Akustik-Forschung

Das Auge hört mit

Blick in den Konzertsaal der Philharmonie Berlin
Ein weltbekannter Konzertsaal: Die Philharmonie Berlin © Deutschlandradio / Manfred Hilling
Von Christiane Habermalz · 20.07.2016
Wie beeinflusst unser Sehen das, was wir hören? Wissenschaftler am Berliner Staatlichen Institut für Musikforschung versuchen, dem auf die Spur zu kommen. Sie wollen herausfinden, ob wir die Architektur unserer Konzertsäle neu denken müssen.
Der virtuelle Konzertsaal des Berliner Staatlichen Instituts für Musikforschung ist eine kleine abgedunkelte Kabine, eindeutig nichts für Claustrophobe. Darin sitze ich auf einem Stuhl vor einer Leinwand, alles ist abgetrennt von einem schwarzer Vorhang. Michael Horn, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Technischen Hochschule Berlin, hält diverse technische Gerätschaften in der Hand.
"Dass ich Ihnen zunächst eine 3-D-Brille gebe und Ihnen dann einen etwas spezielleren Kopfhörer aufsetze, einen sogenannten extra-auralen, bei dem die Besonderheit ist, dass die Lautsprecher etwas weiter weg vom Ohr sind. Das ist ne Spezialanfertigung von der TU-Berlin, die sich halt sehr gut eignet für die Art Hörbarmachung, die wir hier nutzen."
Der Köpfhörer sieht aus wie für einen Kopfgeldjäger aus Starwars designt. Die Ohrmuscheln stehen seitlich vom Kopf ab, das ist gut für die Schwingungen, außerdem kann ich damit meinen Kopf hin und her drehen, ohne dass die Musik aus einer anderen Richtung kommt. Dann bekomme ich noch ein Tablet in die Hand gedrückt, fertig ist die audiovisuelle Versuchsperson.

Das Hirn austricksen

Die Wissenschaftler versuchen, in einem experimentellen Projekt das Hirn auszutricksen. Inwiefern beeinflusst das Sehen das Hören und umgekehrt. Solche "crossmodalen Effekte" wurden bereits wissenschaftlich beschrieben: Rote Züge hören wir lauter als grüne Züge. Auf die Musik übertragen lautet die Fragestellung: Was geschieht, wenn man den Sound einer gotischen Basilika hört und dabei ein Bild vom Leipziger Gewandhaus sieht? Und empfindet man Musik besonders tief, wenn sie in einem plüschigen Barock-Konzertsaal gespielt wird?
In meinem optoakustischen Forschungslabor erscheint vor meinem realen Auge gerade das virtuelle Bild des Leipziger Gewandhauses, natürlich in 3D. Ich sitze gefühlt irgendwo in der 10. Reihe, vorne spielen Kammermusiker Debussy’s Quartett g-moll op.1 .
Horn: "Und jetzt kommt auf Knopfdruck zum Beispiel die Akustik des Konzerthauses. Oder zur Basilika des Klosters Eberbach im Rheingau."
Mehrfach wechseln Akustik und Konzertsäle. Auf meinem Laptop muss ich auf Skalen Fragen beantworten: Wie höre ich die Musik? Laut oder leise, trocken oder hallig, weit entfernt oder nah, aber auch Fragen zu ästhetischen Merkmalen: Hat die Darbietung gefallen? Wie sehr fühle ich mich anwesend in dem Raum? Und passen Ton und Bild zueinander? Umgekehrt soll auch das visuelle Bild bewertet werden.

Je komplexer die Bilder, umso irrelevanter fürs Hören

Die Versuchspersonen, erklärt mir Projektleiter Jans-Joachim Maempel, sind sowohl geübte Konzertbesucher als auch Popliebhaber oder auch nicht-musikaffine Menschen. Opto-akustische Versuche sind aufwändig und schwierig umzusetzen. Um jeden interpretatorischen Einfluss bei der Darbietung zu vermeiden, wurde die Musik einmal aufgezeichnet, die jeweilige Raumakustik dann genau berechnet und darunter gemischt. Die Musiker wurden vor Grün-Hintergrund gefilmt und dann in die 3-D-Fotografien der Konzertsäle hineinmontiert. Auf der einen Seite geht es um Grundlagenforschung, zu untersuchen, wie die Menschen Sehen und Hören miteinander verknüpfen. Auf der anderen Seite hätte das Ergebnis durchaus Folgen für die Architektur von Konzertsälen, aber auch für das Hören von Musik am Computer. Müssen die großen Konzerthäuser umdenken? Wird künftig bei der Berechnung von Raumakustik auch das Visuelle berücksichtig werden müssen? Eher nicht, sagt Maempel.
"Unsere ersten Ergebnisse deuten darauf hin, dass das eigentlich generell nicht der Fall ist. Vielmehr ist es so, dass das, was wir hören auch tatsächlich durch die akustischen Eigenschaften bestimmt ist und was wir sehen durch die optischen, also ganz normal geradlinig ohne irgendwelche komplizierten Interaktionseffekte dazwischen, die konnten wir tatsächlich nicht nachweisen, die können wir sogar fast ausschließen."
Ich bin fast erleichtert. Wo ich mich doch so bemüht habe, mehr Erhabenheit zu hören, wenn ich dazu den gotischen Innenraum des Klosters Eberbach sah. Je komplexer die Bilder, sagt Maempel, desto weniger relevant sind sie für das Hören. Konzertbesucher sind offenbar durch visuelle Eindrücke doch weniger korrumpierbar als vermutet.
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