Aleviten fasten anders

Trauer über den Tod der zwölf Imame

Eine Scheibe Brot - Symbol für die Fastenzeit.
Für Aleviten ist das Muharrem-Fasten eine Trauerzeit - das Fasten ist keine Pflicht. © imago/epd
Von Mechthild Klein · 18.10.2015
Die anatolischen Aleviten hatten über Jahrhunderte im Osmanischen Reich einen schweren Stand. Als Häretiker wurden sie verfolgt und ausgegrenzt. Mit dem Ashure-Fest am 26. Oktober beenden sie ihre Fastenzeit. Dazu wird eine süße Suppe aus 12 Zutaten serviert.
"Im Namen Gottes und des Schutzpatrons Hizir.
Mit deinem Einverständnis fasten wir für die Opfer in Kerbela.
Lieber Gott, in Liebe zur Familie des Propheten,
erleuchte unsere Herzen im Einvernehmen mit Gott, Mohammed, Ali,
mögen sie immer bei uns sein."
Der alevitische Geistliche Haci Erdemli trägt in einem Cem-Haus in Hamburg die Worte vor, die sich Aleviten in Erinnerung rufen, warum sie dieser Tage fasten. Das Gebet endet mit den Worten: Lang lebe die Freiheit.
"Das zwölftägige Fasten im Muharrem ist eine sogenannte Trauerzeit bei den Aleviten. Da geht es um das Ereignis, dass Imam Hüseyin in der Wüste von Kerbela umgekommen ist und gleichzeitig das Gedenken an die anderen Imame ..."
... erklärt Handan Aksünger, Juniorprofessorin für alevitische Theologie an der Universität Hamburg. Um 680 nach Christus machte sich der Enkel des Propheten, Hüseyin auf, um den ungerechten muslimischen Herrscher Yazid zu ermahnen und auf den rechten Weg zu führen, sagt die Professorin. Doch Hussein wurde von Yazids Soldaten in der Wüste überfallen, belagert und mit seinem Gefolge ermordet. Weil er in der Zeit Hunger und Durst erlitten hat, fasten auch die Aleviten symbolische zwölf Tage lang. Sie erinnern sich dabei auch an die zwölf Imame, die nach ihrer Lehre alle gewaltsam ums Leben gekommen sind.
Imam Hussein gilt als Vorbild für die Aleviten, weil er im Kampf für die Gerechtigkeit gestorben ist. Beim Muharrem-Fasten enthalten sich Gläubige tagsüber jeglicher Speise und Getränke. Abends wird das Fasten mit einem einfachen Mahl beendet.
"Es geht um den Verzicht. Es geht um Besinnung nach innen. Beisammensein, das gemeinsame Teilen und man soll in diesen zwölf Tagen auch kein Leben verletzen. Das heißt, es wird auch damit verbunden kein Fleisch gegessen. Und sogenannte Passionsspiele, die man aus dem Schiitentum kennt, sind in dieser Zeit strengstens untersagt, weil kein Leben verletzt werden soll und kein Blut fließen soll."
Fasten bedeutet Selbstbeherrschung
Aleviten kennen keine Tradition der Selbstgeißelung und Selbstverletzung wie die Schiiten, mit denen sie die Erinnerung an Kerbala und die Verehrung Husseins teilen. Mit ihrem Fasten wollen sich die Aleviten reinigen und disziplinieren. Nicht Vergeltung wird gefordert, sondern dass man Gerechtigkeit ausübt gegenüber allen Menschen.
"Fasten bei uns heißt nicht nur Hungern. Fasten heißt bei uns an erster Stelle: Ich muss mich beherrschen ..."
... sagt Mahsuni Ime, Alevit und angehender Geistlicher.
"Das heißt, ich darf weder mit meiner Frau einen Streit haben, weder mit meinen Kindern, mit meinen Nachbarn, mit meinen Arbeitskollegen, Freunde, egal welche – ich darf mit niemanden einen Streit haben. Wenn ich mit denen was habe, dann muss ich an erster Stelle mich mit den Leuten wirklich zusammensetzen und muss auch wirklich ihr Einvernehmen haben, damit ich überhaupt fasten kann."
Eines ist für den Geistlichen wichtig zu erläutern: Aleviten fasten nicht im Ramadan-Monat und sie pilgern nicht nach Mekka. Sie haben eigene heilige Orte und eigene heilige Schriften. Sie pflegen ihre in Anatolien im 13. Jahrhundert geformte Religion, die Traditionen aus vorislamischer Zeit mit islamischer Mystik und Gnosis verbindet. Weil viele Dichter und Mystiker der Aleviten als Häretiker verfolgt worden sind, gaben sie jahrhundertlang ihren Glauben nur mündlich, im Verborgenen weiter. Erst vor gut 25 Jahren haben Migranten in Deutschland die Tradition der Geheimhaltung aufgegeben. Unter den Gläubigen gibt es jedoch eine Kontroverse, ob man sich im Islam verortet oder nicht. Zumindest wehrt man sich dagegen, dass es im Islam nur eine verpflichtende Interpretation für alle Muslime geben soll. Zum Beispiel beim Beten:
"Die Sunniten beten ja fünf Mal am Tage. Die Schiiten beten drei Mal am Tage. - Und die Aleviten? - Die beten einmal in der Woche, am Donnerstag. Das Beten ist in jeder Religion unterschiedlich. Im Endeffekt will man nur eines erreichen: dass die Menschen friedlich miteinander zusammenleben. Mehr will man gar nicht. Der Gott braucht uns ja gar nicht, weder unsere Gebete, noch unsere Opfer, der braucht uns ja gar nicht."
Ein anderer Pflichtbegriff
Der Pflichtbegriff im Alevitentum unterscheidet sich von dem anderer islamischer Traditionen, meint Mahsuni Ime. So sei auch das Fasten bei den Aleviten keine Pflicht, weil es um die innere Einstellung geht, nicht um die äußere Erfüllung eines Gebots. Am 26. Oktober feiern die Aleviten das Ende der Fastenzeit mit dem Aschure-Fest. Dazu wird eine besondere Suppe aus Weizen, Kichererbsen, getrockneten Aprikosen, Datteln und Walnüssen zubereitet, sagt Perihan Erdemli. Sie ist eine alevitische Geistliche und lebt seit 40 Jahren in Deutschland. Jedes Jahr verteilt sie die Süßigkeit an viele Nachbarn im Haus.
Das Aschure-Fest ist ein Freudentag. Aleviten glauben, dass der Sohn von Imam Hüseyin, Zeynel Abidin das Massaker in der Wüste von Kerbela überlebt hat und so die Tradition weitergegeben werden konnte. Zur Erinnerung wird die süße Aschure-Suppe dann an Freunde verteilt. Viele Aleviten gehen in die Fußgängerzonen der Städte und verschenken die Speise an Passanten. In Hamburg sind Vertreter der Aleviten zum Aschure-Fest sogar ins Rathaus eingeladen. Wenn sie die Genehmigung erhalten, gibt es dort auch Aschure-Suppe zu kosten.
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