nicht genug Geld?

Fritz Kuhn: Die zwei Sachen hängen nicht direkt miteinander zusammen. Die Finanzlage der Gemeinden ist im Allgemeinen schlecht, weil sie kaum Steuergestaltungsmöglichkeiten haben, nur ganz begrenzt bei den Hebesätzen und so. Aber der Kernpunkt ist, die Gesetzgebung liegt beim Bund. Das Gesetz über den kommunalen Finanzausgleich regelt, wie die Länder die Mittel an die Gemeinden verteilen, liegt bei den Ländern. Und beide haben die Neigung, zuerst an sich zu denken und zuletzt an die Gemeinden. Und deswegen ist sehr gut, wenn mal jemand mit landes- und bundespolitischer Erfahrung, wie ich, guckt, dass er an die Spitze der Stadt kommt, um da auch mit der entsprechenden Erfahrung gegenhalten zu können.

Deutschlandradio Kultur: Sie haben gute Chancen, aber es wird wahrscheinlich nicht so sein, dass Sie gleich im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit kriegen. Es bedarf möglicherweise eines zweiten Wahlgangs, um Oberbürgermeister zu werden, Bürgermeister für alle in einer Landeshauptstadt. Dafür braucht man eigentlich dann auch Schützenhilfe von anderen Parteien oder Gruppen, die sagen, ja, der Fritz Kuhn, der kann es machen. Auf wen setzen Sie da eigentlich?

Fritz Kuhn: Also, erst einmal: Oberbürgermeisterwahlen in Baden-Württemberg, das gilt für andere Bundesländer ähnlich, sind nicht zuvörderst Parteiwahlen, sondern Personenwahlen. Die Leute wählen diejenige oder denjenigen, die sie für die am besten geeigneten halten, auch in der Bewertung als Person. Das sollte man nie vergessen, wenn man über Lager und Parteien und so was redet.

Wie es ausgeht, weiß niemand. Man kann im ersten Wahlgang gewinnen oder erst im zweiten. Und wenn man in den zweiten Wahlgang geht, muss man gucken, dass man Kandidaten, die weniger%e haben, deren Wählerinnen und Wähler überzeugt, dass besser ist, einen zu wählen. – Punkt.

Deutschlandradio Kultur: Aber das Beispiel Renate Künast schreckt Sie nicht? Hoch gelobt, hoch gehandelt und dann doch auf die Nase gefallen.

Fritz Kuhn: Also, ich bin kein Mensch, der das – wenn er wo kandidiert – mit doppeltem Versicherungsschutz und Bausparvertrag und Netz und sonst was angeht. Es ist was Ehrenwertes, in der Demokratie zu kandidieren. Sonst wäre sie kaputt, wenn sie nur Kandidaten hätte, die Erfolgsgarantien in der Tasche haben wollen.

Stuttgart ist Stuttgart. Berlin ist Berlin. Berlin ist ja auch eine Art Landtagswahl, wenn ich es mal einfach sagen darf, gewesen. Und die Bedingungen kann man nicht vergleichen. Es gibt keinen Amtsinhaber wie den Wowereit, sondern der Amtsinhaber tritt nicht mehr an nach 16 Jahren. Und ich habe, weil ich ja lange in Stuttgart gelebt habe, zwöf Jahre lang, war lange im Landtag, 16 Jahre lang, natürlich zu der Raumschaft Stuttgart und zu den Leuten schon so eine Beziehung, dass ich von mir aus sagen kann, ich kann das gewinnen. Aber es ist noch ein langer Ritt, fast sechs Monate. Und wir müssen mal gucken, wie es sich entwickelt.

Deutschlandradio Kultur: Spätestens nach der Diskussion um Stuttgart21 für und wider des Baus dieses Bahnhofs gibt’s und gab's eine starke Bürgerbeteiligung. Man spricht vom mündigen Bürger vielleicht mehr in Stuttgart als anderswo, die auch stärker eingebunden werden in politische Entscheidungen. Das möchten die zumindest. Was können Sie denn denen anbieten?

Fritz Kuhn: Diese ganze Diskussion um Stuttgart21 war wirklich ein Aufwachen der Bürgerinnen und Bürger im Sinne von, wir machen uns die Sachen in unserer Stadt zur eigenen Angelegenheit. Das ist eine Politisierungsbewegung, ich würde auch sage, eine kulturelle Bewegung, die am Ende übrigens nicht nur die Stuttgart21-Gegner, sondern auch die Befürworter erfasst hat. Und jenseits von dem Streit um Stuttgart21 ist natürlich wichtig, dass in Zukunft in so einer Stadt, das gilt für ganz Deutschland, aber für Stuttgart besonders, bei großen Infrastrukturentscheidungen die Bürgerinnen und Bürger vorher gefragt werden und einbezogen sein müssen und nicht hinterher.

In Zukunft, das muss ein OB bearbeiten können, das tue ich auch, müssen bei allen großen Fragen vorher die Bürger einbezogen werden. Das ist die große Lektion. Diese Nummer, die die CDU in Stuttgart gefahren ist nach dem Muster, "da haben wir was, dazu gibt es keine Alternative", ist absolut tödlich. Dieser Satz, zu dem, was eine Regierung vorschlägt, gibt es keine Alternative, der stammt – glaub ich – ursprünglich von Maggie Thatcher. Gerhard Schröder hat ihn gern verwendet, auch die jetzige Kanzlerin. Dieser Satz ist oft eine Absage an wirklich demokratische Partizipation. Und der muss langsam aus dem Repertoire unserer Politik raus.

Deutschlandradio Kultur: Aber wie wollen Sie es praktisch machen? Sie haben ein Kommunalparlament, das ja eigentlich zuständig ist für die großen Linien. Und dann haben Sie die Bürger, die mal dafür oder dagegen sind. Wie wollen Sie das machen? Wie wollen Sie die einen einbeziehen, ohne die anderen zu missachten?

Fritz Kuhn: Ich sage Ihnen mal ein Beispiel: In Stuttgart steht jetzt die Frage an, wie die Stromnetze – im Besitz wie im Betrieb -, die bisher bei der EnBW liegen, weil der Konzessionsvertrag ausläuft, gestaltet werden sollen. Da gibt’s die Möglichkeit, entweder zu 100 % die Stadt, vielleicht auch eine Genossenschaftsbeteiligung oder Stadtmehrheit und EnBW-Anteil oder wie bisher.

Solche Entscheidungen haben eine Tragweite. Das sind nicht Entscheidungen, die man mittwochs trifft und am Donnerstag kann man es wieder drehen, sondern es prägt über viele Jahre die Struktur der Energieversorgung in so einer Stadt. Da können Sie natürlich, bevor Sie die Konzession ausschreiben, die Bürger beteiligen. Ich habe vorgeschlagen, unter einer neutralen Mediation, also nicht der Bürgermeister selber leitet die Diskussion, sondern jemand Neutrales, mal zu versuchen, ob man sich nicht einigen kann, bzw. die verschiedenen Alternativen aufarbeiten, so dass die gleichwertig sind. Und dann können Sie am Ende des Tages auch eine Entscheidung haben, in einen Bürgerentscheid gehen, was der richtige Weg ist.

So was kann man und muss man, finde ich, bei großen Strukturfragen organisieren. Da vergibt sich die Politik nichts. Ich sage übrigens, für so was muss die Führung stark sein. Eine schwache Führung fragt das Volk nicht.

Deutschlandradio Kultur: Sie haben Fraktionen im Rathaus und Sie haben Parteiversammlungen von allen im Rathaus vertretenen Parteien. Sind die alle sinnlos, wenn die das nicht schaffen, was Sie eben gesagt haben?

Fritz Kuhn: Überhaupt nicht. Diese direktere Demokratie ist ja nur eine Ergänzung zur parlamentarischen Demokratie, aber eine wichtige, ohne die die immer mehr in die Krise geht. Und es muss ja der Gemeinderat auch beschließen, dass man so ein Mediationsverfahren oder einen Bürgerentscheid macht. Also, von daher ist es schon unter Inanspruchnahme der gewählten Vertreter/innen im Parlament. Übrigens, die haben auch ganz andere Verantwortung. Zum Beispiel für den Gesamthaushalt der Stadt hat niemand anderes die Verantwortung als der Gemeinderat.

Ich finde, solche Mediationen und Bürgerbeteiligungen bevor Entscheidungen fallen, dienen vor allem dazu, dass die Entscheidungen dann auch in der Bevölkerung – aber rückgekoppelt auch im Rat – so qualifiziert wie möglich fallen.

Deutschlandradio Kultur: Interessanterweise haben diese Mediationsverfahren sicherlich auch dazu geführt, dass bei der CDU, aber auch bei der SPD genau das jetzt auch in den Vordergrund kommt. Alle ihre Mitstreiter sagen, ja, wir wollen mehr Bürgerbeteiligung. Und Sie haben jetzt eigentlich ein Problem. Sie wollen das machen. Sie waren gegen Stuttgart21 und müssen jetzt diesen Volksentscheid umsetzen. Also, Ihre Hauptaufgabe wird sein, als Oberbürgermeister, wenn Sie es werden, so schnell wie möglich diesen Tiefbahnhof umzusetzen, damit da Befriedung reinkommt – obwohl Sie es eigentlich gar nicht wollten.

Fritz Kuhn: Sie erben in der Politik immer die Entscheidungen, die vorher gefällt worden sind. Und die heißen, die starke Bahn hat für die meisten Sachen das Baurecht bekommen. Das Land hat per Volksentscheid gefragt, ob man noch mal raus soll. Diese Frage ist, wie ich finde, leider anders entschieden worden. Und deswegen ist es so, wie es ist. Aber ein Bürgermeister muss deswegen nicht verzweifelt drein gucken, sondern...

Deutschlandradio Kultur: Aber Sie werden nicht bremsen? Sie werden sagen, ich mache das so schnell wie möglich und so sauber wie möglich?

Fritz Kuhn: Ich werde sagen, die Rechtslage ist vollständig klar. Die Bahn hat das Baurecht. Die Genehmigungsbehörde ist das Eisenbahnbundesamt. Aber ein Oberbürgermeister muss andererseits ganz kritisch draufgucken, ob die Bahn das auch richtig macht. Die Frage des Grundwassermanagements in Stuttgart ist noch nicht geklärt. Wir haben die wertvollsten Mineralquellen dort. Und deswegen hab ich da immer kritisch den Finger drauf. Denn die Bahn baut ja nicht an einem imaginären Bahngelände in Wolkenkuckucksheim mit, sondern im Herzen der Stadt Stuttgart – 10 bis 15 Jahre lang Baustelle ist ja auch ein ganz schön dickes Ding. Und da sehe ich dann die Aufgabe von einem OB, wirklich genau hinzugucken, ob alles richtig und optimal läuft und ob auch die Versprechungen, die die Bahn in der Schlichtung gemacht hat, in der von Geißler moderierten Schlichtung, eingehalten werden oder ob die nicht mehr gelten.

Also, wichtig ist ja auch, dass man jetzt langsam versucht, die Mehrheit und die knapp unterlegene Minderheit – in Stuttgart waren das ja 48 %, die raus wollten – auch wieder zusammenkommen, zum Beispiel in der Frage der Stadtentwicklung, in anderen Themenfeldern. Stuttgart hat unten im Tal eine ganz schlechte Luftqualität, eine hohe Feinstaubbelastung – solche Sachen, da gibt’s genug zu tun.

Deutschlandradio Kultur: Auf dem Bahnhof und neben dem Bahnhof soll ja ein neues Stadtviertel entstehen. Wird da aus dem Bahnhofsgegner der "Beton-Fritz"?

Fritz Kuhn: Nein, überhaupt nicht. Die Frage, was da gebaut wird, ist noch völlig offen. Das, was an der Seite in Stuttgart jetzt steht, LBBW-Bank, diese Art von Bebauung wird von den allermeisten abgelehnt, ist auch schrecklich. Ich sage auch klar, Stuttgart braucht keine weiteren Einkaufszentren im Herzen der Stadt, es hat nämlich schon genug, sondern man muss vernünftig wohnen, kleinräumig, arbeiten können für intelligente innovative Firmen – so was. Und dazu muss es auch entsprechende Bürgerbeteiligung geben. Auch so was darf nicht eine Planung von oben sein.

Im Städtebau muss sich in Stuttgart sowieso am meisten etwas ändern. Stuttgart hat sich viel zu sehr der Investorenlogik unterworfen. Man wusste, es kommt ein großer Investor oder ein Fonds und sagt, das und das wird gemacht, dann haben wir ein bisschen nachgebessert noch, aber in der Tat, guter Wohnungsbau und gute städtebauliche Entwicklung heißt: Wohin soll die Stadt gehen?

Da meine ich zum Beispiel, Wohnen und Arbeiten müssen in der Innenstadt vereinbar sein. Und das Verkehrsproblem müssen wir anpacken. Jedes große neue Geschäftszentrum bringt ja tausende Fahrzeuge, die zusätzlich da hinfahren, also verstärkt den Verkehrsdruck in der Stadt Stuttgart noch mehr.

Stuttgart ist reich entlang vom Auto – industriell gesehen – und droht im Stau zu ersticken. Deswegen halte ich es für eine städtische Aufgabe, aber auch eine Aufgabe der Automobilfirmen vor Ort, zu neuen Verkehrskonzepten zu kommen, so dass man sagen kann: In Stuttgart wird Mobilität erzeugt und nicht eine Technologie, die im Stau stecken bleibt.

Deutschlandradio Kultur: Sie haben ja einen grünen Verkehrsminister, Willi Hermann. Der sagt beispielsweise: So eine City-Maut für Stuttgart wäre sinnvoll, rund 6,00 Euro am Tag, damit die Leute sich mehr auf die öffentlichen Verkehrsmittel konzentrieren und ihre Autos draußen stehen lassen.
Sie finden das nicht so richtig sexy?

Fritz Kuhn: Also, im Zusammenhang mit der Feinstaubproblematik ist das geäußert worden. An den Hauptstraßen werden die Grenzwerte regelmäßig überschritten, schon im März die fürs ganze Jahr. Und an diesen Straßen wohnen nämlich meistens ärmere Leute. Das heißt, es steckt noch ein soziales Problem dahinter. Dagegen muss man was tun.

Als OB müssen Sie fragen: Was hilft schnell? Und die Idee der City-Maut, eine Bepreisung sozusagen für alle Autos, in die Innenstadt zu gehen, braucht sehr lange, weil Sie erstmal die gesetzlichen Grundlagen auf Bundesebene verändern müssen, bis Sie das überhaupt in Städten einführen können.

Viel schneller hilft eine Kombination aus Tempolimits, einer ordentlichen Parkraumbewirtschaftung in den Stadtteilen, dass der Parkraum teuerer wird, was nämlich dazu führt, dass der Parkplatzsuchverkehr reduziert wird und die Leute dann doch mit einem Ticket fahren. Das kann die Stadt sofort machen. Und deswegen habe ich gesagt, lasst uns das mal zuerst machen. Die City-Maut-Diskussion ist immer spannend, weil die ordnungspolitisch einen gewissen Reiz hat, aber schnelle Maßnahmen sind es nicht. Und die Bevölkerung hat Anspruch darauf, dass der Staat das Problem schnell löst. Es ist nämlich Gesetz, was im Bundesemissionsschutzgesetz steht.

Ich will mit den größten Arbeitgebern in der Stadt, wir reden über 120.-, 130.000 Arbeitsplätze, wenn ich Stadtkliniken usw. alles dazu nehme, sofort initiativ werden nach dem Muster: Was tut ihr zusammen mit der Stadt, dass die Leute weniger mit dem Auto, sondern mehr mit der Stadtbahn oder der S-Bahn zum Arbeitsplatz kommen?

Deutschlandradio Kultur: Sie müssen doch den Pendlern was zu bieten haben. Also, irgendwelche großen Parkplätze außerhalb der Stadt, von denen man dann sehr gut sternförmig in die Stadt hineinkommt.

Fritz Kuhn: Das gibt es längst. Es gibt überall Parkplätze. Man muss die S-Bahn und die Stadtbahn noch besser bewerben, muss noch mal über die Struktur der Tickets nachdenken, ob die Firmen sie noch stärker fördern können. Parkraumbewirtschaftung heißt ja auch, dass die Parkplätze teurer werden und gut gemanagt werden, so dass einfach nicht jeder dann überall parken kann, sondern er muss dann was dafür bezahlen. Der Unterschied zur City-Maut ist einfach, das geht schneller, liegt bei der Kompetenz der Stadt und man kann sofort damit anfangen. Dafür gibt’s ja schon Beispiele.

Deutschlandradio Kultur: Es gibt auch beispielsweise Boris Palmer in Tübingen, der sagt: Gratis-Omnibusse, Elektrobusse. Wir müssen da mit großem Schwung reingehen und versuchen, tatsächlich spürbar schnell was zu verändern, um diese Feinstaubbelastung rauszukriegen, um den Verkehr rauszukriegen.

Sind das Modelle, die auch für Stuttgart, für einen Oberbürgermeister in Stuttgart denkbar sind? Oder ist das nur kleinflächig in Tübingen machbar?

Fritz Kuhn: Nein, auf jeden Fall, die ganze Frage der E-Mobility und welche Fahrzeuge da fahren, ist natürlich genauso wichtig.

Also, der erste Punkt weniger Autos und der zweite Punkt, wenn, dann qualitativ bessere Autos. Ein großer Punkt ist zum Beispiel, ob der Güterverkehr nicht mit Elektrofahrzeugen in die Stadt einfahren kann, also, wie man die Güter verteilt, City-Logistik. Und dann hat Stuttgart ja den Zuschlag bekommen bei einem großen E-Mobility-Projekt, "Schaufenster des Bundes". Und da ist natürlich die Frage Feinstaubbelastung auch mit zu berücksichtigen.

Schließlich müssen die Automobilkonzerne liefern, dass sie stadttauglichere Fahrzeuge bringen. Also, damit will ich sagen: So ein Problem, wie Verstopfung der Stadt und Feinstaub, kannst du nur lösen durch ein Maßnahmenpaket und nicht durch einen einzelnen Vorschlag, der dann alles bringen soll.

Deutschlandradio Kultur: Es wird ja viel gependelt. Pendeln heißt ja auch immer, dass die Leute sich vielleicht die Stadt nicht mehr leisten können oder nicht mehr leisten wollen. Wenn Sie dann sagen, Sie würden gerne bezahlbaren Wohnraum schaffen, wie dann, wenn Sie neu bauen und Neubau ist immer teuer?

Fritz Kuhn: Also es gibt in Stuttgart einen Grundsatzbeschluss. Der heißt: Wenn ein neues Gebiet entsteht, was bebaut wird, müssen 20 % sozial geförderte Wohnungen dabei sein. Das ist ein Grundsatzbeschluss, aber ich meine, dass das so geschehen muss. Die Stadt braucht im Inneren mehr bezahlbaren Wohnraum und auch überhaupt Wohnraum, weil, die klügste Form Verkehrsprobleme zu lösen, ist, wenn Wohnen und Arbeiten nicht so weit auseinander liegen, weil diese Pendelei ins sonstige Umland sich sonst vergrößert.

Ich sag's mal einfach: Stuttgart baut gegenwärtig für die ganze Stadt vielleicht 90 Sozialwohnungen pro Jahr, bräuchte aber Jahr für Jahr 200 bis 300 Sozialwohnungen. Das muss sich verändern. Die Stadt braucht über die bestehende Innenstadt hinaus nicht ein Einkaufszentrum nach dem anderen. Und am Ende des Tages muss man das auch regional denken. Weil, wer dann in Stuttgart dann im neuen Einkaufszentrum ein, er pendelt zum Einkaufen, der kauft nicht in Essen, Ludwigsburg, Leonberg usw. ein. Also, es ist eine Städtekonkurrenz, die auch raus muss aus der Region. Also, ein Stück regionale Führung ist da auch gefragt.

Deutschlandradio Kultur: Von so einem grünen Oberbürgermeister in Stuttgart erwarten manche vielleicht auch ein bisschen mehr. Sie haben den schönen Satz gesagt, wie ich finde, dass Stuttgart endlich wieder mal eine Stadt am Fluss werden soll. – Der Neckar ist ziemlich zugebaut. Das sind Projekte, die schaffen Sie nicht innerhalb von zwei, drei, vier Jahren, aber es wäre eine Vision. Was haben Sie sich da vorgestellt?

Fritz Kuhn: Wer Stuttgart kennt, weiß, eigentlich fließt da der Neckar schon durch am Rand, aber eigentlich liegt Stuttgart am Nesenbach, einem kleinen Gewässer, das ganz wenige nur kennen. Was man machen muss, ist, das Neckarufer über all da, wo es geht, zurückerobern für die Menschen, die in Stuttgart wohnen. Schauen Sie sich Städte wie Tübingen oder Heidelberg an, da kann man wirklich sagen, die liegen am Fluss. Und dieses Liegen am Fluss ist dadurch gekennzeichnet, dass die Leute hinkönnen an den Fluss, da sitzen können, da wandern können, da innehalten können, da grillen können.

Deutschlandradio Kultur: Also, Grundstücke zurückkaufen, renaturalisieren?

Fritz Kuhn: Man muss mit einem konzentrierten Programm, dafür gibt’s auch schon gute Vorschläge, hergehen und sagen: Wo immer es geht, rückt die Stadt wieder an den Fluss. Da muss man Investitionen tätigen. Stuttgart würde in der Lebensqualität und in der Attraktivität immens gewinnen. Die Städtekonkurrenz der deutschen Großstädte geht um Attraktivität, damit man gute hoch qualifizierte Leute auch kriegt, die gut ausgebildet sind und dann da unterwegs sind und sich ihres Lebens erfreuen können.

Deswegen ist Stadtqualität, wie ich finde, eines der zentralen Themen in diesem Wahlkampf. Und das Thema Stadt an den Fluss holen ist ein ganz zentrales, jedenfalls für den Osten Stuttgarts auf jeden Fall und für Bad-Cannstatt.

Deutschlandradio Kultur: Sozialer Wohnungsbau, Städtebauentwicklung, beide Themen haben wir besprochen - kommt noch Bildung hinzu, Schulen, die verbessert werden müssen. Woher nehmen Sie das ganze Geld? Sie verschulden sich ja in Stuttgart.

Fritz Kuhn: Stuttgart hat ja schon einen beträchtlichen Investitionsstau bei der Sanierung alter Schulen. Man hat unter CDU-Herrschaft jahrelang das Thema vernachlässigt. Im jetzigen Doppelhaushalt haben sie sich um 300 Millionen verschuldet, weil der Sanierungsstau abgebaut werden musste. Ich werde bei der Haushaltsfrage immer auch auf die Frage gucken: Für was verschuldest du dich?

Ob ich Schulen verkommen lasse oder nicht oder ob ich da investiere, ist erstmal ökonomisch – es gibt Arbeitsplätze fürs Handwerk – und ist zweitens ein starkes bildungspolitisches Signal, was eigentlich Bildung wert ist. Wenn die Kinder spüren, die Sparkasse ist saniert und die Versicherungsfirma auch und die Schule ist verrottet, dann brauchen wir über das Wesen des Lernens gar nicht mehr diskutieren. Die Kinder kriegen die geheime Botschaft mit serviert: Schule ist nicht wichtig.

Das muss eine Stadt ausräumen. Sie ist ja nicht für die Schulinhalte und das Schulsystem zuständig, dafür ist ein Land zuständig, aber für die Gebäude und welche Schulangebote es gibt, ist sie zuständig. Und sie muss auch bei der Kinderbetreuung mehr tun. Stuttgart hat zu wenig Kinderbetreuungsplätze. Und wir kriegen bald ein Personalproblem, weil die Erzieherinnen zu schlecht bezahlt sind und deswegen der Beruf nicht so attraktiv ist, dass er stark nachgefragt würde.

Deutschlandradio Kultur: Herr Kuhn, Sie haben sich vorgenommen, eine neue Aufgabe in Angriff zu nehmen, Oberbürgermeister in Stuttgart zu werden, erster grüner Oberbürgermeister in einer Landeshauptstadt. Gibt es eigentlich auch ein Vorbild, wo Sie sagen würden, ja, so einen Bürgermeister für alle, da gibt’s einen, wo ich denke, das muss sein – über die Parteigrenzen hinaus?

Fritz Kuhn: Ich will mich da nicht an Vorbildern orientieren, weil, es gibt in Deutschland und gab in Deutschland eine ganz lange Liste von hervorragenden Bürgermeistern, aber immer unterschiedliche Bedingungen.

Klar ist, du musst als Bürgermeister die ganze Stadt repräsentieren können. Das ist wichtig. Und du musst vor allem klare Kante zeigen, wo die Stadtentwicklung hin soll, musst das mit den Bürgern erörtern und dann halt in der Lage sein, das pragmatisch umzusetzen. Und nach der Maxime will ich agieren – klug denken, dann hart schaffen und dann gemeinsam feiern, wenn es geklappt hat.

Deutschlandradio Kultur: Aber sind Sie wirklich so ein Bürgermeister, der feiert? Sind Sie nicht eher der Intellektuelle?

Fritz Kuhn: Also, es ist ja erstmal nicht schädlich, wenn man nachdenkt. Wenn wir das Wort intellektuell einfach als Nachdenken verstehen, dann ist das eine urschwäbische Eigenschaft. Der wirtschaftliche Erfolg in Schwaben kommt ja aus dem Tüfteln und aus dem Nachdenken. Ich bin aber sehr wohl ein Mensch, der in der Lage ist und gerne auch sich gerade mit der Bevölkerung und in der Bevölkerung bewegt. Da würde ich, was meine Person angeht, keinen Gegensatz draus machen.

Deutschlandradio Kultur: Manfred Rommel war 22 Jahre CDU-Oberbürgermeister in Stuttgart. Der hat mal den Satz gesagt: "Man kann eigentlich keine erfolgreiche Politik gegen Adam Riese machen." Sie haben immer wieder gesagt, Sie möchten gerne mit grünen Ideen schwarze Zahlen schreiben. Ist da eine Seelenverwandtschaft? Der eine ist der konservative Grüne und der andere war der konservative Liberale, aber beide wollten sich für das Gemeinwohl in der Stadt, für alle engagieren?

Fritz Kuhn: Völlig klar ist für mich, dass man in Stuttgart, wie überall, Ökologie und Ökonomie zusammenbringen muss. Wir werden wirtschaftlich nicht mehr erfolgreich sein, wenn wir die Ökologie mit Füßen treten. Und wir werden Ökologie nicht durchbringen, wenn es wirtschaftlich nicht geht. Und daher kommt mein Satz, mit grünen Ideen schwarze Zahlen schreiben. Das muss Stuttgart bringen. Also, Stuttgart muss die Verkehrsprobleme, die Energieprobleme lösen und hat die Chance, weil die Technikseite so gut ist, dass man daraus auch neue Arbeitsplätze schafft und Geld verdient. Das ist eigentlich die große Vorstellung.

Und weil Sie auf Rommel rekurrieren und zurückgehen: Klar, der war ein sehr umsichtiger Bürgermeister. Übrigens, sein Hauptverdienst war historisch, dass er die liberale Seite in Stuttgart, zum Beispiel bei der Integration von Einwanderern, hochgehalten hat. Also, ein guter OB muss manchmal gegen unterstellte Grundstimmungen auch die Werte hochhalten.

Ich glaube ja von mir selber, dass ich ein wertkonservativer Mensch bin. Naturschutz ist zum Beispiel eine wertkonservative Überzeugung. Allerdings habe ich gelernt: Wenn du Werte wirklich erhalten willst, dann musst du viel ändern. Dann darfst du nicht strukturkonservativ sein. Und das ist der Unterschied, um den es gerade geht, ob man einen veränderungsbereiten Oberbürgermeister will, um was zu bewahren, oder ob man sagt, wir halten an den alten Machtstrukturen fest.

Deutschlandradio Kultur: Danke, Fritz Kuhn.
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