Albtraum Afghanistan

Von Peter Merseburger · 29.07.2007
Afghanistan ist ein Reizwort, an dem sich die Geister scheiden. Und es sagt viel - über uns selbst, über den bedauernswerten Zustand politischer Debatten hierzulande, auch über das marode Verhältnis der Deutschen zu außenpolitischen Fragen.
Werden Deutschlands Interessen wirklich am Hindukusch verteidigt, wie der frühere Verteidigungsminister Struck einmal behauptete? Was er sagte, leuchtet offenbar immer weniger Deutschen ein – etwa zwei Drittel plädieren inzwischen für den Abzug der Bundesswehr.

Auf den ersten Blick mag dies verständlich erscheinen, denn viel erreicht hat die fünfjährige Präsenz westlicher Militärs und Aufbauhelfer bis heute nicht. Die Taliban, die zunächst geschlagen schienen, melden sich – von Al Qaida in unzugänglichen, grenznahen Gebieten Pakistans aufgerüstet – mit Macht zurück. Sie erobern Grenzprovinzen im Süden, machen mit Selbstmordattentaten Kabul unsicher, so dass Afghanistans Präsident Karsai sich in seiner Hauptstadt nur in einem ganzen Tross im Westen angeheuerter Leibwächter mit gezückten Maschenpistolen bewegen und unter sein Volk wagen kann.

Dass deutsche Truppen am Hindukusch stehen, hat die rotgrüne Regierung zu verantworten, deren Kanzler im Herbst 2002 die markigen Worte von der "uneingeschränkten Solidarität" mit Amerika sprach. Aus der Stimmung nach dem Anschlag auf die World Trade Towers heraus mag dies verständlich gewesen sein, von heute aus gesehen, war zumindest die Formulierung unbedacht. Denn was heißt uneingeschränkt? Wir haben uns mit Militär engagiert, ohne je über eine Exit-Strategie nachgedacht zu haben. Und nun erfahren wir: So schnell, wie wir – und wahrlich nicht nur wir – in die afghanische Falle getappt sind, kommen wir leider nicht wieder heraus.

Was wir allerdings seither aufführen, setzt uns dem Gespött unserer Bundesgenossen aus. Es rächt sich jetzt, dass keine Bundesregierung, auch nicht die heute amtierende, deutlich und unmissverständlich gesagt hat, welche Konsequenzen der Einsatz von Soldaten nun einmal haben kann. Am liebsten wäre der deutschen Öffentlichkeit und, leider, auch vielen Parlamentariern, die für das Afghanistan-Engagement stimmten, eine Bundeswehr, die einem Technischen Hilfswerk oder einer erweiterten Feuerwehr gliche: die zwar Schulen, Brunnen, Krankenhäuser baute und medizinische Versorgung böte - aber bitte eines um Himmels willen nie tun sollte: schießen.

Wir verschanzen uns hinter dem sogenannten ISAF-Auftrag, der militärischen Schutz für den zivilen Aufbau bedeutet, für die Operation Enduring Freedom, welche die terroristischen Taliban im Süden des Landes bekämpfen soll, stellten wir gerade einmal 100 Mann der KSK - des Bundeswehrkommandos Spezialkräfte - zur Verfügung, und sie wurden bis heute in den Kämpfen, in denen nicht nur Amerikaner, sondern auch Kanadier, Briten und Niederländer erhebliche Verluste erlitten, kaum eingesetzt. Viele Sozialdemokraten, aber auch etliche Grüne fordern inzwischen ihren Abzug, weil sie das Kämpfen den anderen überlassen und sich lieber auf das konzentrieren wollen, was unsere Entwicklungsministerin das Erobern der Herzen der Afghanen nannte. Das ist ein löblicher Vorsatz, der sofort zu unterschreiben wäre – aber bedingt das eine nicht das andere? Kann man die Herzen der Afghanen durch Brunnenbohren und Schulenbauen gewinnen, ohne daß die Taliban daran gehindert werden, das Land zurückzuerobern?

Gewiss stimmt, dass die Amerikaner den Krieg gegen die Terroristen auf eine Art führen, die nur neue Terroristen züchtet: Bomben auf Dörfer, in denen man Taliban weiß oder nur vermutet, führen zu - wie Experten dies nennen - unausweichlichen Kollateralschäden: zu Opfern unter der Zivilbevölkerung. Sinn dieser zu recht als kontraproduktiv bezeichneten Kriegführung ist sicher, die eigenen Verluste so gering wie möglich zu halten. Nur sollten jene Deutschen, die Kritik daran üben, sich fragen: Haben wir das Rech dazu, solange wir selbst jeden Einsatz eigener Kräfte verweigern? Nur mehr Bodentruppen würde ja diese Art der Kriegführung überflüssig machen, und so hat der Kommandeur von Enduring Freedom auch gemeint, zwei zusätzliche deutsche Batallione wären eine hervorragende Verstärkung für seinen Kampf gegen die Taliban. Ob es dafür je eine deutsche Parlamentsmehrheit gäbe, steht in den Sternen. Vor allem die SPD zeigt sich in der Afghanistan-Frage zerrissen.

Wasch Dich, aber mach dir den Pelz nicht nass. Was Afghanistan betrifft, haben wir bisher eine Politik der Halbheiten betrieben. Unser Engagement aufkündigen, können und dürfen wir nicht – ein Davonschleichen hieße, das atlantische Bündnis in Frage stellen. Aber so weitermachen wie bisher - Soldaten stationieren, die um Himmels willen nicht schießen sollen - können wir auf die Dauer ebenso wenig.

Es wird Zeit, dass die Regierung den Wählen klaren Wein über das deutsche Engagement am Hindukusch einschenkt, unser Engagement offensiv begründet und einen Zeithorizont aufzeigt, auch wenn dieser ein Jahrzehnt umspannen sollte. Die Deutschen haben leider wenig Verständnis für außenpolitische Fragen, dass wir in ein Allianzsystem eingebunden sind, aus dem Verpflichtungen erwachsen, wollen sie ungern nur Kenntnis nehmen. Umso mehr ist Führungskraft gefragt - sonst werden die Populisten der Linkspartei, die den schnellen Abzug fordern, beim Wähler nur an Zuzug gewinnen.


Peter Merseburger, geboren 1928 in Zeitz, studierte Germanistik, Geschichte und Soziologie. Er war von 1960 bis 1965 Redakteur und Korrespondent des Hamburger Nachrichtenmagazins "Der Spiegel", moderierte ab 1967 die Fernsehsendung "Panorama" und wurde 1969 TV-Chefredakteur des Norddeutschen Rundfunks. 1977 ging Peter Merseburger als ARD-Korrespondent und Studioleiter nach Washington. Weitere Stationen waren Ost-Berlin und London. Buchveröffentlichungen u. a. "Die unberechenbare Vormacht", "Grenzgänger - Innenansichten der anderen Republik", die Kurt-Schumacher-Biographie "Der schwierige Deutsche" und "Mythos Weimar". Zuletzt erschienen ist die Biographie "Willy Brandt 1913 – 1992". Peter Merseburger lebt in Berlin und Südfrankreich.
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