Alleinsein, Zweisein oder Dreisein

Liane von Billerbeck im Gespräch mit Tom Tykwer · 19.12.2010
Ein Paar driftet auseinander. Und beide beginnen eine Affäre mit dem Gleichen, allerdings ohne es zu wissen. Das ist die Story des neuen Tykwer-Films, in dem es dem Regisseur um die Verstrickungen der Liebe und die Sehnsucht nach dem Ausbruch in ein anderes Leben geht.
Moderatorin: Und bei uns im Studio ist jetzt Tom Tykwer, der Regisseur von "Drei". Herzlich willkommen!

Tom Tykwer: Guten Tag!

Moderatorin: Eine Frau und zwei Männer, ein Dreier also – das ist so eine erotische Konstellation, von der träumt man ja manchmal. Wie kamen Sie darauf?

Tykwer: Erst mal gar nicht. Und es ist ja auch kein Film über einen Dreier. Das darf man ja nicht vergessen. Das ist ja ein Film über zwei, die einen Dritten treffen, und die ja nicht sich dann sofort zu dritt zusammenbringen, sondern die jeweils heimlich, voreinander versteckt, eine Affäre beginnen, aber eben mit ein- und demselben Mann. Und insofern sind es ja eigentlich drei Zweierkonstruktionen, die der Film zeigt, oder -konstellationen. Und eigentlich ganz ursprünglich war sowieso ein Film über die Organisation einer Sammelbox von Fragmenten und gesammelten Ideen und Materialien und Geschichten, die mir erzählt worden waren über Zweierbeziehungen, die lange durchhalten.

Moderatorin: Man kann sich auch so vorstellen, dass solche Geschichten für so einen Film, aus dem dann ein Drehbuch entsteht, dass man da abends sitzt und mit Freunden zusammen Rotwein trinkt und dann sich immer diese Geschichten erzählt und dann das so zusammenbastelt und ach, das noch und das noch.

Tykwer: Ein bisschen ist das so, ich mache das oft mit meiner Frau. Wir sitzen oft lange da und spinnen dann noch herum, und dann kommen auch manchmal Freunde dazu. So ein typisches Beispiel, was dieser Film ja auch oft benutzt, ist eben die Härte der Zufälle, die uns so manchmal treffen, und Situationen plausibel darstellbar zu machen im Kino, die sozusagen eigentlich der üblichen Dramaturgie widersprechen – kennt jeder, man erlebt was und sagt zueinander, das könnte man jetzt niemandem erzählen, das würde uns keiner glauben –, in einem Film würde man sofort abschalten. Gleichzeitig sind das ja ganz oft die Situationen, in denen man irgendwie ein ganz besonderes, intensives Realitätserlebnis hat. Und wir haben versucht, solche Situationen unterzubringen in dem Film, ohne sie eben überkonstruiert wirken zu lassen.

Moderatorin: Die Zufälle, das kennt man ja aus einem Film, den Sie vor vielen Jahren gedreht haben, "Lola rennt", wo man sich also dahin oder dahin wendet, sich so oder so entscheidet, und das ist ja auch hier der Fall. Wie wichtig sind die, gibt es da vielleicht sogar eine Verbindung zwischen den beiden Filmen?

Tykwer: Wenn überhaupt, dann in dem spielerischen Zugang zum Konstruktiven. Also der Film selber hat ja eine, wie ich hoffe, auch so wirkende, sehr leichte Form. Es passieren zwar unheimlich viele, wenn man so will, umständliche Dinge, also wie wir Menschen eben so sind, nämlich umständlich, aber der Film erzählt es mit einer großen spielerischen Lust.

Moderatorin: Die Zufälle, die passieren ja nicht nur, weil sich zwei Menschen dann begegnen, sondern es wird ja auch mit den Möglichkeiten gespielt, indem Sie uns vorführen, dass wir nicht nur A oder B, sondern auch A-B, A-B-C und A-B-C-D sein können. Und als ich den Film gesehen habe, dann dachte ich so zwischendurch, ah, jetzt ertappt er mich hier gerade bei meiner eigenen Enge und sagt, du musst gar nicht nur du sein, du kannst auch noch dieser und jener sein. Ist das so eine Ambition?

Tykwer: Nein, also es gibt wirklich keine didaktischen Ambitionen. Es ist glaube ich eher so: Wenn das passiert bei Ihnen, dann ist es eher so, dass das ja Ihre Leistung ist, es ist ja nicht die Leistung des Films, sondern es ist Ihre Leistung, dass Sie überhaupt die Art von Öffnung dann zulassen, die der Film dann vielleicht ausgelöst hat, aber nicht besonders beabsichtigt.

Sondern was der Film halt tut, ist ja eher so eine Art Gedankenspiel oder ein Angebot zu machen bezogen darauf, wie wir uns selber wahrnehmen. Also wie erleben wir uns in unserer eigenen Vorstellung davon, wie wir in Beziehungen leben möchten, wie wir überhaupt sozial irgendwie miteinander umgehen wollen, wie verbindlich unsere bedeutenden Verstrickungen sein sollen, wie sehr wir uns da in Abhängigkeiten bewegen und wie sehr wir irgendwie die Abhängigkeit heimlich auch vom anderen wollen – und da fängt es dann eben an, kompliziert zu werden, weil es natürlich fast alle Partnerschaften betrifft.

Es ist immer eine komplizierte Balance zwischen Druck ausüben auf den anderen, dass er sozusagen auch eine bestimmte Abhängigkeit zu einem dokumentiert, und gleichzeitig natürlich ein großes Streben nach Freiheit. Worunter wir eigentlich in der Regel am meisten leiden, je länger Beziehungen dauern, ist eigentlich ja nur die Tatsache, dass das fast zwangsläufig damit verbunden ist, dass ein bestimmter Neugierfaktor eingedämmt wird, und es natürlich ein reduziertes Entdeckungspotenzial gibt, weil man sich besser kennt. Gleichzeitig ist genau die Tatsache, dass man sich besser kennt, das Pfund, das man bekommt.

Der Witz ist ja: Sozusagen die Möglichkeiten für Neugier werden zwar eingedämmt, aber unsere Neugier bleibt genau dieselbe. Und die Sehnsucht sozusagen nach Erneuerung, die Sehnsucht nach Veränderung, die Sehnsucht danach, in irgendeiner Weise sich immer wieder weiterzuentwickeln, ist ja ungebremst, bis wir sterben, ehrlich gesagt.

Also auch uralte Menschen erzählen ja eigentlich nichts anderes, als dass sie nicht wollen, dass man sozusagen ihnen eine reine Stagnation verordnet, sondern jeder sucht sein Leben lang danach, auf irgendeine Weise sich zu transformieren. Und das Problem ist gleichzeitig, dass wir aber verbindliche und verlässliche Räume und Orte brauchen, die auch natürlich wieder mit Menschen gemeinsam stiften. Und dass die natürlich dem widersprechen, weil die sozusagen eine feste Konstante sind und natürlich nicht ständig erneuert werden können. Das liegt in der Natur der Sache.

Und ab Mitte 20 beginnen dann auch diese Krisen, die da heißen: Wieso muss ich jetzt eigentlich so sein, wie man mich irgendwann mal festgelegt hat? Oder ich habe irgendwann angefangen, mich selber festzulegen, weil es von mir erwartet wurde. Muss ich jetzt wirklich so bleiben? Muss ich jetzt vor allen Dingen wirklich für die nächsten 50 Jahre jetzt so sein? Muss ich diesen Beruf machen, muss ich mit diesem Menschen leben, muss ich in dieser Stadt sein, in diesem Land, in diesem Lebensraum? Und all diese Dinge. Das ist ja in der Regel so, dass wir glauben, dass es so ist.

Es gibt irgendwann eine Entscheidung, die wird gefällt, also das einfachste Beispiel ist natürlich das berufliche, was ich schon für einen Wahnsinn halte natürlich, die Idee, dass wir Menschen uns oft mit 16, 17 dann – gut, wenn man halt ein bisschen länger noch zur Schule geht oder studiert hat, vielleicht mit Anfang 20 – entscheiden müssen für etwas, was wirklich unser ganzes Leben relevant sein soll und was dann auch im Zentrum stehen muss.

Es gibt kaum etwas, das uns 40, 50 Jahre lang so interessieren wird können, und trotzdem müssen wir uns damit abfinden, dass das so ist, weil unsere Gesellschaft das so konstruiert hat. Ähnlich funktioniert es mit Beziehungen. Und dann gibt es eben zwei Möglichkeiten: Entweder, man versucht, sich auf eine bestimmte Weise den Blick irgendwie neu zu richten auf das, was man hat, oder man wendet sich eben ab. Das sind ja immer die beiden Varianten. Und der Film versucht sozusagen irgendwie beides.

Moderatorin: Jetzt müssen wir natürlich zu denen kommen, die das darstellen, also der Verführer, sage ich mal so platt, ist Devid Striesow, es spielt Sebastian Schipper und Sophie Rois, das ist also die Konstellation, sind diese drei Schauspieler. Waren die von Anfang an die drei, die Sie im Blick hatten?

Tykwer: Also fest für mich stand immer, dass Sophie die Frau spielen muss, Sophie Rois, die ich bestimmt schon 20 Jahre hier in Berlin auf der Bühne begleite, als Zuschauer bewundere. Und es hatte sich nie ergeben, dass wir gemeinsam arbeiten konnten. Und ich hatte eine große Sehnsucht, eine Frauenfigur, die von ihr verkörpert wird, die diese Art von Faszination, Vitalität, Fragilität, Intelligenz, Chaotik und trotzdem auch eine Sinnlichkeit zusammenbringt – ich kenne einfach keine vergleichbare Schauspielerin, die das so interessant und so hinreißend macht. Und die Figur ist tatsächlich für sie geschrieben worden, ich habe beim Drehbuchschreiben gewusst: Wenn sie das nicht macht, dann mache ich den Film besser nicht.

Und es war natürlich eigentlich ein relativ großes Risiko, weil ich habe ihr erst sozusagen eine erste Fassung dann wirklich auch gezeigt, und sie hat mich auch eine Woche schmoren lassen. Und dann merkte ich so, mein Gott, wenn sie jetzt nein sagt, dann kann ich den Film ja gar nicht machen.

Moderatorin: Nun haben Sie lange Filme international gedreht, vor allen Dingen auf Englisch, jetzt also wieder ein Film auf Deutsch. Wie wichtig ist die Sprache?

Tykwer: Es ist auf jeden Fall ein Unterschied, also insbesondere mit Schauspielern. Wenn es übrigens um Sex geht, der in dem Film eine relativ bedeutende Rolle spielt, geht es auch ganz viel um Humor und um eine bestimmte Art des Umgangs miteinander, der eben in Nuancen stattfindet, und wenn auch so minimale Dialektfragen eine Rolle spielen, die natürlich auch die Charaktere ganz deutlich voneinander abgrenzen.

Sebastian Schipper spielt halt so einen klassischen Wessi, so einen zugezogenen Berliner, Sophie hat eben diesen österreichischen Background, und Devid beziehungsweise Adam als Figur kommt aus Görlitz, es sind also ein Ossi, ein Wessi und ein Ösi, die da zusammen kommen … Das ist alles mit ganz vielen Nuancen versehen. Wenn ich jetzt ein Fremdsprachler wäre und nicht deutsch, würde mir glaube ich bestimmt die Hälfte der Nuancen, die zwischen denen auch mit formuliert werden, die wir gar nicht bewusst registrieren, würden mir entgehen. Und das ist natürlich im Englischen bei den letzten drei Filmen, die ich gemacht habe, oft so gewesen, dass ich so merkte, hm …

Moderatorin: Bis in die letzte Feinheit geht es dann doch nicht.

Tykwer: Kann ich natürlich nicht, weil ich spreche zwar jetzt fließend die Sprache, aber ich spreche sie mit meinem Akzent, dem Deutschen. und ich bin auch immer noch sozusagen in einer verzögerten Form, während ich spreche, am Übersetzen.

Moderatorin: Ist es auch ein Zeichen von Heimat, wieder auf Deutsch zu drehen? Hat das was Heimatliches?

Tykwer: Ja, es ist irgendwie ein Heimatfilm, weil Berlin halt auf eine bestimmte Weise auch drin vorkommt, wie ich natürlich inzwischen seit 25 Jahren diese Stadt kenne oder erlebe, und es ist insofern im wahrsten Sinne des Wortes ein Heimatfilm, weil er ganz selten eigentlich Orte irgendwie ausstellt, sondern sie in einer bestimmten Selbstverständlichkeit einfach mitnimmt. Die Leute gehen halt rein, wie man eben in seine Lieblingskneipe geht. Da guckt man ja nicht noch mal von draußen, wie schön die ist, sondern geht einfach rein: man geht an seinen Lieblingstisch, man grüßt im Vorbeigehen. Man ist ja auf eine ganz andere Weise innen in den Räumen drin, hat eine Innerlichkeit auch, die an Räume gebunden ist, und wir haben versucht, diese Art von Stadtwahrnehmung in den Film zu übertragen.

Moderatorin: Der Film, das ist vermutlich kein Zufall, der startet zu Weihnachten. Da könnte man sagen, Weihnachten, Fest der Liebe, eine andere Sicht darauf.

Tykwer: Es ist ein Liebesfilm.

Moderatorin: Es ist natürlich ein Liebesfilm.

Tykwer: Es ist ja auch ein optimistischer Liebesfilm, es ist auch ein sehr romantischer Liebesfilm, aber er hat eben auch ein paar Haken und Ösen.

Moderatorin: Vermutlich eine Konstellation, die dem Papst nicht gefallen würde.

Tykwer: Das kann schon sein, nur wichtiger ist ja für mich: Ich habe immer den Eindruck, der Film startet sozusagen am 23. Dezember, das heißt, nach Heiligabend geht es mir zumindest immer so, dass ich ein bisschen die Schnauze voll habe von dem Harmoniewahnsinn, aber auch noch nicht bereit bin, mir so ganz harte Kost anzutun. Man ist in so einem Zwischenraum, man möchte irgendwie wieder aufgeweckt und auch inspiriert werden, aber es soll auch noch eine gewisse Leichtigkeit oder so eine Lässigkeit im Raum sein, damit irgendwie der ganze Stress, der mit Weihnachten verbunden ist, von einem genommen wird. Und ich glaube, das hat der Film alles zu bieten.

Moderatorin: Tom Tykwer war bei uns zu Gast, der Regisseur des Films "Drei", der am 23.12. in unseren Kinos startet.