Aliyev ist für Europa "viel gefährlicher als Lukaschenko"

Der Blogger Emin Milli
Der Blogger Emin Milli © picture alliance / dpa / Nick Jaussi
Emin Milli im Gespräch mit Frank Meyer · 15.05.2013
Oppositionelle sitzen im Gefängnis, Aufständische werden gefoltert: Ein Jahr nach dem Eurovision Songcontest ist die Lage in Aserbaidschan noch immer desaströs, sagt der Blogger Emin Milli. Die Zeichen stehen trotzdem auf Wandel, ist er überzeugt. Das Regime bröckele.
Frank Meyer: Schweden ist gerade als Gastgeberland im Eurovision-Songcontest-Taumel. Im vergangenen Jahr ging das Schlagerfestival in der Autokratie Aserbaidschan über die Bühne. Alle, die damals die Ausrichtung des Festivals in diesem wenig demokratischen Land verteidigt haben, die haben gesagt: Die internationale Aufmerksamkeit könnte eine Öffnung dieses Landes mit sich bringen. Ist das so gekommen? Darüber reden wir mit dem aserbaidschanischen Blogger Emin Milli. Seien Sie willkommen im Radiofeuilleton!

Emin Milli: Hallo, vielen Dank!

Meyer: Wenn Sie, Herr Milli, die Stimmung in Aserbaidschan vergleichen heute und vor einem Jahr, was würden Sie sagen, was hat sich verändert?

Milli: Die Lage hat sich deutlich verschlechtert, es gibt viel mehr Repressionen. Wir haben einen Präsidentschaftskandidaten, der jetzt im Gefängnis sitzt, wir haben die Aktivisten der Nida-Bürgerbewegung, die Führer von dieser Bewegung sitzen jetzt im Gefängnis. Es gab viele Aufstände, also Proteste in Aserbaidschan in den Regionen – in Baku gab es Ölarbeiter, die sind auf Streik gegangen. Also die Stabilität, die Aliyev aufbauen wollte, bricht zusammen, und er will das auf Kosten der Menschen, ganz hart dagegen handeln, und das macht er jetzt im Moment.

Meyer: Es war eine deutsche Musikerin in Baku damals vor einen Jahr zum Eurovision Songcontest, und die hat in ihrem Tagebuch beschrieben, dass buchstäblich mit dem Ende des Festivals die Stimmung schon wieder kippte, die Lichter praktisch ausgingen, weil es keinen Grund mehr gab für das Land, sich in ein besseres Licht zu rücken. Haben Sie das auch so mitbekommen, dass nur kurz das Schaufenster aufging, für ein paar Tage sich Baku in besserem Licht gezeigt hat, und es sich sofort wieder verändert hat?

Milli: Das, was Aliyevs Regierung heute macht, das ist alles Investieren in Prestigeprojekte, ja? Er hat jetzt am 10. Mai den Geburtstag seines Vaters gefeiert, und nur 40 Millionen Euro aus dem Staatsbudget wurden investiert in die Blumen, nur um den Geburtstag seines Vaters zu feiern – das hat uns 40 Millionen Euro gekostet. Es gab ja auch viele andere Events, auch hier in Deutschland – Hans-Dietrich Genscher, Guido Westerwelle haben auch die Feier vom Geburtstag von Aliyev hier in Berlin besucht, und ich habe auch gelesen, in der "Süddeutschen Zeitung" gab es Artikel über Hans-Dietrich Genscher. Also wenn ich so was lese, wenn ich seine Rede gelesen habe bei diesem Event hier in Berlin, wo der Geburtstag von Aliyevs Vater, dem Ex-KGB-General, gefeiert wurde, ich habe gedacht, diese Rede ist geschrieben im Präsidialamt in Aserbaidschan.

Meyer: Das heißt, die deutschen Politiker sind Ihnen zu freundlich dem autokratischen Herrscher von Aserbaidschan gegenüber?

Milli: Deutsche Politiker, und ich glaube, leider interessiert das auch keinen. Die investieren nicht nur in die Blumen in Aserbaidschan, um den Geburtstag dieses Diktators zu feiern, sondern die investieren auch ganz viel in Lobbyarbeit in Deutschland, in Europa, in den USA und auch im Europarat, ja? Im Januar hat die parlamentarische Versammlung des Europarats – hat Christoph Strässers Resolution über politische Gefangene in Aserbaidschan einfach abgelehnt.

Meyer: Deutschlandradio Kultur, wir sprechen mit dem aserbaidschanischen Blogger Emin Milli über die Lage in seinem Land, ein Jahr nach dem Eurovision Songcontest in Baku. Sie haben schon gesprochen, Herr Milli, von den Aufständen, die es in Aserbaidschan im vergangenen Jahr gegeben hat. Gehört das zu der Oppositionsbewegung, die entstanden ist in Aserbaidschan? Wie stark ist diese Bewegung?

Milli: Was heißt Opposition? Ich meine, die Parteiopposition. Die Repressionen von dieser Regierung in den letzten 20 Jahren haben diese parteipolitischen Gruppen sehr marginalisiert, aber das ist überhaupt nicht gut für Aliyevs Regierung, weil das Ergebnis dieser Politik ist jetzt halt: Da und hier im Lande Aufstände ausbrechen, und keiner kann das richtig kontrollieren. Die Leute werden dann einfach, auf die wird geschossen, die werden verhaftet, die werden dann gefoltert, aber nichts ändert sich, ja? Die Lage in Aserbaidschan erinnert mich auch ein bisschen an die Situation in arabischen Ländern, ich kann von meinem Kopf nicht wegnehmen dieses Bild, wo Berlusconi die Hand von Gaddafi küsst, oder die Situation in Ägypten, wo Mubarak zwei Milliarden pro Jahr von den USA als Hilfe, Entwicklungshilfe bekommt, und trotzdem stürzen diese Regierungen . Trotz der westlichen Unterstützung, trotz der finanziellen Zusammenarbeit mit diesen Diktaturregimen. Und ich glaube, das Gleiche passiert in Aserbaidschan. Trotz des ganzen Ölgeldes, trotz der ganzen Gasdeals … das Regime bröckelt, und das kann man sicher sagen.

Meyer: Aber Sie haben vorhin geschildert, dass die Opposition zum großen Teil zurzeit im Gefängnis sitzt, bis hinauf zum oppositionellen Präsidentschaftskandidaten, also diese Macht, diese Kraft hat das Regime noch?

Milli: Natürlich, ja, aber das müssen viele verstehen: Man muss ja nicht immer genau so ein System, wie hier jetzt andere Länder auch diese Standards anmessen – das geht nicht. In Ägypten gab es überhaupt keine Opposition, es gab alle Parteien oder Politiker, die waren ziemlich marginal. Das ist einfach die Empörung des Volkes, wenn die … wenn eigentlich diese politischen Linien, Dimensionen des Lebens im Lande total von den Leuten geraubt werden, dann, Leute haben die keine Wahl mehr, wenn die keine legitimen Kommunikationsmöglichkeiten haben mit der Regierung, mit dem Staat, dann gehen sie auf die Straße, und dann machen sie das, was normalerweise in einem Rechtsstaat ein Bürger nicht machen sollte. Aber die machen das, weil die Menschenwürde ist beleidigt, die lokalen Gouverneure gehen mit diesen Leuten um wie Feudale im Mittelalter. Das ist eine Art von moderner Sklaverei. Die Leute können das nicht mehr aushalten. Und das ist genau die Gefahr, dass es keine politischen Möglichkeiten gibt, um diese Probleme friedlich zu lösen, wie zum Beispiel in Deutschland oder anderen Ländern, wo es einen Rechtsstaat gibt.

Meyer: Sie haben jetzt einen Fernsehsender mitgegründet, der heute auf Sendung gehen wird, von Berlin aus auf Sendung gehen wird, Meydan TV, über Internet und Satellit ist dann dieser Fernsehsender auch in Aserbaidschan zu empfangen. Was ist das für ein Projekt, was versprechen Sie sich davon?

Milli: Ich finde, das ist ein historisches Projekt, weil unsere Generation, also die neue Generation der Demokraten in Aserbaidschan, kriegt zum ersten Mal in unserer Geschichte Zugang zu zwei, drei Millionen Menschen. Wir sind eine Nation von neun Millionen Menschen, und unsere Generation kriegt jetzt Zugang zu zwei, drei Millionen Menschen. Aus neun Millionen Menschen in Aserbaidschan sind über eine Millionen auf Facebook, 60 Prozent sind im Internet, und außerdem auch durch Satellit – wir hoffen auf ein bis zwei Millionen Zuschauer, es gibt schon ein Oppositionsfernsehen, die haben eine Million Zuschauer, und wir hoffen auf zwei, drei Millionen Zuschauer. Der Unterschied in unserem Fernsehen ist, dass wir die populärsten Blogger der neuen Generation haben, wir haben den Rockstar Jamal Ali, der während Eurovision letztes Jahr auch in Aserbaidschan gefoltert wurde, wo die Leute Spaß hatten bei Eurovision, hat er Protestsongs gesungen, und er wurde verhaftet und gefoltert. Er ist jetzt in Berlin und er macht mit in unserem Team, und wir haben ein Team von sehr populären aserbaidschanischen, jungen Dissidenten, Sängern, Bloggern, und wir hoffen auf die Änderung, auf Durchbruch in diesem Monopol der Medien in Aserbaidschan.

Meyer: Das könnte ja auch wichtig werden für die Präsidentschaftswahlen in diesem Jahr. Im Oktober wird ja gewählt. Was denken Sie, wie werden diese Wahlen ausgehen?

Milli: Ich glaube, dass in solchen Ländern wie Aserbaidschan, in so einem Zustand, wo es keine Demokratie gibt, keine Wahlen gibt, die Opposition wird … also ein oppositioneller Präsidentschaftskandidat ist schon verhaftet, und er erwartet von fünf bis acht Jahren Gefängnisurteil, und der andere kann nicht außerhalb von Baku reisen, der andere kann nicht ins Ausland gehen, weil er hat keinen Pass. Wir sind in so einem Zustand, die Leute werden verhaftet, gefoltert, in so einem Zustand gibt es natürlich keine Wahlen, und alles, was ich will, das hier in Deutschland, in Europa, in Amerika – auf OSZE-Label oder Europaratsniveau, kommen dann nicht die europäisch-amerikanischen Politiker, beobachten dieses Theater und sagen dann, das ist dann noch ein Schritt in Richtung Demokratie. Das haben sie immer bis jetzt gemacht leider. Es gibt große Korruptionsskandale, immer wieder, Aliyev investiert total viel Geld, ich finde, er ist viel gefährlicher als Lukaschenko für Europa, aber das ist einfach noch nicht im europäischen Bewusstsein, weil er kauft viele europäische Politiker einfach, und auch hier in Deutschland. Und das ist die Gefahr. Ich erwarte gar nichts von diesen Präsidentschaftswahlen. In Ländern wie Aserbaidschan, in diesen Diktaturen, die Situation, politische Situation ändert sich nicht mit den Wahlen, die wird bestätigt durch diese Wahl.

Meyer: Was meinen Sie damit genau, wenn Sie sagen, der aserbaidschanische Präsident Aliyev würde deutsche Politiker kaufen?

Milli: Ich will Ihnen nur ein Beispiel nennen, ja? Zum Beispiel wir haben einen Fall von Eduard Lintner, er ist CDU-Politiker, er war im Europarat Vorsitzender des Monitoring Comitees, und er hatte einen riesigen Einfluss darauf, zu prüfen, ob der aserbaidschanische Staat die eigenen Verpflichtungen für den Europarat eingeht oder nicht, oder verstößt. Und jetzt im Moment ist er Hauptlobbyist offiziell von Aliyevs Regierung hier in Berlin. Es gibt eine versteckte Art von Korruption – die Beziehungen zwischen deutschen und europäischen Politikern und Aliyev ist einfach zu nah. Wenn Sie den Caviar Diplomacy Report von European Stability Initiative lesen würden, Sie würden sehen, was Aliyev im Europarat macht, was er im Januar dieses Jahres im Europarat gemacht hat: Es gab noch keine andere Abstimmung, die so viele europäische Politiker in einem Raum gesammelt hat, als die Frage von politischen Gefangenen in Aserbaidschan. Und die meisten europäischen Politiker haben zusammen mit Aliyev gegen die Resolution über politische Gefangene – Christoph Strässers Resolution über politische Gefangene –gestimmt. Das heißt, die sind gekauft, die haben bestimmte Interessen, aber das ist einfach, ja? Aserbaidschan hat Öl und Gas, und wir müssen ernsthafte Think Tanks wie zum Beispiel European Stability Initiative, die haben viel darüber geschrieben, "Der Spiegel" hat auch über Eduard Lintner geschrieben, es gab auch viele Skandale auch in Großbritannien, auch bei der World Box Federations. Die BBC hat darüber geschrieben, es gab einen Riesenskandal. Und ich glaube, jede Diktatur ist eine große Gefahr für die ganze demokratische Welt – im Fall von Aliyev leider, es gibt überhaupt keine oder ganz wenig Aufmerksamkeit, und ich finde das ganz problematisch.

Meyer: Wie ist die Lage in Aserbaidschan ein Jahr nach dem Eurovision Songcontest in dem Land und was sind die Folgen auch für uns – darüber haben wir gesprochen mit Emin Milli, er ist Blogger und seit heute Mitbetreiber des Fernsehsenders Meydan TV. Ich danke Ihnen sehr für das Gespräch!

Milli: Vielen Dank auch!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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