Alles BIO!

Von Ellen Häring-Vázquez · 03.06.2009
Der Städter lebt bekanntlich tendenziell ungesund, und das weiß er auch. Er joggt und kaut Vollkornbrot, aber das täuscht nicht darüber hinweg, dass die Enge, die Hektik, die Wohnbunker eigentlich der Natur des Menschen zuwider sind. Wenn der Städter aufs Land kommt, dann atmet er erstmal durch und öffnet Sinne, Herz und Geldbeutel. Davon lebt wiederum der Landmensch.
Im Wendland angekommen, fühle ich mich selig wie ein kleines Mädchen: weite, saftige, sattgrüne Wiesen, fette Dotterblumen, blühende Rapsfelder, alles gelb, gelb, gelb. Schafe grasen unter dichten Bäumen, Hasen hoppeln über die Landstraße, Ähren wiegen im Wind.
Zwischen schnuckeligen Backsteinhäuschen in Dannenberg dehnt sich ein ebenso schnuckeliger Markt: Spargel, Spitzkohl, Salbei, Salat – alles aus der Region und natürlich BIO.

Die Bäuerin in Fleecejacke und Sporthose hinterm Tresen zeigt auf ihr Käsesortiment: aus Schafsmilch, Ziegenmilch, Kuhmilch, mit Thymian, Rosmarin oder Schnittlauch. Nun, ich bin zwar erst gerade angekommen, aber der Käse hält sich prima, versichert die rotbackige Bauersfrau und schon ist das Päckchen Feta mit Schnittlauch eingepackt.

Beim Weggehen fällt mein Blick auf die bisher von mir völlig vernachlässigte Tresenablage. Dort reihen sich Marmeladegläser aneinander, wunderbare Sorten wie Holunder-Apfel oder Quitte-Zitrone, alles in Pfandgläsern, versteht sich. Ich entscheide mich für Erdbeer-Rhabarber, ein Glas geht schon, ich bin ja mit dem Auto unterwegs.

Ich schlendere durch Dannenberg, da steht eine Bio-Eisdiele vor mir. Das Angebot ist atemberaubend, ich entscheide mich für die Sorte Ingwer/Honig – aber nur eine Kugel.

Nun geht es weiter, mein Ziel ist ein Milchschafhof, dort könnte demnächst die Live-Reportage stattfinden. Ich fahre vorsichtig, denn die Radfahrer sind zahlreich. Ein Einheimischer mit blauem Cordhut und Latzhose strampelt vor mir, er dürfte weit über 70 sein. Aus seinem Fahrradkorb lugen frischer Spargel und eine Gurke.
Ach, die Welt kann so schön sein!

Das Sortiment auf dem Milchschafhof bietet eingelegten Schafskäse (mit Thymian, Knoblauch und kalt gepresstem Olivenöl), außerdem Joghurt und Butter. Kein Zögern meinerseits, bis auf die Butter (hält sich nicht) kommt alles in den Kofferraum, - im Dienste der Recherche.

Der Schafsbauer kredenzt seinen Schafsmilchlikör – ein einmaliges Produkt der Region, wunderbares Mitbringsel und außerdem Bio-Alkohol! Die Kollegen sollen auch etwas von meinem Ausflug aufs Land haben. Und wann gibt es schon mal Schafsmilchlikör in der Redaktion?

Ich beschränke mich auf eine Flasche und folge dem Bauern in seinen Wintergarten. Darf ich Ihnen ein Glas Quittensaft anbieten? Quittensaft! Selbst geerntet und in der nahe gelegenen Mosterei gepresst. Selbstverständlich unbehandelt. Wir trinken den sagenhaften Quittensaft und sprechen über dies und das, vor allem über Schafe. Ein Spaziergang zur Schafsweide folgt und dann beim Hinausgehen die Frage: Möchten Sie vielleicht noch eine Flasche Quittensaft mit nach Berlin nehmen? Ja, wer will da Nein sagen?

Über kleine Landstraßen vorbei an Gänsen, Kühen und Schwänen erreiche ich meine Pension mit Terrassencafé. Auf dem Dorfteich schwimmen Enten zwischen dem Schilf, ein fröhliches Rentnerpaar mit Rauhhaardackel kommt vom Spaziergang zurück, lässt sich nieder und bekommt – ich höre es im Vorbeigehen - einen hausgemachten Rhabarber-Streuselkuchen. Dies ist der Kuchen aller Kuchen - für mich jedenfalls - willenlos sinke ich nieder und bestelle.

Sonnenstrahlen blinzeln durch die Bäume, der Anger des Rundlingsdorfes liegt im Halbschatten, Pferde grasen auf der Koppel. Dazwischen ich. Alleine bei Kaffee und Rhabarberkuchen. Was gibt es Schöneres…?

Beim Verdauungsspaziergang durch das Dorf entdecke ich eine Ölmühle, alles kalt gepresst und öko. Es gibt auch Socken aus Schafswolle dort und Seife aus Schafsmilch. Ich entscheide mich für Sesamöl, für Socken ist es zu warm und Seife…? Ach nö. Man muss ja nicht alles haben.

Am nächsten Morgen riecht es phantastisch nach frischem Brot, erst jetzt fällt mir die Backstube direkt neben der Pension ins Auge. Auf einer Stellwand wird frisch gebackenes Sauerteigbrot angepriesen, das Getreide stammt aus ökologischem, gentechnikfreiem Anbau. Eigentlich will ich nur einen Blick in die Stube werfen, aber der Duft ist unwiderstehlich. Ein runder Laib Brot ergänzt sogleich mein Biosortiment im Kofferraum.

Auf der Rückfahrt kommen noch Spargel und Erdbeeren von einem Gemüsehof dazu, beides frisch und ökologisch angebaut. Im Vorbeifahren hole ich noch einen Kopf grün-knackigen Salat bei einem alten Bauern, der hutzelig und glücklich in seiner Scheune werkelt.

Kommt der Städter von seinem Landausflug wieder nach Hause, so fühlt er sich irgendwie fremd. Er schleicht in seinen Wohnbunker und blickt auf all die Geschenke der Natur, die er mitgebracht und viele Stockwerke hinaufgeschleppt hat. Ausgebreitet in der Einbauküche wirken die Erdbeeren eigentümlich blass und der Fetakäse mit Schnittlauch recht mager. Wenn dann noch kulinarisch unterentwickelte, pubertierende Familienmitglieder im Vorbeigehen den Stöpsel aus dem Ohr ziehen und fragen: "Warste schon wieder im Bioladen?", dann spürt der Städter tiefe Einsamkeit verbunden mit dieser Sehnsucht, die niemals gestillt werden kann – außer bei der nächsten Landpartie.