"Allah liebt mich, weil er mich zu einer Lesbe gemacht hat"

Ipek Ipekcioglu im Gespräch mit Matthias Hanselmann und Martin Riesel · 31.10.2011
Lesbisch und türkisch zu sein war für sie nie ein Widerspruch, sagt DJ Ipek. Als "typisches Kofferkind" pendelte sie als Mädchen zwischen der Türkei und Deutschland. Heute ist Ipek Ipekcioglu 38 und ein internationaler Star in der Club- und Musikszene.
Matthias Hanselmann: Ipek, gestern wurde in Deutschland und in der Türkei ein besonderer Tag gefeiert, der jetzt genau 50 Jahre zurückliegt, nämlich der 30. Oktober 1961 – da wurde ein Anwerbeabkommen zwischen Deutschland und der Türkei geschlossen. Ein historisches Datum, weil damals die türkische Zuwanderung begann. Heute leben circa 2,8 Millionen Türken oder türkischstämmige Menschen in Deutschland. Ist denn so ein Datum eigentlich für Sie als junge türkischstämmige Frau auch wichtig?

Ipek Ipekcioglu: Also, Merhaba, guten Tag an alle! Ich will eigens sagen: Happy Birthday, Deutschland, Türkei! Es mögen die nächsten 50 Jahre mit viel mehr Verbindung, gegenseitigem Verständnis, mit mehr politischer und soziokultureller Verantwortung gesegnet sein und hoffentlich, inschallah, auch mit Liebe und Frieden. Ich denke, der Ältere von uns, unser Vater oder Stiefvater Deutschland sollte natürlich auch lernen, dem Kleinen gegenüber etwas mehr mit Zuversicht und Zutrauen und Vertrauen begegnen. So, das war mein Eingangssatz …(auch auf türkisch)

Hanselmann: (Sie könnten) hier Botschaften über den Sender schicken, die wir nicht kontrollieren können. Sie rufen hier nicht zu Revolution auf…? (lacht)

Ipekcioglu: Nein, natürlich nicht, aber ich finde ja, wenn ich schon die Möglichkeit habe, das zu verkünden, nutze ich das voll aus.

Hanselmann: Sie sind Berlinerin – ich hab's gesagt – mit türkischem Migrationshintergrund …

Ipekcioglu: Darf ich da was ergänzen?

Hanselmann: Was denn?

Ipekcioglu: Also ich benutze ungern türkisch, selbst ich bin ja nicht vollbluttürkisch, sondern ich bin türkeistämmig, und das ziehe ich auch vor, als Türkeistämmige bezeichnet zu werden, weil in der Türkei tatsächlich mehr als nur eine einzige Kultur lebt.

Hanselmann: Das wird ja gemeint mit Migrationshintergrund. Wie sieht denn dieser Hintergrund genauer aus, geben Sie uns ein Bild davon!

Ipekcioglu: Na ja, ich bin Migrantin der zweiten Generation, ich wurde irgendwann in Bayern, in München auf die Welt gebracht, und meine Mutter ist, ja, von der Kultur her türkisch, tscherkessisch, arabisch und kurdisch, aber ich bin in erster Linie türkisch aufgewachsen, von meiner Mutter, die natürlich eher also republikanische Türkin, Türkeipartei, Mittelschicht könnte man sagen – in der Türkei dann eher Bildungsmittelschicht. Ich bin in Deutschland geboren worden, aber irgendwann hat meine Mutter uns nach Berlin gebracht.

Ich bin ein typisches Kofferkind, das heißt, viele Kinder der Migranten zweiter Generation sind ja auch leider wie ich davon geprägt worden, dass sie einerseits in der Türkei dann eingeschult wurden und dann wieder zurück nach Deutschland und nach einem Jahr Aufenthalt oder zwei Jahren Aufenthalt wieder in die Türkei gebracht, eben wie ein Koffer, den man auslädt, dort ablässt bei den Großeltern oder irgendeiner Boarding School, also Internat. Und dann wird das Kind ein, zwei Jahre später wieder abgeholt, und jetzt wird beschlossen, du lebst mit uns. Aber vergiss nicht, Kind, wir wollen ja irgendwann zurück, wir sind ja nur für zwei Jahre erst mal gekommen, dein Papa ist für zwei Jahre oder deine Mama gekommen. Na ja, dann wurden wir gebeten, fünf Jahre länger zu bleiben. Na ja, aus den fünf Jahren sind zehn Jahre geworden. Ja, Kind, wir sind 20 Jahre jetzt hier, aber du, wir haben unser drittes Haus schon in der Türkei gekauft, also bereite dich vor, wir werden irgendwann zurückgehen.

So ist die Mehrheit der Migranten zweiter Generation aufgewachsen, ich noch nicht so ganz, sondern meine Mutter war – meine Mutter war keine Arbeitsmigrantin insofern, sondern sie hat die Arbeitsmigration als Weg für sich genutzt, um in Deutschland Fuß zu fassen. Sie war eine Frau, die unehelich ein Kind auf die Welt gebracht hatte, damals in den 60er-Jahren in der Türkei, das war natürlich ein Unding, nicht zuletzt auch für Deutschland. Aber Türkei war schon a bissle konservativer, kurz nach kurz gegründeter Republik. Okay, Deutschland hatte ja auch noch mal eine neue Politik – egal –, aber dann ist sie hier als eine Frau, vor gesellschaftlichen Konventionen ist sie hierher geflüchtet, und das sind immerhin 20 Prozent der Migranten, die wir hier haben, die entweder aus Bildungsgründen oder aus Konventionsflucht oder aus politischen Gründen hierher eigentlich geflohen sind. Das wird gerne nicht gesehen. Okay.

Hanselmann: Ipek, Sie sind lesbisch, gehen damit ganz offen um …

Ipekcioglu: Ja, ich liebe Frauen.

Hanselmann: Wir reden gleich noch ein bisschen weiter. Ich finde, es ist ein spannender Punkt, denn Sie haben selber geschrieben zum Thema lesbisch und türkisch: Ein Widerspruch? Wollen wir aber doch vielleicht erst mal noch eine Musik hören, bevor wir darüber reden.

Ipekcioglu: Wollen Sie nicht den zungenbrecherischen Untertitel hören? Lesbisch und türkisch, ist das ein Widerspruch? Selbstbild der lesbischen Immigrantinnen der 2. Generation aus der Türkei, die ihren Lebensmittelpunkt in der BRD haben.

Hanselmann: Darüber sprechen wir gleich, erst mal hören wir Musik. Das ist, glaube ich, eine Ihrer bekanntesten Nummern, Remixe Tracks, ist dann wohl Çocuklari, ich hoffe, ich spreche das einigermaßen richtig aus. Als Interpreten stehen auf der CD DJ Ipek Ipekcioglu …

Ipekcioglu: DJ Pasha und BabaZula. Das ist ein Remixe …

Hanselmann: Wie kann man sich denn das vorstellen, die ganzen Leute zusammen, was hat es mit dem Titel auf sich?

Ipekcioglu: Istanbul Çocuklari bedeutet "die Kinder von Istanbul", und das ist eigentlich entnommen aus einem Theaterstück Musik, was BabaZula, die bekannte alternative Dub Band in der Türkei komponiert hatte. Und dann haben sie mich irgendwann gefragt, ob ich nicht einen Remix machen würde. Und dann hab ich gesagt, ja, klar, mach ich. Und Istanbul Çocuklari inhaltlich passte sehr stark zu mir und zu meiner Weltanschauung, weil Istanbul ist halt einfach die Keimstadt mehrerer Kulturen. Das heißt, die Yesiden, Juden, Kurden, Aleviten, Türken, Christen, wat auch immer, leben so viele Menschen in einer Stadt, und das haben sie eigentlich jahrelang geschafft, bis hin jetzt die Türkei immer nationalistischer wurde. Ja, davon redet eigentlich dieses Lied.

Hanselmann: Dann wollen wir mal sehen, ob man das alles raushört. Der Track war jedenfalls von DJ Ipek und Pasha versus BabaZula mit dem Remix zu Istanbul Çocuklari. Diese ganzen Namen, die können Sie auch noch mal nachlesen in unserer Playlist dann unter dradio.de.

Ipekcioglu: Mir ging es ja auch um diesen berlinerischen Aspekt, die Berlin-Elektronacht, nach der wir ja alle so verrückt sind, auch in Istanbul, das auch wiedergeben, wollte eigentlich.

Hanselmann: Achtung, Zwischenmoderation, damit der Hörer weiß, wo wir sind: Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton", unser Studiogast ist Ipek Ipekcioglu, auch bekannt als DJ oder DJane Ipek. Sie ist international renommierte Musikerin, DJane, Autorin und studierte Sozialpädagogik. Ipek, jetzt zu dem Thema, das wir vorhin angeschnitten haben – wie ist das mit lesbisch und türkisch sein und dem Widerspruch? Ist es ein Widerspruch?

Ipekcioglu: Also für mich ist es nie ein Widerspruch gewesen und … Weil die ersten Bücher, die ich gelesen habe zum Thema Homosexualität, Frauenliebe, Männerliebe waren erst mal alle auf Türkisch, und die ersten Kussszenen oder Männer in Frauenkleidern oder Männer, die nicht meinem Bild oder dem gesellschaftlichen Bild von Männlichkeit entsprachen, die waren auch in türkischen Filmen so. Ich dachte eigentlich, Homosexualität ist etwas Türkisches – war es aber nicht, das habe ich dann auch spätestens sowieso in Deutschland erfahren. Für mich war das kein Widerspruch. Ich gehe sogar so weit und sage, Allah liebt mich, weil Allah hat mich zu einer Lesbe gemacht. Weil dadurch, dass ich vorneherein schon als homosexuell lebe und somit durch das Raster der heterosexistischen Gesellschaft falle, stand für mich eigentlich eher die ganzen Tore und die Türen offen. Ich musste nach Alternativen suchen, wie ich mein Leben gestalte.

Hanselmann: Aber wie ist es in der Türkei, wie offen ist man denn dort heutzutage gegenüber Homosexualität?

Ipekcioglu: Es ist eine gute Frage, das müsste man eigentlich die Aktivisten in der Türkei, in Istanbul selbst fragen, aber du hast Glück, ich informiere gerne Menschen in anderen Ländern auch. Also mittlerweile haben wir schon über seit zehn Jahren Gay Pride in Istanbul, und jedes Jahr verdoppelt sich die Zahl. Zum Beispiel das erste Mal, als ich vor vier, fünf Jahren dort war, waren nur 1.000 Leute und davor das Jahr 150. Und als dann dort durch die Polizei Gay-Bashing passierte, hat sich die Zahl verdoppelt durch internationale Unterstützung, wo ich dann auch dabei war. Letztes Jahr waren es dann 10.000.

Hanselmann: Gay-Bashing heißt das Heruntermachen …

Ipekcioglu: Gay-Bashing, das heißt, die Bullen haben einfach die Homos oder die ganzen Aktivisten, die dort irgendwie 150 Menschen dort waren, einfach versucht zusammenzuschlagen. Und dieses Jahr hatten wir 10.000 Teilnehmer auf dem türkischen Istanbul Pride, und eine Woche davor gab es auch den Trans-Pride in Istanbul, nämlich es ging um die Rechte von Transsexuellen und Transgenders in Istanbul, in der Türkei. Ich meine, Sie müssen wissen, in Istanbul leben ungefähr 5.000 Transsexuelle, das ist eine sehr große Zahl, aber es gab nie ein Antihomosexuellengesetz in dem türkischen Gesetzbuch, weil eigentlich de facto Männer- und Frauensex ist erst mal legal, ist nicht illegal. Und trotzdem gibt es einen Paragrafen, der den Verstoß gegen die allgemeingesellschaftliche Moral und so weiter natürlich dann verurteilt, und mit dem Gesetz kann man durchaus dann einige Homosexuelle aufgrund ihrer so called oder sogenannten Homohandlung dann bestrafen. Aber es geht ihnen besser … es gibt Antihomophobietage – wobei, es geht uns immer besser.

Hanselmann: Es geht aufwärts. Es gibt dabei ja sicherlich noch mal einen großen Unterschied zwischen Istanbul, einer weltoffenen Metropole und der türkischen Provinz, oder?

Ipekcioglu: Natürlich gibt es einen Unterschied, aber das haben wir, diesen Unterschied, ja auch hier. Ich meine, dass Wowi jetzt Bürgermeister ist oder Westerwelle schwul ist und so weiter, ja, ich meine, das tut natürlich was zum gesellschaftlichen Verständnis. Es gibt Rollen-Modelle, und ein anderer denkt dann, hey, ich kann schwul sein, ich kann es auch so weit bringen, das hilft. Aber ich glaube nicht, wenn es so wäre, dann müsste es kein Gay-Bashing mehr in Deutschland geben, und das haben wir leider immer noch.

Hanselmann: Mir ist durch den Kopf gegangen gerade: Hat sich Ihre Mutter jemals ihre Tochter als eine DJane vorstellen können?

Ipekcioglu: Meine Mutter hat mir den Namen Ipek Ipekcioglu gegeben.

Hanselmann: Was heißt das?

Ipekcioglu: Seide, Seidenmachersohn. Und dann hab ich sie mal gefragt, warum eigentlich. Und sie sagte, na ja, ich will, dass du mal irgendwann mal eine bekannte Romanautorin wirst. Also sie hatte, glaube ich, gehofft, dass ich irgendetwas Bekanntes werde, damit der Name gut aussieht.

Hanselmann: Hat ja geklappt.

Ipekcioglu: Ja. Meine Mutter war ganz stolz. Ich meine, sie weiß, dass ich halt auch ein Diplom habe, und sie ist ganz stolz mit dem, was ich mache, und ganz stolz auch damit, dass ich um die Welt reise – und dass es mir eigentlich gut geht.

Hanselmann: Jetzt mal vielleicht zur Musik: Wie schaffen Sie das, also wie macht man das, dass man die richtigen Tracks rausfindet, die richtigen Soundschnipsel zusammenbastelt, wo man weiß, da gehen die Leute jetzt auf die Tanzfläche?

Ipekcioglu: Es ist ein Gefühl und Erfahrung, also eine Offenheit. Ich bin erst mal immer aufgeregt, egal ob ich für 15 Leute, 150 Leute oder 30.000 oder 80.000 Menschen spiele, ich bin erst mal immer aufgeregt. Und ich mach mir nen Kopf, ich plane nie etwas, also ich bereite kein Set vor, ich habe aber in meinem Köfferchen durchaus Tracks, wo ich weiß, hm, das könnte dazu passen, was ist das für ein Festival, ich hab hier Informationen … Und ich habe natürlich auch ein paar Tracks in meinem Koffer, von denen ich weiß, die sind einfach Hammer, und die werden schon meine Situation – bla, bla, bla, - auch retten, und die hauen gut rein. Und ich guck mir natürlich, was ist das für ein Publikum? Ist das jetzt ein Publikum, wo ich denke, die können mit meiner Musik, oder ist es ein Publikum, was total Neuland für sie ist, und dann probe ich auch viel rum. Und manchmal ist es so, dass ich verschlossen bin – ich versuch dann mich zu öffnen noch mal. Es ist sehr viel Liebe und Hass, und für mich ist eigentlich eine der schönsten Partys, wenn ich eins werde mit dem Publikum und total spüre, wo ich sie hinbringen will, wozu sie bereit sind, wohin sie wollen, dass ich auch mit ihnen gehe. Und das ist für mich schon total eine audielle Reise.

Musikredakteur Martin Riesel: Das ist ja auch oft dann so eine Musik, wie wir die gerade gehört haben, mit so einem türkischen oder orientalischen Touch. Sie sind ja auch weltweit unterwegs – kommt das überall an, gibt es dafür überall ein Publikum, oder kann man das auch nur in bestimmten Regionen in Deutschland oder in der Türkei machen?

Ipekcioglu: Also es gibt zum Beispiel Städte, wo ich denke, die sind total offen, und es gibt dann Städte, wo ich dann denke, na ja, die waren halt nicht so offen, eigentlich brauchen sie … oder die sind schon irgendwie überladen mit solcher Musik, dass sie keine Offenheit mehr haben. Ein Beispiel Frankfurt/Oder, da hatte ich mal auf einem Festival aufgelegt, und da war echt … ich war die einzige, glaube ich, Nichtdeutsche, und die haben total gut darauf reagiert. In China tanzen sie auf House zum Beispiel. Alles, was mit House, aber auch mit orientalischem Soundclash, das funktioniert bei denen total gut. Und in Afrika auf der Sahara habe ich dann doch so mit dem arabischen House gespielt.

Riesel: Wir haben heute früh noch eine Musik von Ihnen gekriegt, eine aktuelle, zum Berliner Theaterprojekt, an dem Sie beteiligt sind, "OpeRap" heißt das, Sie machen da vor allem die Beats, so eine Mischung aus Rap, Oper und Breakdance. Wir hören daraus gleich so ein Stück, das heißt "Stadt der Hunde" – was passiert da, kann man das kurz erklären?

Ipekcioglu: Das Ganze heißt Delighted Musikfestival OpeRap und war tatsächlich, wie Sie bereits gesagt haben, ein Gemisch aus Operetten, Ouvertüre, also klassische Musik mit aktuellem Hip-Hop-Sound, aktuellem Clubsound, aber auch mit Sound of Resistance. Das heißt, wir haben sehr bekannte Arien gehört von Delila und Aida, sehr schöne selbst komponierte Stücke auch von Sinem Altan gehört, und zugleich haben wir auch versucht, einfach das einzupassen in das aktuelle populäre Zeitalter von Musik.

Riesel: Dann hören wir mal, wie das klingt!

Hanselmann: Danke schön, DJ Ipek.

Ipekcioglu: Danke auch!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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