Alles ist möglich

Wie sich Sport und Mode beeinflussen

Eine Frau in Jogginghose steht auf einer Rolltreppe.
Eine Frau in Jogginghose steht auf einer Rolltreppe. © picture alliance / dpa / Ole Spata
Von Alexa Hennings · 21.05.2017
Wer eine Jogginghose trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren, sagte Modedesigner Karl Lagerfeld einst. Schon damals stimmte der Satz nicht mehr. Denn längst bestimmen Fitness und Wellness das urbane Leben.
Eine Modenschau - Pardon, Fashion Show - flimmert über die Wand im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe. Ein Model stakst heran, Highheels, Shorts und ein Sportdress mit einer übergroßen Startnummer aus glitzernden Pailetten. Die nächste junge Frau trägt ein Brautkleid, an den Füßen Turnschuhe. Alles scheint durcheinander geraten zu sein, vertauscht, das Passende mit Macht auseinandergerissen. So werden die einzelnen Bestandteile wieder interessanter: Turnschuhe zu Leggings kann jeder tragen, aber zum Abendkleid oder gar als Braut?
"Auch in die Haute Couture ist dieser Trend reindiffundiert, kann man nicht anders sagen. Sowohl die Sneakers - hier das ist Chanel. Auch diese Knie- und Ellbogenschützer, natürlich in Glitter, vom Skaten. Aber auch so eine Art Jogging- oder Yogahosen gibt es inzwischen in der Mode von Chanel oder etwas daran Angelehntes."
Angelika Riley ist die Kuratorin der Ausstellung sports/no sports im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe. Zum ersten Mal geht eine Ausstellung in Deutschland der Frage nach, wie sich Sport und Mode gegenseitig beeinflussen. Wie es dazu kam, dass man zerrissene Jogginganzüge überm hautengen Dress trägt und in diesem Aufzug Hand in Hand mit Karl Lagerfeld über den Laufsteg spaziert. Das Video an einer anderen Wand zeigt gerade etwas ebenso Unglaubliches:
"Dieser Surfer, der einen aus Neopren gefertigten Anzug an hat: Schwarzen Anzug, weißes Hemd, Krawatte. Und in der Mittagspause kurz an den Strand geht, eine Runde surft, eine Frau anbaggert und dann zurück geht und seinen Chef begrüßt. Er hat sich quasi wieder trocken geschüttelt, braucht sich nicht umziehen und übergibt dann seine offensichtlich auch aus Neopren gefertigte Business-Karte, von der er nur noch den Sand runterpusten muss. Diese Anzüge sind sogar auch produziert worden, aber wir fanden das Video viel genialer. Das sagt mehr, als wenn man hier so einen Anzug ausstellen würde."

Ursprünge liegen etwa 125 Jahre zurück

Klassische Ausstellungsstücke, die sich nicht als Videoclip präsentieren, gibt es dennoch genug. Kleidungsstücke hängen an Sprossenwänden, schweben über Balken, Kästen und Böcken, formieren sich zu Mannschaften auf Matten und Handballparkett. Der Ausstellungsraum war tatsächlich einmal eine Turnhalle, früher teilten sich das Museum und ein Gymnasium das 1880 errichtete Gebäude. Eigentlich fehlt nur noch eine Geruchsinstallation: Turnhallenmief trifft Chanel Nr. 5 - um auch für den Geruchssinn zu verdeutlichen, was das bedeutet: Die Verquickung von Sport und Mode.
Heute sagt man dazu "Athleisure" und meint, dass zum Beispiel die Sekretärin in Leggings und T-shirt am Schreibtisch sitzt und man sich fragt: Kommt sie gerade aus dem Fitnessstudio oder geht sie gleich sie dorthin? Dass sich Sport und Mode gegenseitig beeinflussen, ist keineswegs ein neuer Trend - er hält nur schon bis heute an und wird immer stärker. Die Ursprünge liegen etwa 125 Jahre zurück.
"Ursprünglich betrieb man die sportlichen Aktivitäten weitgehend in Alltagskleidung. Wie Tennis z.B., das im 19 Jahrhundert natürlich nur für die oberen Gesellschaftsschichten modern wurde. Und dann bildet sich erst nach und nach erst eine eigene Sportkleidung heraus, weil es sich einfach als viel zu unpraktisch erwiesen hat. Man kann davon ausgehen, dass die Hose in die Damenkleidung, auch in die allgemeine Damenmode letztlich durch diese Hintertür des Sports und der Sportbekleidung gekommen ist."
Tennisbekleidung aus verschiedenen Epochen ist in der Ausstellung "Sports - No Sports" im Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg zu sehen.
Tennisbekleidung aus verschiedenen Epochen ist in der Ausstellung "Sports - No Sports" im Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg zu sehen.© dpa / picture alliance
Die Lust an der körperlichen Bewegung bedeutete das Ende des Korsetts. Der Sport änderte die Damenmode weit radikaler als die Herrenmode, alte Moralvorstellungen bröckelten, auch Frauen durften dann nach Männerart auf dem Pferd sitzen und im knie- und schulterfreien Badetrikot - das überhaupt erst ein Schwimmen, und nicht nur ein Baden erlaubte - ins Wasser gehen. Im Laufe der Zeit wurde der Stoff für die Bademode immer knapper. Haut zu zeigen, wurde nicht nur erlaubt, sondern geradezu zum Gebot, wie die Diskussionen um den Burkini zeigen. Diese Badebekleidung für muslimische Frauen besteht aus einer langen Hose, einer Art Minikleid mit langen Ärmeln und einer engen, badekappenartigen Kapuze. Angelika Riley hat den Burkini neben einem sehr knappen Monokini aus den 80er-Jahren platziert.

"Jetzt gibt es ja quasi ein Gebot der Nacktheit"

"Zu Zeiten meiner Großmutter oder spätestens Urgroßmutter war es nicht möglich und auch nicht wünschenswert, dass Frauen fast nackt ins Schwimmbad gingen, sondern bekleidet von Kopf bis Fuss.Und jetzt gibt es ja quasi ein Gebot der Nacktheit, das mit unterschiedlichsten Argumenten unterstützt wird. Auch, genau wie im 19. Jahrhundert, mit Gesundheitsaspekten. Also es war damals auch schädlich für Frauen, sich auszuziehen oder Hosen zu tragen - das wurde als gesundheitsschädlich diffamiert. So wird heute zum Teil argumentiert, dass die Stofffülle unhygienisch wäre, was natürlich Quatsch ist."
Die Hygiene war ein Argument beim Burkini-Verbot in französischen Badeorten, ein anderes die "Störung der öffentlichen Ordnung" und "Provokation". Von wegen alles ist möglich in der Mode heute: Die Diskussion um Burkinis zeigt die Grenzen. Noch vor 100 Jahren mussten sich hierzulande die Frauen am Strand komplett verhüllen, heute will man knappe Bademode vorschreiben. Verkehrte Welt.
"Dieser Burkini ist von einer Australierin erfunden worden, einer Muslima, die ihren sich traditionell kleidenden Glaubensgenossinnen - wollenden oder müssenden Genossinnen, wie auch immer - mit diesem Komplettanzug ermöglichen wollte, an sportlichen Betätigungen am Strand in der Öffentlichkeit und eben im Wasser teilzunehmen. Interessanterweise hatten wir ja ähnliche Formen bis 2008 oder 2010 im Wettkampfschwimmsport, als die Männer und Frauen Ganzkörperanzüge, teilweise mit Kapuze, trugen. Das ist also gar kein Unterschied, ausser, dass sie noch wesentlich enger am Körper anlagen und sie ja dann verboten worden sind, weil es vom Weltschwimmverband als Technologiedoping eingestuft wurde. Da hat aber keiner gesagt, so dürfen die nicht ins Wasser gehen, wir sehen nicht genug Haut!"
Immer weniger Körperstellen zu bedecken oder einzuschnüren, war in den 20er-Jahren Programm: Es war die Zeit, als Coco Chanel und Jean Patou zum ersten Mal Elemente der Sportbekleidung in die Mode integrierten. In dieser Zeit wird der Begriff "sportliche Eleganz" geprägt.
"Nach dem ersten Weltkrieg hat sich das wünschenswerte Körperbild in den jungen, fitten, schlanken, auch leicht muskulären, stromlinienförmigen Körper gewandelt. Also den Körper, für dessen Form, und das gilt bis heute, jeder selbst zuständig und selbst verantwortlich ist. Das macht natürlich viele Körper auch von vornherein zum Außenseiter. Es ist eigentlich auch richtig gemein, dieses Körperbild."
Ein weiteres Video an der Wand der Hamburger Ausstellung: Zwei junge Frauen kommen auf einen Sportplatz, dehnen und strecken sich und laufen dann - endlos, wie es scheint - im Kreis. Dieses Geräusch dringt aus den Lautsprechern in der Ausstellung: Das ganz und gar Umglamouröse, zähe Rundendrehen. Dem optimalen Selbstbild nachzulaufen, hat längst ganz andere Sphären erreicht.

Körper müssen möglichst optimiert sein

"Ein Herren-Trainingsanzug, kein Wettkampfanzug, hat integrierte Elekroden im Anzug. Über Smartphone können elektrische Impulse auf die Muskelpartien appliziert werden, das soll den Trainingseffekt von jedwedem Training - ob jetzt Laufen, Radfahren, Fitness oder Bodybuilding erhöhen, die Trainingszeit verkürzen und den Effekt erhöhen."
Die Körper müssen möglichst optimiert sein, um in der zunehmend "versportlichten" Mode eine gute Figur zu machen. Immer mehr Sportarten wie Skaten, Surfen oder Aerobic waren von den 80er-Jahren an stilbildend für die Alltagsmode. Sneaker, Basecap, Sweatanzug und Leggings eroberten nicht nur die Straße, sondern auch die Laufstege. Jetzt ist sogar die Jeans auf dem Rückzug, immer mehr Jugendliche tragen im Alltag Leggings oder Sweatpants - also eine Art straßentaugliche Jogginghose mit Gummizug oder Kordel. So hat man sich vor zehn Jahren kaum in den Supermarkt getraut, nun hat der Schlabberlook sogar schon in Büros Einzug gehalten und ist auch jenseits der 20 beliebt und salonfähig.
Kuratorin Angelika Riley schaut an sich herunter: Sie trägt Bluse, Blazer, Sneaker und Sweatpants.
"So 'ne Pseudo-Jogginghose, wie ich sie jetzt anhabe - ich empfinde es nicht als unelegant und nicht als Zumutung für das Gegenüber."
Als Zumutung gilt nur noch Weniges. Der Typ in Bomberjacke, Sweatshirt und Turnschuhen könnte der Chef sein, das Personal am Empfang ist besser angezogen als der Abteilungsleiter, Kapuzenshirts, Skaterschuhe, Jogginghose - der sportliche Look in der Arbeitswelt ist nicht nur bequem, sondern er verbindet sich mit einer Botschaft. Die Mode- und Sportmodedesignerin Julia Kuchmetzki kennt sich damit aus:
"Mit dieser sportlichen Mode kann ich gleich mehrere Zwecke erfüllen: Mit der Sportswear im Alltag kann ich zeigen, dass ich auch ein sportlicher Mensch bin. Ich kann meine trainierten Arme oder Beine zeigen. Mit der Sportswear im Alltag kann man aber auch eine Lässigkeit demonstrieren. Das hat auch etwas von: Ich muss mich nicht formell anziehen. Das kann sein: Ich muss nicht arbeiten. So wie früher die Leute blass waren, als Distinktionsmerkmal von den braungebrannten Arbeitern und die damit gezeigt haben: Ich muss nicht auf dem Feld arbeiten, ich kann es mir leisten, blass zu sein. So kann man sagen: Wenn ich mich lässig anziehe, habe ich entweder so eine Position in der Firma oder ich bin selbstständig oder ich bin Grüner. Ich muss mich dahingehend nicht anpassen. Ich habe mir schon eine Position erarbeitet. Und das zeige ich mit der Sportswear, mit dieser ein bisschen rebellischen, informellen Sportswear."
Julia Kuchmetzki hat 2009 nach ihrem Modedesignstudium die Firma Yekeke in Berlin gegründet. Sie entwirft und produziert Sport- und Freizeitmode.
"Wir haben es ja hier mit einem Phänomen zu tun, was überhaupt nur existieren kann, weil wir in unseren westlichen Welt den vorherrschenden Individualismus haben. Wir sind wirklich daran gewöhnt, dass diese Mode für uns ein Ausdruck ist, den wir ganz bewusst wählen. Mode ist ja eine Form von Signalgebung. Noch bevor das erste Wort gesprochen wird, habe ich ein Bild von meinem Gegenüber, bevor der sich überhaupt vorgestellt hat."

Zugehörigkeit zu einer Subkultur

Die Grenzen zwischen Mode und Sportbekleidung zerfließen: Denn in der Wellnessgesellschaft gilt es ständig zu signalisieren, wie fit man ist. Das Wort Athleisure wurde im vergangenen Jahr schon offiziell in den englischen Wortschatz aufgenommen, es ist die Kombination aus athletic und leisure - Athletik und Freizeit. Es bezeichnet Mode, die man nicht nur zum Sport anzieht, sondern ebenso zur Arbeit, zum Einkaufen, im Café und zum Freunde treffen. Athleisure-Mode wird in den kommenden Jahren den Modemarkt stark bestimmen: Analysten der amerikanischen Bank Morgan Stanley schätzen, dass die Branche weltweit ihren Umsatz um 30 Prozent steigern wird. Von 270 Milliarden Dollar im Jahr 2015 auf 353 Milliarden Dollar im Jahr 2020.
"Mode ist ein optimales Werkzeug, um sich selbst optimal darzustellen. Mode wird dadurch zu einem Bestandteil dieses ganzen Lifestyles, den wir uns luxuriöser erlauben können. Lifestyle im Sinne von: Immer, über jede Kleinigkeit ganz bewusst entscheiden zu können. Was mache ich für einen Beruf, wo wohne ich, wie kleide ich mich, welchen Sport mache ich usw. Da sind wir hier schon in einer ganz besonderen Lage, muss man sagen."
Arbeit und Freizeit haben sich in dieser Welt immer mehr angenähert. Arbeit, die man mit dem Begrifff "Maloche" und Dreck verbindet, verschwindet immer mehr. Arbeitsinhalte, -zeiten und -orte haben sich geändert - und auch die Beziehungen zwischen den Beschäftigten. Hierarchien werden flacher oder verschwinden fast ganz.
"Casualwear oder so eine Firmenkultur, wie sie in den Start Ups ist, ist eigentlich kulturelles Allgemeingut geworden. Auch in etablierten Firmen wurde so etwas wie der Casual Friday eingeführt. Es ist auch klar, dass die Mitarbeiter anfangen, sich so zu benehmen, denn von ihnen wird ja auch etwas erwartet - nämlich ständige Erreichbarkeit. Die Chefs erwarten heutzutage ja nicht nur die Dienst nach Vorschrift, sondern die erwarten eine mehr abgerundete Persönlichkeit. Und jemand, der mehr für sich sorgt, der Ausgleich zur Arbeit, das wird eigentlich vom Job schon erwartet, dass man diesen Ausgleich mitbringt. Und dann ist eigentlich eine ganz logische Folge, dass sich die entsprechende Kleidung mit der Alltags- und Berufskleidung mischt und man die gar nicht mehr so unterscheiden möchte."
Wer eine Jogginghose trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren, sagte Karl Lagerfeld im Jahr 2012. Schon damals stimmte der Satz nicht mehr, denn längst sind Fitness und Wellness bestimmend im urbanen Leben. Zehn Millionen Deutsche sind in einem Fitnessstudio angemeldet, drei Millionen betreiben hierzulande regelmäßig Yoga. Menschen geben ihr Geld zunehmend für Erlebnisse statt für materielle Dinge aus. Das Yoga-Retreat in Indien, der Kitesurf-Kurs auf Fuerteventura, Hiking auf Kreta, Mountainbiking im Tessin. Alle diese Trips brauchen die passende Kleidung, deren Elemente wiederum in die Alltagsbekleidung diffundieren.
"Mit so kleineren Codes und Subcodes bringe ich dann auch noch meine Persönlichkeit zum Ausdruck, wenn ich das als Sportswear für den Alltag lebe. Im Vergleich: Klassische Anzüge und Hemden haben so etwas ja gar nicht. Da kann vielleicht das geübte Auge unterscheiden, ob der Anzug teuer ist oder gut passt oder maßgefertigt ist. Aber nur die Sportswear mit den omnipräsenten Logos bringt noch mehr Message: Wie ticke ich, zu welcher Subkultur zähle ich mich."

Kleider aus Bademodenstoff

Die Sportart, die Julia Kuchmetzki selbst betreibt und für die sie bevorzugt Produkte entwickelt, ist eher eine Mini-Subkultur: Beachvolleyball. Ihr Hobby war Anlass zur Firmengründung.
"Eigentlich aus dem Gefühl heraus, dass es solche Sachen, wie ich sie gern hätte, für die Art Sport, die ich gern machen würde, nicht gäbe. Und ich schon einige Jahre Berufserfahrung als selbstständige Schneiderin und Designerin hatte und wusste: Du kannst es dir nicht nur ausdenken, du kannst es auch umsetzen und bist damit unabhängig von anderen."
Jedes einzelne Stück wird in der Berliner Werkstatt entworfen, zugeschnitten und genäht. Julia Kuchmetzki stattet mehrere Beachvolleyballteams aus Deutschland und Österreich für internationale Wettkämpfe aus. Ihr Logo auf den knappen Höschen hat es sogar schon bis zu den olympischen Spielen in London geschafft. Doch ihr Anspruch ist es nicht nur, Profisportler anzuziehen, sondern Kleidung zu entwerfen, die zum Lebensgefühl des modernen Stadtmenschen passt, der sich zwischen Arbeit und Kindergarten, Café Latte und Sport bewegt. Wie die 37-jährige Designerin selbst.
Ich finde das eigentlich schön, wenn man ein Outfit hat, was einem das alles erlaubt. So konzipiere ich meine Kollektion, so eine Kundin habe ich vor Augen: Die vielleicht morgens mit dem Fahrrad zur Arbeit fährt, die ihr Kind von der Kita abholt, die vielleicht auch mal mit runterrutschen will auf dem Spielplatz und dem Kind hinterher krabbeln möchte. Die aber auch an der Strandbar noch schön aussehen möchte und sich passend gekleidet fühlt. Und sich so frei und spontan in der Stadt bewegen möchte, dass sie nicht nur ihre Arbeit genießt, sondern auch ihre Freizeit.
Und so entwarf Julia Kuchmetzki Kleider aus Bademodenstoff, die man über der Leggings und dem Shirt tragen kann. Die knielangen Shorts für Männer sind wandelbar - je nach Anlass mit oder ohne Stoffprint zu tragen. Alles muss kombinier- und wandelbar sein, unkompliziert und praktisch - Athleisure eben.
"Ich spiele Beachvolleyball und ich liebe das auch, dieses einfache Ball über die Schnur. Ausgeliefert sein den Elementen, es hat eine tolle, soziale, spielerische Komponente und trainiert den ganzen Körper. Und man ist draußen und man ist am Strand. Das bringt schon ganz viel mit, was das heutige gewünschte Lebensgefühl von immer ein bisschen Urlaub, immer ein bisschen Freizeit. Das transportiert es total gut. Mit den Sachen kann man aber auch Surfen, Joggen, Yoga oder sonstige Fitness machen."
Nicht alles im Überfluss zu haben und zu produzieren, für jede Sportart eine andere Jacke oder Hose oder Shirt, ist der Berliner Designerin wichtig. Zudem wird in ihrer Werkstatt nur genau so viel hergestellt, wie die Kunden im Onlineshop bestellen.
"Wir arbeiten sozusagen nachhaltiger. Wir kaufen den Stoff in einer Farbe, schauen aber dann ganz individuell: Verkaufen wir aus dem Stoff jetzt mehr Shirts oder mehr Bikinihosen? Der Stoff wird dann mit den Bestellungen aufgebraucht. Statt jetzt im Vorhinein zu planen, Tights und Bikinihosen in Auftrag zu geben, die hier auf Lager zu haben und sie zum Schluss für die Hälfte verkaufen zu müssen. Oder das Problem zu haben, dass keiner die Tights will, aber alle die Bikinihosen, dann können wir die Bikinihosen nicht mehr liefern! Man muss auch sagen, das ist auch zutiefst unökologisch, so eine Art Vorausplanung von Produktion, die auf Annahmen basiert und wo dann ein Kleidungsstück in so großen Stückzahlen für so wenig verkauft wird, obwohl es immer noch das gleiche Kleidungsstück ist."

Heute gilt: Wer keine Jogginghose trägt, hat die Kontrolle verloren

Ein Modell, das sich jenseits der großen Handelsketten immer mehr durchsetzt: Es wird nur produziert, was konkret von den Kunden im Laden oder im Onlineshop bestellt wird. Sei es ein Rennrad aus der Fahrradmanufaktur, ein Rucksack aus der Taschenwerkstatt oder eben eine Leggings direkt beim Modelabel.
"Und was manchen ja gar nicht klar ist, dass so unerwünschte Modeprodukte, die im Sale nicht mehr verkauft wurden, oder Modeprodukte, die bei der Produktion mit so großen Mängeln ausgeliefert werden, dass sie nicht in den Handel kommen dürfen, die werden wirklich mit peinlichster Genauigkeit vernichtet. Dazu fällt mir eigentlich gar nichts mehr ein. Es ist ja nicht nur ein Material, was die Natur einmal in irgend einer Form hervorgebracht hat, sondern es ist auch Arbeitskraft. Und dann fragt man sich wieder: Wie kann man sich erlauben, Arbeitskraft so wegzuschmeißen? Natürlich nur, weil die Arbeitskraft irgendwo so billig ist. Ja, indem letztendlich der ganze Mensch nicht so viel wert ist. Das ist eine unbequeme Wahrheit, aber es passiert tatsächlich, es werden wirklich Produktionen einfach vernichtet."
Wer wird von dem neuen Trend profitieren, der Sport und Mode mischt? 83 Milliarden Dollar mehr Umsatz innerhalb von fünf Jahren sind drin, wie die Analysten von Morgan Stanley errechneten. Anything goes. Alles ist möglich. Alles ist erlaubt. Nichts ist verboten. Nichts ist verboten? Verbietet es sich nicht schon fast, sich zu verweigern? Wo ist die Grenze zwischen Mitmachen-Wollen und Mitmachen-Müssen? Wie lange noch, bis es auch in Deutschland Wellness-Verträge gibt wie in US-amerikanischen Unternehmen und Universitäten? Dort gehört es schon zum guten Ton, einen "Wellness-Vertrag" zu unterschreiben. Man verpflichtet sich, gesund zu leben, abzulassen vom Rauchen, von Drogen und Alkohol. Und sich so oft wie möglich zu bewegen, Mitglied in Fitnessstudios und Sportgruppen zu werden.
Was ist mit denen, die dies verweigern? Schon heute werden sie von vielen Superfitten als diejenigen angesehen, die sich mit ihrer Lebensweise vorsätzlich schneller ins Grab bringen und vorher noch den Krankenkassen und damit der Allgemeinheit auf der Tasche liegen. Heute gilt: Nicht mehr jener, der eine Jogginghose trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren. Sondern jener, der keine anhat.