Albright: Der Irakkrieg war nicht notwendig

Moderation: Margarete Limberg und Wolfgang Labuhn · 03.06.2006
Die ehemalige US-Außenministerin Madeleine Albright hat die Staaten Europas aufgefordert, sich stärker im Irak zu engagieren. Unterstützung sei nach wie vor bei der Ausbildung von Polizei und Militär, bei der Sicherstellung der Stromversorgung und bei der Schaffung von Arbeitsplätzen notwendig, sagte Albright. An die US-Regierung richtete die Ex-Ministerin den Vorwurf, den Krieg mit dem Irak herbeigeführt zu haben. Es sei nicht zwingend notwendig gewesen, ihn genau zu diesem Zeitpunkt zu führen. Schaden durch die falsche Irak-Politik von US-Präsident Bush habe auch die Demokratie genommen. Zwar habe Bush geplant, aus dem Irak einen Modellstaat für die Region zu machen - Demokratie könne man aber nicht anordnen, betonte Albright.
Deutschlandradio Kultur: Frau Albright, Sie waren die erste Außenministerin der USA und haben einmal gesagt, es habe Vorteile, in diesem Job eine Frau zu sein. Gilt das noch immer und wären Sie jetzt gerne in diesem Amt?

Madeleine Albright: Ich glaube, es gilt nach wie vor, Frauen sind es gewöhnt, mehrere Dinge auf einmal zu erledigen, sie haben zudem die Gabe, verschiedene Aspekte ihrer Persönlichkeit einzubringen. Ob ich gerne Außenministerin wäre? Ja, ich wäre es gerne für immer geblieben. Ich bin überzeugt davon, dass Politiker, die behaupten, sich über das Ende ihres Jobs zu freuen, lügen. Aber wäre ich gerne Außenministerin in der aktuellen Situation? Ich glaube, wir wären nicht in diese Lage geraten, wenn wir einen anderen Präsidenten und einen anderen Außenminister hätten.

Deutschlandradio Kultur: Deutschland hat seit einigen Monaten eine Kanzlerin. Wie beurteilen Sie Angela Merkels Regierungsstil.

Albright: Als Frau Merkel zu ihrem ersten Besuch in den USA war, hat sie mich sehr beeindruckt. Wir haben uns bei der Gelegenheit getroffen. Sie geht offenbar anders an die Dinge heran, und ich glaube, dass ihr Besuch sehr erfolgreich war. Das heißt nicht, dass sie mit allem, was Präsident Bush vorschlug, einverstanden war. Meines Wissens machte sie sehr klar, dass ihrer Ansicht nach Guantanamo geschlossen werden sollte und dass es einige politische Meinungsverschiedenheiten gibt. Aber sie hat das auf andere Weise als Kanzler Schröder getan, der weniger diplomatisch vorgegangen ist.

Deutschlandradio Kultur: In Ihrem Buch "Der Mächtige und der Allmächtige" beschuldigen Sie die amerikanische Regierung, völlig falsch auf den Terrorismus reagiert, das Ansehen des Landes zerstört und Slogans an die Stelle von freiheitssichernden Strategien gesetzt zu haben. Was ist in der amerikanischen Außenpolitik in den letzten Jahren falsch gelaufen?

Albright: Ich bin sehr besorgt über das, was geschehen ist, auch wenn ich es immer schwierig finde, meine Regierung zu kritisieren, vor allem wenn ich im Ausland bin - es fällt mir nicht so schwer, wenn ich zu Hause bin. Fehlgeschlagen ist eine Politik, die die Welt in Gut und Böse aufgeteilt hat, die sich vor allem im Blick auf den Irak weitgehend verkalkuliert hat. Ich meine, der Irak ist die Ursache der meisten Probleme. Das war ein gewollter Krieg, kein notwendiger, der unbedingt zu dem gewählten Zeitpunkt geführt werden musste, denn wir hatten unsere Aufgaben in Afghanistan ja noch nicht erledigt.

Wenn man sich anschaut, was dort in den letzten beiden Wochen passiert ist, dann zeigt das beispielhaft, dass wir uns besser weiterhin auf Afghanistan konzentriert hätten. Außerdem gab es keinen Plan für die Zeit nach der Invasion. Unser Militär hat einen großartigen Job gemacht, aber die Planung war mangelhaft.

Deutschlandradio Kultur: Vor einigen Tagen haben Präsident Bush und der britische Premierminister Tony Blair Fehler im Irak eingeräumt. Ist das der erste Schritt zurück zur Vernunft?

Albright: Ich hoffe es, aber ich fürchte, es ist zu spät. Es ist zwar wichtig, dass sie Fehler eingeräumt haben, aber sie hätten das früher tun sollen. Für die Amerikaner ist es sehr wichtig, dass der Präsident ein realistisches Bild der Ereignisse im Irak zeichnet und nicht ein Wunschbild. Die Menschen müssen die Wahrheit wissen. Die Amerikaner wollen, dass wir im Irak Erfolg haben.

In meinem Buch habe ich geschrieben, dass der Irak das größte Desaster der amerikanischen Außenpolitik zu sein scheint. Ich hoffe aber, dass ich mich irre und eines Tages jemand schreiben wird, dass ich mit dieser Aussage einen schrecklichen Fehler gemacht habe. Denn ich möchte nicht, dass wir scheitern und das amerikanische Volk ebenso wenig. Aber man muss uns die Wahrheit sagen.

Deutschlandradio Kultur: Im Irak entwickelt sich alles schlimmer als befürchtet. Die USA werden nicht als Befreier betrachtet, die Spirale von Terror und Gewalt dreht sich immer schneller, Terrorgruppen haben dort ihre Basis, die vor dem Krieg nicht im Irak waren.

Albright: Die Iraker müssen allmählich selbst über ihr Leben entscheiden. Der Amtsantritt von Premierminister Maliki macht diesbezüglich ein wenig optimistischer. Ich hoffe, er wird bald imstande sein, einen Innen- und einen Verteidigungsminister zu ernennen. Die Iraker müssen selbst für ihre Sicherheit und den Wiederaufbau sorgen. Aber sie brauchen auch die Hilfe von außen, und die Amerikaner müssen deutlich machen, dass sie keine permanenten Stützpunkte haben wollen. Sie müssen signalisieren, dass dies ein Jahr des Übergangs ist. Die USA intervenierten, und der Krieg endete schließlich. Europa und seine politischen Führer haben den Krieg im Irak gewiss nicht angefangen, aber was im Mittleren Osten geschieht, die Massierung von Problemen dort betreffen Europa ebenso sehr wie Amerika. Deshalb sind mehr gemeinsame Anstrengungen erforderlich, bei der Ausbildung von Polizei und Militär und vor allem beim Wiederaufbau des Irak, so dass der Premierminister der Bevölkerung auch etwas vorweisen kann, sei es die Versorgung mit Elektrizität oder die Schaffung von Arbeitsplätzen. Ob die Menschen nun mit dem Krieg einverstanden waren oder nicht - es ist jetzt in jedermanns Interesse, den Konflikt so schnell wie möglich zu beenden.

Deutschlandradio Kultur: Einige Stimmen plädieren für einen möglichst baldigen Abzug der US-Truppen. Der frühere Sicherheitsberater Brzezinski befürwortet z. B. einen Abzug binnen eines Jahres. Seiner Ansicht nach ist die Gefahr eines Bürgerkrieges umso größer, je länger die Truppen im Irak bleiben. Andere wie Joschka Fischer sehen es genau entgegengesetzt und befürchten, dass die Alliierten ein Vakuum hinterlassen, das den Zusammenhalt des Irak bedroht. Was ist Ihre Meinung?

Albright: Ich gehöre zu denjenigen, die kein Datum für den Truppenabzug festlegen wollen. Wir haben das in Bosnien getan, konnten dann den Termin nicht einhalten und haben dadurch an Glaubwürdigkeit verloren. Ich möchte einen geordneten Übergang, hoffentlich noch in diesem Jahr. Ich sehe auch das von Joschka Fischer betonte Problem eines Vakuums, aber gerade deshalb sollten sich mehr Länder für die Sicherung eines geordneten Übergangs engagieren. Letztlich sind aber die Iraker selbst verantwortlich. Brzezinski hat ja auch gesagt, am besten wäre es, wenn die Iraker unseren Abzug wünschten. Das wäre sicherlich hilfreich. Dann könnte man ein Truppenabkommen schließen und auch anderen Ländern Hilfsaktivitäten ermöglichen.

Deutschlandradio Kultur: Der eigentliche Gewinner des Irak-Krieges scheint der Iran zu sein. Dank der schiitischen Mehrheit ist sein Einfluss im Irak. Die Islamisierung des Irak ist vor allem im Süden sehr ausgeprägt. Nicht zuletzt zu Lasten der Frauen.

Albright: Eine der nicht beabsichtigten Folgen des Krieges ist sicherlich der zunehmende Einfluss des Iran. Wie wir alle wissen, haben wir im Westen uns schon seit 30 Jahren darum bemüht, eine Art Gleichgewicht zwischen Iran und Irak herzustellen. Das ging so weit, dass die fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates im iranisch-irakischen Krieg beide Seiten unterstützten. Ich befürchte jetzt, dass die Auseinandersetzungen zwischen Schiiten und Sunniten sich zuspitzen zu einem neuen Konflikt zwischen dem Irak und Iran. Das macht mir Sorgen. Was die Situation der Frauen angeht, so betrifft dies die ganze Region. Ich glaube aber, dass man die Situation im Iran nicht wirklich beurteilen kann. Es gibt Hinweise, dass Präsident Ahmedinedshad eine - in Anführungszeichen - "liberalere" Haltung zu Frauenfragen als von vielen erwartet hat. Sicher ist aber, dass es einen Machtzuwachs für den Iran gegeben hat.

Deutschlandradio Kultur: Eines der wichtigsten Ziele amerikanischer Politik, die demokratische Neuordnung des ganzen Nahen Ostens, ist bisher nicht erreicht worden. Die Transplantation demokratischer Prinzipien von außen erweist sich als äußerst zweifelhaftes Instrument. In den palästinensischen Gebieten etwa brachten freie Wahlen die Terrororganisation Hamas an die Macht. Welche Schlussfolgerungen ergeben sich daraus?

Albright: Nun, ich glaube, dass wir alle gleich sind, dass die Menschen überall auf der Welt die Möglichkeit haben möchten, über ihr Leben selbst zu entscheiden. Sie möchten bestimmen, wer in ihrem Ort regiert und wer das ganze Land. Demokratie ist nach meiner Ansicht ein universelles Prinzip. Ich wünschte mir nur, wir hätten während unserer Amtszeit mehr unternommen, um die Demokratie im Nahen Osten zu unterstützen, wobei ich das Wort "unterstützen" betone.

Ich bin Vorsitzende des National Democratic Institute, das - wie die politischen Stiftungen in Ihrem Land - in einer Reihe von Ländern auf der Welt das demokratische Räderwerk lehrt, auch im Nahen und Mittleren Osten. Das Problem ist nur, dass man Demokratie nicht anordnen kann. Präsident Bush wollte zwar den Irak zum Demokratiemodell für die Region machen, doch dort dürfte es kaum Länder geben, die jetzt mit Blick auf den Irak sagen, diese Entwicklung wünsche man sich auch. Denn die Sache hat dort keinen guten Ruf.

Was die Hamas betrifft, so haben wir alle wohl schon einmal erfahren müssen, dass in Demokratien oder bei Wahlen nicht immer die richtigen gewinnen. Dies war eine freie und faire Wahl. Jetzt kommt es darauf an, dass Hamas auf Gewalt als Werkzeug verzichtet. Doch wird dürfen uns nicht vor Wahlen fürchten. Wir müssen begreifen, dass die Demokratie nicht nur aus Wahlen besteht, sondern in ihr auch viele Institutionen einzurichten sind. Ich bin für Demokratie im Nahen und Mittleren Osten. Wir sollten sie dort unterstützen, aber niemals aufzwingen.

Deutschlandradio Kultur: Sie haben Präsident Bush vorgeworfen, sich aufs falsche Ziel, den Irak und Saddam Hussein, konzentriert zu haben statt auf den Kampf gegen Al Kaida und die Taliban in Afghanistan. Tatsächlich erlebt Afghanistan eine neue Welle der Gewalt, man hat den Eindruck, als ob Kabul in Irak liege. Ist die Intervention in Afghanistan gescheitert?

Albright: Unglücklicherweise ist das eingetreten, was ich befürchtet hatte. Wir haben uns dem Irak zugewandt, der keine unmittelbare Bedrohung darstellte, bevor der Job in Afghanistan beendet war. Ich habe die Ereignisse in Afghanistan in den letzten beiden Wochen mit großer Sorge verfolgt, das Wiederauftauchen der Taliban ebenso wie den zunehmenden Mohnanbau für die Opiumproduktion und die Tatsache, dass Präsident Karsai nicht das gesamte Land kontrolliert.

Ich glaube nicht, dass Afghanistan ein Fehlschlag ist, aber es gibt klare Warnsignale, dass wir uns dort wieder so engagieren müssen, dass die Demokratie in Afghanistan blühen kann. Wir müssen auch begreifen, dass dabei jeder mithelfen muss. Und möglicherweise müssen die amerikanischen Truppen trotz der Kommandoübernahme durch die NATO noch eine Weile länger dort bleiben.

Deutschlandradio Kultur: Abgesehen von den Folgen des Irak-Krieges dreht sich die im Moment wohl gefährlichste internationale Krise um das iranische Atomprogramm. Die internationale Gemeinschaft will nicht, dass der Iran Atomwaffen entwickelt und besitzt. Die Regierung Bush hat sich jetzt bereit erklärt, vorerst eine diplomatische Lösung dieser Krise über die Vereinten Nationen anzustreben. Welchen Ratschlag würden Sie jetzt Ihrer Nachfolgerin im US-Außenministerium geben?

Albright: Ich habe mich schon seit einiger Zeit für direkte Gespräche zwischen den Vereinigten Staaten und dem Iran ausgesprochen. Das heißt nicht, den Weg über die UNO zu verlassen oder auf die Rolle der EU-Außenminister zu verzichten. Ich denke, wir könnten eine Vielzahl diplomatischer Wege beschreiten, wobei ich nicht glaube, dass die Gespräche auf Präsidenten- oder auch nur auf Ministerebene geführt werden müssten. Mich beunruhigt die Tatsache, dass Präsident Ahmedinedschad jetzt direkte Gespräche ablehnt, aber er ändert ja
ständig seine Meinung. Wie Sie wissen, habe ich einen Kreis ehemaliger
Außenminister ins Leben gerufen, dessen neuestes Mitglied Joschka Fischer ist. Wir haben als Gruppe einen Leitartikel geschrieben und darin übereingestimmt, dass es direkte Gespräche zwischen den USA und dem Iran geben sollte.

Deutschlandradio Kultur: Wenn Präsident Ahmedinedschad dem Westen vorwirft, den Arabern moderne Technologie, die Nukleartechnik vorenthalten zu wollen, um die eigene Macht zu wahren, wenn er fragt, weshalb sollen die Palästinenser für die Ermordung der europäischen Juden büßen - was er gleichzeitig leugnet -, dann spricht er wahrscheinlich Millionen Muslimen aus dem Herzen. Was ist da schief gelaufen in den Beziehungen zwischen den USA und dem Westen insgesamt und der muslimischen Welt?

Albright: Für die Verschlechterung der Beziehungen gibt es wahrscheinlich mehrere Gründe, sowohl das Verhalten des Westens als auch Missverständnisse und die schlechten Verhältnisse in der muslimischen Welt. Man sollte sich daran erinnern, dass Osama bin Laden sich einst in Saudi-Arabien gegen die eigene Regierung erhob, der er vorwarf, repressiv zu sein und zugleich Beziehungen zum Westen zu pflegen. Und im Iran wurde der Schah zum Verlassen des Landes gezwungen, weil den Ayatollahs seine Modernisierungspolitik missfiel.

Teilweise ist also der Westen schuld, und teilweise hängt das mit historischen und kulturellen Fragen in der muslimischen Welt zusammen. Aber jetzt sollten wir auf einige der Fragen antworten, die Ahmedinedschad in seinem Brief angesprochen hat. Ich schlage nicht vor, dass Präsident Bush und er einen regelmäßigen Briefwechsel eröffnen sollten. Und einige der Gedanken in seinem Brief sind auch nicht an Präsident Bush gerichtet. Sie waren vielmehr für eine große Zahl von Menschen in der muslimischen Welt gedacht. Man sollte darauf in Washington mit einer Rede auf höchster Ebene reagieren und erläutern, wofür wir stehen und nicht, wogegen wir sind. Wir sind nicht in einen Kampf der Kulturen verwickelt, sondern in eine Schlacht der Ideen. Es ist wichtig, dass der Westen unsere positiven Vorstellungen erläutert.

Deutschlandradio Kultur: Wie gefährlich wäre denn ein Iran mit Atomwaffen? Wäre er wirklich die größte Bedrohung der USA, wie es in der nationalen Sicherheitsstrategie Ihres Landes steht?

Albright: Ein Iran mit nuklearen Waffen wäre eine große Gefahr für die Region und für Europa und damit auch für die USA, weil wir alle miteinander verbunden sind. Einige meinen zwar, der Iran wolle Kernenergie und Atomwaffen nur zur Bestärkung der eigenen Identität, doch damit würde ein sehr, sehr gefährlicher Weg beschritten. Deshalb müssen wir gemeinsam und abgestimmt vorgehen, um diese Sache auf diplomatischem Wege zurückzuschrauben. Denn diese Frage betrifft nicht nur die USA. Ein atomar bewaffneter Iran wäre eine Gefahr für jedermann.

Deutschlandradio Kultur: Das Verhältnis zwischen den USA und Deutschland hat wegen des Irakkrieges schwer gelitten. Einiges hat sich wieder verbessert. Die Kanzlerin ist ein willkommener Gast in Washington. Gibt es ein Zurück zu alten Zeiten, als man trotz gelegentlicher bilateraler Spannungen und manchmal sogar scharfer Auseinandersetzungen im Zweifel doch immer fest Seite an Seite stand?

Albright: Das hoffe ich und das erwarte ich. Denn im Laufe der Jahre haben wir wohl begriffen, wie viel uns verbindet und wie wichtig unsere Zusammenarbeit ist. Bundeskanzlerin Merkel hat einen sehr bedeutsamen Neuanfang bei der Wiederherstellung guter Beziehungen gemacht. Während unserer Amtszeit waren solche guten Beziehungen beispielsweise sehr hilfreich in der Balkanpolitik, insbesondere während der Kosovo-Krise, als Außenminister Fischer und ich gut zusammenarbeiten konnten und praktisch jeden Tag miteinander
telefonierten. Wir wussten, dass wir einen Verbündeten hatten, mit dem man wirklich zusammenarbeiten konnte und auf den Verlass war. Ich hoffe also nicht nur im Interesse unserer Länder, sondern auch der Stabilität, dass die amerikanisch-deutschen Beziehungen wieder eine gute Grundlage bekommen.

Deutschlandradio Kultur: Sollte die US-Regierung den Wunsch Deutschlands nach einem ständigen Sitz im Weltsicherheitsrat unterstützen?

Albright: Ich meine ja. Wir haben das schon während der Clinton-Administration unterstützt. Allein wegen seiner Macht und seines Einflusses sollte Deutschland im Weltsicherheitsrat vertreten sein. Ich muss allerdings auch feststellen, dass Veränderungen im Sicherheitsrat dem Spiel mit einem unlösbaren Rubik-Würfel gleichen. Als wir seinerzeit Deutschland und Japan als ständige Mitglieder des
Sicherheitsrates vorschlugen, protestierten als Erstes die Italiener - mit dem Hinweis, dass sie ebenfalls den Krieg verloren hätten-, eine ziemlich merkwürdige Begründung der eigenen Kampagne, fand ich.

Doch es gibt da auch ein echtes Problem im Sicherheitsrat. Unter den ständigen Mitgliedern sind zu viele europäische Staaten. Wenn man sich die heutige Machtverteilung auf der Welt anschaut und die wachsende Bedeutung von Entwicklungsländern und von Ländern wie Indien und Brasilien, stellt sich die Frage, wie viele europäische Mächte im Sicherheitsrat vertreten sein können.

Deutschlandradio Kultur: Antiamerikanismus hat es immer wieder gegeben. Während des Vietnam-Krieges war er geradezu dramatisch. Ist das, was der Irak-Krieg an antiamerikanischen Emotionen ausgelöst hat, ähnlich oder hat dies eine andere Dimension, liegen dahinter ein immer weiteres Auseinanderdriften, unterschiedliche Werte, ein kulturelles Unverständnis des einen für den anderen? Die religiöse Rhetorik des Präsidenten zum Beispiel befremdet die Europäer aufs höchste.

Albright: Ich weiß das. Während des Vietnam-Krieges glaubten viele, dass wir niemals wieder Gemeinsamkeiten finden würden, doch wir haben das dann geschafft. Ich meine auch, dass es so etwas wie ein natürliches Verständnis zwischen den USA und Europa gibt. Das verkörpere ich mit meiner Person ja sozusagen selbst. Ich kann es mir nicht vorstellen, dass wir für lange Zeit entfremdet bleiben. Die Vereinigten Staaten sind ohne Frage viel religiöser eingestellt als Europa, das im Allgemeinen säkular ist. Doch ich muss feststellen, dass einiges von dem, was Präsident Bush sagt, auch für viele Amerikaner seltsam klingt. Ich hoffe deshalb, dass dies nach der Klärung der Irak-Frage und vielleicht einem Regierungswechsel in Washington nicht länger im Wege steht und wir wieder gute Beziehungen haben.

Deutschlandradio Kultur: Der Einfluss der Religion war in der amerikanischen Politik immer vorhanden. "Gods own country" ist ein bekannter Slogan, doch gleichzeitig gab es in den USA immer auch die klare Trennung von Staat und Kirche. Aber bei George Bush ist ein missionarischer Eifer spürbar, eine Vermengung von Außenpolitik und Religion wie selten zuvor. Bush scheint sich als Präsident zu sehen, der geradezu Gottes Wille erfüllt. Das erinnert manchen sogar an die Rhetorik des iranischen Präsidenten und erscheint vielen als pure Heuchelei, vor allem, wenn man sich vor Augen führt, dass von den Begründungen für den Irak-Krieg keine stimmte. Auf jeden Fall lässt eine messianisch begründete Außenpolitik hier alle Alarmglocken schrillen. Versteht man das in Amerika oder ist dies nur ein weiterer Beleg für die Gottlosigkeit der Europäer?

Albright: Als ich anfing, mein Buch zu schreiben, habe ich zugegebenermaßen untersucht, ob es eine Anomalie der amerikanischen Geschichte ist, wie Präsident Bush sich auf Gott beruft. Tatsächlich stimmt Ihr Hinweis, dass die amerikanische Geschichte einen starken Gottesbezug hat. Man glaubt, in einem von Gott gesegneten Land zu leben, und Sie kennen ja auch die Formel "Gott segne Amerika", mit der praktisch jede politische Rede endet. Während meiner Recherchen stellte ich also fest, dass Präsident Bush in vieler Hinsicht nicht weit vom allgemeinen Verhalten entfernt ist. Jeder amerikanische Präsident hat sich übrigens in der einen oder anderen Weise auf Gott berufen, sogar Männer, von denen man das nicht erwartet hätte, Roosevelt und Kennedy zum Beispiel.

Der Unterschied bei Präsident Bush ist die Gewissheit, mit der er sich auf die Religion bezieht, dass er zum Beispiel sagte, Gott habe gewollt, dass er Präsident sei und dass Gott auf der Seite Amerikas stehe. Damit unterscheidet er sich von Präsident Lincoln, der sagte: Wir müssen auf Gottes Seite stehen. Ich wäre also überrascht, wenn der nächste Präsident, wer immer das ein wird, genauso gerahmt ist. Doch Amerika wird stets religiöser eingestellt sein. Das sollte aber unsere Beziehungen zu den Europäern nicht schwächen. Und ich meine auch, dass die Europäer die Rolle der Religion im Islam besser verstehen müssen. Bei Ihnen gibt es doch viele Muslime in der Bevölkerung. Die Europäer müssen die Religion und die Motive religiöser Menschen einfach besser verstehen lernen.