"Alles sehr makaber"

Moderation: Stephan Karkowsky · 12.05.2011
Rainer Herrmann vom niedersächsischen Landeskriminalamt will Geier für das Aufspüren von Vermissten abrichten. Im Interview erzählt er, was sich die Polizei von dem Projekt erhofft - und wie schwierig sich die Arbeit mit den Tieren gestaltet.
Stephan Karkowsky: Und wie groß da seine Hoffnung ist, frage ich den Koordinator des Geiertrainings, Kriminalhauptkommissar Rainer Herrmann vom LKA Niedersachsen. Guten Tag, Herr Herrmann!

Rainer Herrmann: Guten Tag!

Karkowsky: War das denn eigentlich Ihre Idee, aus Geiern fliegende Spürhunde zu machen?

Herrmann: Nein, das war nicht meine Idee, sondern diese Idee kommt von einem Kollegen aus Kaiserslautern, also Rheinland-Pfalz. Dieser Kollege arbeitet dort als Vermissten-Sachbearbeiter, und der hat zufälligerweise, nachdem er sehr erfolglos mit großem Einsatz im Pfälzer Wald jemanden gesucht hat, abends im Fernsehen einen Bericht der BBC gesehen. In diesem Bericht ging es um die Vogelwelt Mittel- und Südamerikas, und dabei hat man gezeigt, wie schnell es geht, wenn man Aas im Urwald versteckt, wie schnell dann doch Geier da sind, die dieses Stück Aas gerochen haben.

Karkowsky: Er hat also nicht einfach zu viele Clint-Eastwood-Western geguckt?

Herrmann: Nein. Ja, ist klar, man sieht natürlich immer in Western so große Geier auf irgendwelchen Bäumen sitzen, aber wenn man mal genau hinguckt, diese Geier leben in einer völlig anderen Landschaft. Mittel- und Südamerika sind natürlich bewaldet, und da ist es natürlich auch notwendig, dass diese Vögel im Wald landen und vor allen Dingen auch wieder starten können. Und deshalb sind die Vögel auch deutlich kleiner – diese Truthahngeier – als die anderen in Western gezeigten Geierarten.

Karkowsky: Sie hätten ja nun auch die in Europa einheimischen Altweltgeier trainieren können, Gänsegeier etwa findet man in Spanien oder auf dem Balkan, oder den mallorcinischen Mönchsgeier. Stattdessen haben Sie sich für Neuweltgeier entschieden, speziell den Truthahngeier. Warum gerade den?

Herrmann: Ich muss gleich mal dazu sagen, ich habe natürlich von der Vogelwelt als Polizist auch nicht die ganz große Ahnung, aber ...

Karkowsky: ... Sie kennen sich aus mit schrägen Vögeln!

Herrmann: ... Ja! Da gebe ich Ihnen allerdings recht! Das klappt schon, und diesmal haben wir es versucht halt – gerade deshalb mit Truthahngeiern –, weil es natürlich in demn Bericht auch Truthahngeier waren. Und wir hatten auch keine andere Möglichkeit, als, sagen wir mal, diese Geier zu nehmen, weil es die einzige Chance war, tatsächlich auch mal an einen ran zu kommen, wobei – und das haben Sie ja schon gehört – diese Truthahngeier gar nicht so einfach sind zu trainieren.

Karkowsky: Ja, der Vogeltrainer klang eher pessimistisch – wie groß ist denn Ihre Hoffnung, dass Sherlock und Co. ihre Aufgabe ihre Aufgabe eines Tages meistern können?

Herrmann: Ach, na ja, im Grunde genommen handelt es sich dabei ja um einen Versuch. Diese verrückte Idee umzusetzen, sagen wir mal, ist ja an mich herangetragen worden, weil unter anderem auch natürlich der Vogelpark Walsrode hier vor der Haustür liegt in Hannover und ich die Chance hatte, da zumindestens mal meine Idee zu präsentieren – oder die Idee des Kollegen besser gesagt. Und die Hoffnung ist natürlich die, dass es funktioniert, aber – und das ist eben so, wenn man so was angeht – wenn es nicht funktioniert, hat man es zumindestens doch mal ausprobiert und kann sagen: Okay, das funktioniert nicht, das lassen wir sein.

Karkowsky: Welche Probleme sind denn die größten derzeit? Welche müssen Sie noch lösen?

Herrmann: Das hat er ja auch gesagt, der Alonso, diese Vögel sind relativ ängstlich. Klar, in der kleinen Flugshow, da funktioniert es, auch vielleicht mal mit diesen anderen beiden, mit Columbo und Miss Marple, funktioniert es auch schon ein bisschen weiter, aber, sagen wir mal, fliegen in freier Flugbahn, das haben wir noch nicht ausprobiert. Ob das so funktioniert, wissen wir noch nicht.

Karkowsky: Nun weiß man von den Geiern, die drehen meist in Gruppen über verendeten Tieren ihre Kreise, sind recht ängstlich, fangen aber gleich an zu fressen, sobald der Kadaver sich nicht mehr bewegt. Wie sicher sind Sie sich denn, dass Ihre vermissten Personen noch beide Augen haben, bis Sie den Geier wieder einfangen können.

Herrmann: Ja, das ist natürlich eine ziemlich makabere Frage jetzt ...

Karkowsky: ... aber die Sie sich auch stellen, oder?

Herrmann: ... ja, sicherlich! Klar haben wir uns die auch gestellt. Nur man muss eins sehen: Das ist so angedacht, dass die Geier einen GPS-Sender bekommen und am Boden begleitet werden. Nun ist es natürlich nicht immer möglich, relativ innerhalb von ein paar Sekunden am Landeplatz zu sein, weil man muss sie ja auch sicherlich im schlechten Gebiet verfolgen und auch wieder finden. Ja, aber wenn so ein Geier landet – wie soll ich Ihnen das sagen? –, der landet ja nicht umsonst. Und ich will nicht sagen, dass es keine Rolle spielt, ob noch ein Stückchen mehr fehlt vielleicht – das klingt alles sehr makaber, aber es ist einfach so, weil wir ja tatsächlich auch den Leichnam finden wollen. Und der Leichnam sieht zu dem Zeitpunkt, wenn die Geier landen, mit Sicherheit auch nicht mehr so aus wie vorher im Leben.

Karkowsky: Normalerweise werden die Geier im Vogelpark Walsrode ja mit Tierleichen, also mit Fleisch gefüttert. Woher bekommen Sie denn eigentlich den Menschenleichengeruch, auf den die Geier nun abgerichtet werden?

Herrmann: Das war natürlich die erste Angst, das waren mal wieder die Fragen auch von Ihren Kollegen: Wie funktioniert das? Wie kann das sein? Wir arbeiten natürlich nicht mit menschlichem Fleisch oder so – Nein, das sind alles, sagen wir mal, den Leichen beigelegte Dinge, wie Handtücher, wie Hemden oder irgendetwas, ein Stück Stoff, das den Geruch annimmt, und mit diesem Geruch arbeiten wir.

Karkowsky: Gibt es denn auch Kollegen beim LKA, die das alles nicht so richtig ernst nehmen und ihnen Spitznamen geben, Rainer unsere Geierwally, oder so?

Herrmann: Ja, na klar, das ist ja das erste, worauf man kommt. Der erste Gedanke war, als ich mit dieser Idee mal im Haus ankam: Was soll der ganze Blödsinn? Wenn die Geier aufsteigen, fliegen sie sowieso als erstes zum Friedhof! Das sind so Dinge, damit muss man einfach leben. Wenn man verrückte Sachen macht, muss man damit leben, dass man damit aufgezogen wird.

Karkowsky: Zur Berühmtheit wurde bei Ihren Kollegen in Hildesheim in den 80ern das Rauschgift-Schwein Luise, das war ganz heiß auf Haschkekse und Sprengstoff. Leider ist Luise nun 1998 verstorben, und so richtig lange dauerte ihr Einsatz da ja auch nicht. Haben Sie denn so einen Überblick, wie lange so ein Geier lebt, wann er also in Einsatz kommen kann und wann er pensioniert werden muss?

Herrmann: Nein, das ist eigentlich – pensioniert ist gut! – das sind eigentlich Dinge, die muss man die Vogeltrainer fragen. Da ich auch nicht genau weiß, wie lange derartige Vögel leben, gehen wir einfach mal davon aus, dass die relativ schnell ausgebildet werden müssen, und dann sicherlich ein paar Jahre arbeiten können. Das ist, sagen wir mal, das Optimum. Ob das alles so funktioniert – keine Ahnung.

Karkowsky: Und haben Sie sich so einen Zeitrahmen gesetzt, ab wann Sie sagen, das Projekt ist erfolgreich oder nicht erfolgreich?

Herrmann: Nein, haben wir nicht. Wir denken ja schon über zehn Jahre darüber nach, weil es einfach sehr schwierig ist, diese Art von Vögel zu bekommen, weil die Truthahngeier sind, sagen wir mal, die Vogeltrainer sagen immer, die Tauben Mittel- und Südamerikas und befinden sich in keinem Artenschutzprojekt oder sonstiges und werden auch in Europa relativ selten gezüchtet, sodass es schwierig ist, immer an Jungvögel zu kommen, und da bin ich immer dem Vogelpark Walsrode sehr dankbar, dass die das alles für die Polizei so mitmachen, denn wir sind ja nur die Nutznießer. Im Grunde genommen hängen wir uns ja an die Arbeit des Vogelparks ran und hoffen, dass es funktioniert. Es gibt keinen Endpunkt, wo wir dann endgültig sagen, es funktioniert nicht, bis mir ein Vogeltrainer sagt, das geht nicht. Und dann hören wir auf.

Karkowsky: Rainer Herrmann ist Kriminalhauptkommissar beim LKA Niedersachsen und Koordinator des Geiertrainings im Vogelpark Walsrode. Mehr von der großen Vogelschau gibt es im Deutschlandradio Kultur in 25 Minuten, denn auch die Debatte gehört in dieser Woche den Vogelfreunden. Diesmal können Sie ihre Fragen stellen an den Vogelexperten des Nabu, Markus Nipkow. Das komplette Programm zur großen Vogelschau finden Sie bei uns im Internet auf dradio.de. Herr Herrmann, danke für das Gespräch!

Herrmann: Bitte sehr!