Allenfalls ein Bonbon fürs Bildungsfernsehen

Von Peter Claus · 25.12.2012
Mit "Ludwig II." liefert das Autoren- und Regie-Paar Peter Sehr und Marie Noëlle eher eine Werbung für eine Butterfahrt von Ludwig-Schloss zu Ludwig-Schloss - Wagner-Soundtrack inklusive. Es fehlt an Mut zu dem, was der bayerische König wohl im Übermaß besaß: künstlerische Fantasie.
Es wagnert. Heftig. Schließlich war Ludwig II., der Kini, der Förderer Richard Wagners. Mit dem anstehenden Jahr des 200. Geburtstag des Komponisten haben wir einen Grund, ihn auch im Kino zu feiern. Warum das Autoren- und Regie-Paar Peter Sehr / Marie Noëlle dazu den Umweg über das Leben des legendenumwobenen Bayern-Königs geht, erklärt ihr angeblich 16-Millionen-Euro teures Spektakel nicht. Brav deklinieren sie viele, viele Stationen von Jugend bis Tod des Märchenschloss-Erbauers Ludwig durch, natürlich an Originalschauplätzen wie Neuschwanstein gedreht, Episödchen für Episödchen garantiert historisch belegbar – ausführlich vor allem die Beziehung zu Wagner durchdeklinierend, unentwegt von Wagnerklängen, seien sie auch nur sekundenkurz, begleitet. Das sieht und hört sich an wie eine Werbung für eine Butterfahrt von Ludwig-Schloss zu Ludwig-Schloss – Richies Soundtrack inklusive

Es fehlt an Mut zu dem, was Ludwig II. wohl im Übermaß besaß, zu künstlerischer Fantasie. Ganz anders frühere Spielfilme. Helmuth Käutner etwa stilisiert Ludwig und dessen Cousine Sissi 1954 zum Liebesunglückspaar. O. W. Fischer und Ruth Leuwerik dürfen sehnsuchtsvoll-leidend schmachten.

Luchino Visconti verzichtete 1972 auf derlei verlogene Sentimentalität. Helmut Berger und Romy Schneider als Ludwig und Sissi sind ein Paar in ihrer Liebe zur Kunst und in ihrem persönlichen Freiheitsdrang. Dabei wird Ludwigs Hingezogensein zum eigenen Geschlecht mit Sensibilität gezeigt. Wie Käutner entfaltet Visconti die Geschichte in einem Kammerspiel, Wagners Musik setzt Akzente, und, anders als bei Käutner, über allem liegt eine erotische Hochspannung.

Peter Sehrs und Marie Noëlles Bebilderung des Lebens von Ludwig II. erschöpft sich im Hasten von Station zu Station, getrieben von allerlei Wagner-Klang-Schnipseln. Mehr Fiktion statt Faktentreue hätte diesem Filmversuch gut getan. Und mehr Courage, wenn es um die Zeichnung der Persönlichkeit des Monarchen geht. Sehr und Noëlle sparen dessen homoerotische Neigungen nicht aus. Doch die Szenen dazu kennzeichnet knarzende Prüderie.

Der neue Ludwig-Film erschreckt mit krachlederner Überdeutlichkeit. Und das von den ersten Szenen an, da Ludwig vor dem Hof und seinem alles Militärische liebenden Vater flieht. Brachial wird immer wieder gezeigt, dass der zum Regenten bestimmte Mann in die Welt der Künste und nicht in die der Politik gehört.

Wo Käutner und Visconti in den kleinsten Momentaufnahmen auf exquisites Schauspiel setzen, vertrauen Sehr & Noëlle allein auf die Zugkraft großer Namen. Doch ob Edgar Selge als Wagner oder Katharina Thalbach in der Rolle von Ludwigs Mutter: es sieht immer wieder so aus, als wären die Akteure nicht geführt worden, holperten lustlos von Satz zu Satz, unentwegt um Pointen bemüht, der Comedy näher als der Schauspielkunst.

Ein Lichtblick: Sabin Tambrea als Ludwig II. Der am Berliner Ensemble etwa in "G’schichten aus dem Wiener Wald" brillierende Schauspieler hat eine aufregend androgyne Ausstrahlung – und großes Können. Mit scheinbar Nichts an Aufwand kann er die Illusion erzeugen, sein Gesicht spiegele die Seele Ludwigs. Er fasziniert und hält einen im Kino.

Es ist völlig unverständlich, warum in der letzten halben Stunde des Films, da es um das Ende Ludwigs zwischen Wachen und Wahn geht, er von Sebastian Schipper abgelöst wird. Haben Sehr und Noëlle Sabin Tambrea nicht die Verkörperung des in die Jahre gekommenen traurigen Träumers zugetraut? Die sich in der Entscheidung zur Umbesetzung spiegelnde Zaghaftigkeit ist typisch für den ganzen Film. Es muss ja nicht gleich so radikal sein wie bei Hans-Jürgen Syberberg. Er erkundet den Mythos Ludwig II. 1972 für das ZDF – inhaltlich und formal radikal – als Vorspiel zum Unheil des deutschen Faschismus’

Der neue Ludwig taugt allenfalls als Bonbon fürs Bildungsfernsehen: bunt, beflissen und bieder. Der Kini als Lohengrin-Verschnitt – ein Schablone. Sabin Tambrea gibt ihm ein faszinierend vielsagendes Gesicht. Doch Drehbuch und Regie gönnen dem keinen einzigen künstlerisch visionären Blick.
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