Aleppo in Syrien

Zehntausende Zivilisten in Lebensgefahr

Sie sehen Menschen in Aleppo, die mit Gepäckstücken durch die zerstörten Straßen laufen. Im Hintergrund zerbombte Gebäude.
Menschen in Aleppo, die mit Gepäckstücken durch die zerstörten Straßen laufen - die Zivilisten wissen allmählich nicht mehr wohin © ALEPPO MEDIA CENTER, dpa picture-alliance
Von Jürgen Stryjak · 13.12.2016
Im syrischen Aleppo droht ein Gemetzel: Regierungstreue Truppen stoßen weiter vor und erobern die letzten Viertel zurück, die noch in der Hand der Aufständischen sind. Zivilisten werden dadurch in die Enge gedrängt - Zehntausende von ihnen sind in akuter Lebensgefahr.
Die syrische Armee hat den schwerwiegenden Vorwurf der Vereinten Nationen scharf zurückgewiesen. Ein Sprecher des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte hatte behauptet, syrische Regierungssoldaten und ihre Verbündeten hätten im Ostteil Aleppos mindestens 82 Zivilisten erschossen. Die Opfer seien – vermutlich in den vergangenen zwei Tagen – regelrecht hingerichtet worden, unter ihnen elf Frauen und 13 Kinder.
Das Militär dementierte die Behauptung und erklärte, mit dieser Darstellung würden die Rebellen lediglich versuchen, internationale Sympathien zu gewinnen.
Vor einigen Wochen hatten die Aufständischen noch große Teile von Ost-Aleppo beherrscht, inzwischen kontrollieren sie nach UN-Angaben höchstens noch einen Quadratkilometer Stadtfläche.

"Unter den Zivilisten herrscht Panik"

Die regierungstreuen Truppen hätten eine Bodenoffensive auf noch eingekesselte Viertel begonnen, berichtet Yassin Abu Ra‘ed vom Medienbüro der Aufständischen in Ost-Aleppo im Programm des Fernsehsenders Al-Hadath. In dem Gebiet würden sich noch mehr als 100.000 Zivilisten befinden. Der Aktivist befürchtet ein Gemetzel.
Die Angaben von Aufständischen können ebenso wenig unabhängig überprüft werden wie die der syrischen Regierung. Auch bei den Schilderungen von Beobachtern vor Ort bleibt der Wahrheitsgehalt unklar. Etliche Augenzeugen bestätigen allerdings die Berichte der Vereinten Nationen über Hinrichtungen.
"Unter den Zivilisten herrscht Panik", erzählt ein Augenzeuge aus dem Ostteil der Stadt. "Die Massaker dauern an. Auch beim Beschuss mit Granaten kamen Menschen ums Leben, manchmal ganze Familien. Auch Sanitäter wurden getötet."
Ein Aktivist, der den Decknamen Ibrahim Al-Idliby trägt und der nach eigenen Angaben der Freien Syrischen Armee nahesteht, hält von der Grenze zur Türkei aus den Kontakt mit Menschen im Osten Aleppos.

Mehr als 80.000 Menschen suchen Schutz in Ruinen

Auf den Straßen würden Leichen liegen, die nicht weggeräumt werden könnten, berichtet er. Tausende Menschen warteten auf ihren Tod. Sie würden darauf hoffen, nicht in die Gewalt von regierungstreuen Soldaten oder Milizionären zu geraten. Sie wollten auf gar keinen Fall gefangen genommen werden.
In den vergangenen beiden Tagen habe sich die Lage noch einmal dramatisch zugespitzt, berichtet der Arzt Salem Abul-Nasr aus Ost-Aleppo.
"Auf einer Fläche von zwei Quadratkilometern befinden sich mehr als 80.000 Menschen, die meisten von ihnen Zivilisten – Frauen, Kinder und alte Leute. Dichtgedrängt suchen sie Schutz in Häusern."
Das russische Verteidigungsministerium behauptet, dass allein in den vergangenen 24 Stunden 8000 Menschen den Osten der Stadt verlassen hätten. Andere Quellen verwenden andere Zeiträume und verkünden andere Zahlen, die ebenso wenig nachprüfbar sind. Trotzdem muss befürchtet werden, dass es noch mehrere Zehntausend Zivilisten sind, die sich angesichts des Chaos und der Kampfhandlungen in akuter Lebensgefahr befinden.

Die Journalistin und Syrien-Expertin Kristin Helberg schätzt die Lage in Aleppo ein:
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