Als Filmemacher Künstler zu sein

Von Carsten Probst · 08.12.2007
Die Ausstellung "Die Basis des Make-Up" im Hamburger Bahnhof in Berlin zeigt insgesamt mehr als 500 Zeichnungen, 200 künstlerisch gestaltete Notizbücher und eine Filmtrilogie von Heinz Emigholz. Erstmals ist dieses interdisziplinäre Projekt des Künstlers vollständig zu sehen.
Ende der siebziger Jahre gehörte Heinz Emigholz, damals um die 30, zu einem Zirkel von Avantgarde-Filmemachern in New York, der sich rund um das Collective for Living Cinema in Lower Manhatten versammelte und gegen den kommerziellen Film anarbeitete. In dieser Zeit lernte er auch Art Spiegelman kennen, den später weltberühmten Avantgarde-Comic-Zeichner, und einiges spricht dafür, dass Emigholz in dieser Zeit begann, seine eigenen Notizen und comicartigen Zeichnungen zu drucken. Seit jeher fertigt Heinz Emigholz schon kleine, eng beschriebene Notizhefte an, aus denen ihrerseits Ideen für Bilder hervorgehen, Bilder, die dann gezeichnet und auch in Filme verschiedener Genres übertragen werden. Oder in den Worten von Eugen Blume, des Direktors des Hamburger Bahnhofs Berlin:

"Diese Grundlage nicht nur für seine Zeichnungen, sondern auch für sein gesamtes filmisches Schaffen, für sein publizistisches und sonst wie künstlerisches Arbeiten sind diese fortgeschriebenen Eintragungen in Hefte, die er mit eingeklebten Bildern, besonders signifikanten Bildern aus den Massenmedien (...) bestückt, diese Bilder sind, entlarvend, deutlich, widerwärtige Bilder (...). Diese Einordnung zeigt, dass diese Notizbücher, dieses Schreiben für ihn die Grundlage, die Basis seines gesamten Schaffens ist."

Art Spiegelman druckte jedenfalls damals die ersten Bücher aus Heinz Emigholz’ wahrhaft endloser, bis heute nicht abgeschlossener Serie von Bild-Notizbüchern unter dem leicht skurrilen Titel "Die Basis des Make-Up". Wunderbare Künstlerbücher, die sich natürlich nicht verkauften, und Spiegelman, der seine eigenen Sachen später wunderbar verkaufte, gestand scherzhaft ein, dass die meisten Zeichnungen von Heinz für ihn "überhaupt keinen Sinn machen". Das liegt vor allem daran, dass sie zwar eine gut erkennbare Dingwelt zeigen, mit Häusern, Landschaften, Personen, Situationen, dabei aber alles scheinbar wirr durcheinanderwirbeln, die Symbolik der Bildbedeutung wird ausgehebelt, und die Serien von Bildern ergeben so einen niemals vollendeten, historischen Kosmos aus privaten und öffentlichen Kodierungen, der sich bewusst jeglicher Öffentlichkeitswirksamkeit verschließt.

"Lange bevor das comicartige Zeichnen modern und modisch wurde, also lange vor Pettibon und so weiter, gibt es diese unerkannte, ich würde fast sagen, im Bereich der Bildenden Kunst ist das kaum wahrgenommen worden, es ist in der "Republik", die Uwe Nettelbeck jahrelang herausgegeben hat, erschienen, die Folgen sind da erschienen, also in diesem philosophisch-literarischen Zusammenhang ist das sichtbar gewesen. Die Bildende Kunst hat das eher nicht so wahrnehmen wollen, und deshalb ist es außerordentlich wichtig, dass wir jetzt in diesem Haus diese Ausstellung zeigen."

Heinz Emigholz gehört zu den letzten ganz großen Avantgardisten in der deutschen Kunstszene, dessen Werk erst allmählich bekannter wird, was man durchaus dem Selbstverständnis des Künstlers zurechnen kann. 550 Zeichnungen und zahllose Notizbücher umfasst seine Serie "Die Basis des Make-Up" bisher und sind im Hamburger Bahnhof nun erstmals vollständig präsentiert. Der Titel ist, wie sollte es anders sein, einem medialen Vorbild entnommen, einem amerikanischen Lehrbuch für Visagisten, das auf seinem Umschlag einen Totenkopf zeigte – der Schädel ist der Anfang, die Basis wahrhaft jeden Make-Ups. Und wie in seinen Zeichnungen beschwört Emigholz auch in seinen Filmen unermüdlich eine Weltwahrnehmung jenseits der Make-Up-Grenze herauf, eine Vieldeutigkeit der Zeichen und Bedeutungen, die die Welt des Kommerziellen natürlicherweise vermeiden muss. Doch als Filmemacher Künstler zu sein, ist für Heinz Emigholz heutzutage eigentlich eine Unmöglichkeit:

"Also ich hab ja immer von vornherein Filme und Kunst gleichzeitig gemacht oder gezeichnet oder Kunst...weiss nicht. Und es ist ja interessant, wie über Jahrzehnte Sphären völlig voneinander getrennt waren, es hat ja erst in den letzten Jahren so was wie ne Hinbewegung der Kunst auf dem Film gegeben, (...) man will sich ein bisschen an den Pol Macht und Geld anketten und an Repräsentation, aber lässt sich nicht auf die Produktionsbedingungen von Filmen ein. (...) Ich glaube, dass die Produktionssphäre des Films eine so andere ist zur Kunst, dass es also immer noch diese Dichotomie gibt und das man in zwei verschiedenen Welten herumsegelt. (...) Also es gibt da so ne Schnulze jetzt, dass da was zusammenwächst, glauben Sie nicht daran (...) aber ich hoffe: hier!"

In den hier gezeigten drei Filmen erscheinen unter anderem jene Notizbücher, die im Schnellverfahren Seite für Seite und Bild für Bild durchgeblättert werden, rastlos geradezu, als sei der Blick ständig auf der Suche nach etwas, an dem er sich festhalten kann, und verliert sich dabei in der endlosen Folge der handgeschriebenen Worte und Bilder. Das Zusammentreffen von Film und Zeichnung in dieser Ausstellung betrachtet Heinz Emigholz als "Glücksfall" – denn üblicherweise übersteigen die Produktionskosten für Filme das Budget von Kunstinstitutionen. Filmfördergelder werden jedoch in Deutschland für kommerzielle Streifen gewährt. Auch er beobachtet frustriert eine allenthalben um sich greifende Ökonomisierung des Kulturbereichs:

"Also die Abwesenheit von Intelligenz im deutschen Film seit Mitte der achtziger Jahre ist atemberaubend. Und manchmal gibt es so Wellen, wo tolle Sachen auftauchen, die kriegen aber sofort wieder einen auf den Deckel, da können Sie wirklich Gift drauf nehmen. (...) Und das Fernsehen will mit so was sowieso nichts mehr zu tun haben. Es gab ja mal ne ganze Generation von Filmkritikern (...), die dann Produzenten wurden, so in den Sechzigern, bis in die Siebziger, (...) das ist alles weg und von diesen entsetzlichen Absolventen von Drehbuchholschulen besetzt worden, die immer genau wissen, was ein Film ist und wie der Formelfilm zu sein hat und sonst kriegt man keine Markfünfzig mehr. (...) Das ist korrupt bis in die Puppen, was sich im deutschen Film abspielt. Aber in der Kunst wahrscheinlich auch..."