Aktionskünstler Pjotr Pawlenski

"Ich bringe die Situation der Bürger auf den Punkt"

Der russische Aktionskünstler Pjotr Pawlenski protestiert mit zugenähtem Mund im Juli 2012 vor der St. Petersburger Kazan Kathedrale gegen die Verhaftung von Pussy Riot.
Der russische Aktionskünstler Pjotr Pawlenski protestiert mit zugenähtem Mund im Juli 2012 vor der St. Petersburger Kazan Kathedrale gegen die Verhaftung von Pussy Riot. © Imago/Eastnews
Moderation: Korbinian Frenzel · 20.10.2016
Pjotr Pawlenski ist der wohl radikalste und politischste Künstler, den Russland zur Zeit hat. Bei seinem Protest gegen den Staat nutzt er seinen Körper als Waffe gegen den Staat: ob er sich den Mund zunäht oder seinen Hodensack auf den Roten Platz näht.
Er will sich nicht den Mund verbieten lassen. Und um für die freie Meinungsäußerung in Russland zu demonstrieren, greift der politische Aktionskünstler Pjotr Pawlenski zu drastischen Mitteln. So nähte er sich selbst als Reaktion auf den Prozess gegen die Frauen-Band Pussy Riot 2012 den Mund zu. Im November 2015 zündete er eine Tür des russischen Geheimdienstes an - und landete prompt im Gefängnis.
Der russische Künstler Pjotr Pawlenski in einem Studio von Deutschlandradio Kultur
Der russische Künstler Pjotr Pawlenski in einem Studio von Deutschlandradio Kultur© Deutschlandradio / Margarete Hucht
Für Pjotr Pawlenski spiegeln die Reaktionen auf seine Kunstaktionen die Hilflosigkeit des Staates wider. Dieser reagiere genau so, wie er es mit seinen Aktionen vorwegnehme:
"Und als ich dann diese Bemühungen der Macht zu ihrer logischen Vollendung brachte, nämlich darzustellen, dass man versucht, den Menschen den Mund zu verbieten, den Menschen das Wort zu verbieten, als ich das gezeigt habe, indem ich einen – in den Augen der Macht – idealen Bürger dargestellt habe, dann befand sich die Macht in einer Sackgasse. In verschiedenen Aktionen bin ich auch vorgegangen, indem ich die Wünsche der Machthaber in einem übertriebenen Sinne zu einem logischen Ende gebracht habe, zu Ende gedacht habe und dargestellt habe."
Er bringe mit seinen Aktionen die Lage der Bürger auf den Punkt. Die körperlichen Selbstverletzungen sieht er relativ:
"Eigentlich ist es nicht so schlimm. Ich wage zu behaupten, dass zum Beispiel Militärangehörige, Sportler viel schlimmeren Verletzungen und Körperschäden ausgesetzt werden als das, was ich gemacht habe."

Das Interview im Wortlaut
Korbinian Frenzel: Der russische Aktionskünstler Pjotr Pawlenski ist nicht nur einer der bedeutendsten russischen Gegenwartskünstler, er ist der radikalste Künstler, den Russland zurzeit hat. Bei seinen Aktionen hat er sich den Mund zugenäht und seinen Hodensack auf den Roten Platz genagelt. Letztes Jahr im November hat er eine Tür des russischen Geheimdienstes angezündet, bis Juni saß er dafür in Moskau in Haft. Pjotr Pawlenski ist zurzeit in Deutschland, um ein Buch vorzustellen, das aus den Dokumentationen seiner Aktionen entstanden ist, heimlich gefilmte Verhöre, Akten zu seinen Fällen, Bildmaterial zu öffentlichen Kameras wie das der Kreml-Mauer zum Beispiel. Pjotr Pawlenski in Deutschland und zuerst in Deutschlandradio Kultur, herzlich willkommen!
Pjotr Pawlenski: ((spricht Russisch))
Frenzel: Herr Pawlenski, Ihr Protest mit zugenähtem Mund als Reaktion auf den Prozess gegen die Band Pussy Riot 2012, wie sind Sie damals auf die Idee gekommen?
Pawlenski: Zu dieser Idee haben mich eigentlich die Machthaber gebracht. Die Lage war so, dass die Machthaber versuchten, die Kunst zu unterdrücken. Sie wollten die Leute einer ideologischen Druckkontrolle unterwerfen. Und da sah ich mich gezwungen, das zu unternehmen.
Ich bin überzeugt, dass ein Mensch dessen gewahr wird, in welcher Art und Weise die Macht versucht, Kontrolle auf die Gesellschaft auszuüben, die Gesellschaft zu unterdrücken. Dann ist jeder verpflichtet, alle möglichen Anstrengungen zu unternehmen, damit er sich dem widersetzt. Und als ich dann diese Bemühungen der Macht zu ihrer logischen Vollendung brachte, nämlich darzustellen, dass man versucht, den Menschen den Mund zu verbieten, den Menschen das Wort zu verbieten, als ich das gezeigt habe, indem ich einen – in den Augen der Macht – idealen Bürger dargestellt habe, dann befand sich die Macht in einer Sackgasse.
In verschiedenen Aktionen bin ich auch vorgegangen, indem ich die Wünsche der Machthaber in einem übertriebenen Sinne zu einem logischen Ende gebracht habe, zu Ende gedacht habe und dargestellt habe.

Visualisieren, was in der Gesellschaft existiert

Frenzel: Sie sagen, Sie müssen es ins Extreme verfolgen. Wir haben einige Aktionen genannt, der zugenähte Mund, Sie haben sich in Stacheldraht gewickelt vor das Stadtparlament in Sankt Petersburg gelegt. Das sind alles sehr extreme Formen. Geht es nicht darunter, müssen Sie Ihren Körper quälen, um Protest zu zeigen?
Pawlenski: Die Sache ist die: Ich bringe nur in einer visuellen extremen Form das, was in der Gesellschaft existiert. Es geht um die Lage, in der sich die Bürger in unserem Land befinden. Eigentlich ist die Wirklichkeit in der Sache noch extremer, nur bediene ich mich extremer visueller Mittel. Die Wirklichkeit ist grausam bei uns und ich denke, man darf diese Darstellung der Grausamkeit … davor nicht zurückweichen, nicht abgeschreckt sein.
Denn das, was bei uns im Lande herrscht, ist nur eine Dekoration eines Wohlbefindens, eines erfolgreichen äußerlichen Lebens. Eigentlich ist alles viel grausamer, als was ich darstellen kann. Denn wenn es darauf ankommt, etwas zu verändern, dann müssen die Leute vorher vor Augen geführt bekommen, wie der Stand ist und was geändert werden muss.
Frenzel: Wie schaffen Sie das ganz konkret? Ich stelle mir diese Aktionen, die Sie gemacht haben, unglaublich schmerzhaft vor.

Manche Militärangehörige ertragen mehr Schmerzen

Pawlenski: Wenn Sie jetzt meinen, Eingriffe oder auch teilweise Zerstörungen von weichen Körperteilen, dann muss ich doch sagen, dass wir es hier auch mit einer gewissen Fiktion zu tun haben. Die Betrachtung als eine Art Kristallkörper, der so leicht zerstört werden kann, ist irreführend. Das wird uns von der Medizin, von äußerlicher Seite eingeredet.
Eigentlich ist es nicht so schlimm. Ich wage zu behaupten, dass zum Beispiel Militärangehörige, Sportler viel schlimmeren Verletzungen und Körperschäden ausgesetzt werden als das, was ich gemacht habe. Die Sache ist nur die: Wenn es um Körperverletzungen geht, die der Bestätigung, Erhöhung und auch dem Lob der Regierung und ihrem Tun dienen, dann werden sie gerne akzeptiert und sogar auch noch weiter propagiert. Ganz anders natürlich bei den Aktionen, die ich mache, die eigentlich der Entlarvung der Macht dienen.
Frenzel: Meine Frage ist: Haben Sie den Eindruck, dass es Ihnen gelingt, dass Sie mit diesen Aktionen wirklich zum Nachdenken anregen? Oder vielleicht nicht manchmal sogar im Gegenteil, dass die Menschen erschrocken auf das schauen, was sie tun, und das Gefühl haben, das ist verrückt, was da jemand macht?
Pawlenski: Zweifelslos gibt es natürlich sehr unterschiedliche Meinungen. Es kann aber auch nicht sein, weil ich nicht dem Populismus fröne. Aber hier geht es um eine prinzipielle Frage: Wie funktioniert Kunst? Kunst ist nicht Agitprop, Kunst ist nicht Werbung. Wenn die Agitation, wenn die Propaganda nicht sofort in der Sekunde wirkt, dann sind die gescheitert.
Frenzel: Wie groß ist Ihre Hoffnung, dass sich die russische Gesellschaft in diesem Sinne entwickelt, dass sie aus der Kunst, die sie jetzt als Provokation versteht, vielleicht andere Schlüsse zieht? Haben Sie Hoffnung, dass die russische Gesellschaft aus dieser Phase, in der sie jetzt steckt, herauskommt?
Pawlenski: Das, was ich tue, trägt schon dazu bei, dass Veränderungen eingefügt werden ins Gesamtbild. Vor allen Dingen über kulturelle Veränderungen, denn darum geht es mir.

Viele Künstler saßen für ihre Kunst im Knast

Frenzel: Braucht Ihre Kunst einen russischen Staat, wie er ist, einen repressiven, einen autoritären Staat? Könnte sie sonst gar nicht funktionieren?
Pawlenski: Wenn wir jetzt hier von der Kunst und vom Staat sprechen, so ist es die Geschichte eines Zusammenpralls des Künstlers oder der Kunst und der Macht. Ich glaube, dieses Bild kann man auch genauso feststellen in fast allen Ländern. Wenn wir blicken nach Europa im 19. Jahrhundert, Gustave Courbet, der hat jahrelang im Gefängnis für seine Kunst gesessen.
Werfen wir einen Blick auf die Impressionisten, die am Anfang ganz verbittert bekämpft wurden, heute ist der Impressionismus eine anerkannte Kunst, es versucht jeder, auch dekorativ Gebäude mit impressionistischen Elementen auszuschmücken. Werfen wir wieder einen Blick zurück zu Stalin, der zusammen mit Maxim Gorki den sozialistischen Realismus begründet hat, und das hat man benutzt, um die unbotmäßige Kunst zu zermalmen, zu zerstören.
Oder denken wir an die sogenannte entartete Kunst in Deutschland. Das heißt, auch da wurden genuine unbotmäßige Künstler vernichtet und das kann man auch in vielen anderen Ländern, diesen Blick fortsetzen.
Frenzel: Herr Pawlenski, haben Sie Angst, dass diese Macht, die Sie da beschrieben haben, dass diese Macht sie zermalmen könnte als Mensch?
Pawlenski: Alles ist möglich, vieles kann passieren. Natürlich kann man verfolgt werden, natürlich kann man auch festgenommen werden. Aber es gibt so viele Gelegenheiten, wo man auch im Leben zu einem schlechten Ende kommen kann … Man kann nicht immer daran denken. Ich bin schon festgenommen worden, ich saß im Gefängnis, ich kann nichts ausschließen.
Es kommt aber darauf an, man darf nicht zulassen, dass die Angst einen selber ergreift. Denn wenn man wirklich unter dem Schatten der Angst lebt, dann verwandelt man sich selber in einen Polizisten, der sich selbst kontrolliert. Und das darf nicht passieren.
Frenzel: Der russische Künstler Pjotr Pawlenski im Deutschlandradio Kultur, das Gespräch haben wir vor der Sendung aufgezeichnet. Und in dieser Woche erscheinen gleich drei Pawlenski-Bände, sein Manifest im Merve Verlag, Gespräche mit Pawlenski bei Matthes & Seitz und die Dokumentation von den Aktionen des russischen Künstlers, über die wir auch gerade gesprochen haben, bei ciconia ciconia.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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