Aktion in Hamburg

Unternehmer werben mit Plastik-Merkur

Die Sonne scheint am 03.04.2014 in Stuttgart (Baden-Württemberg) hinter einer Merkur-Statue. Winzige Sandkörner aus der Sahara sollen die Sonne in den kommenden Tagen milchig erscheinen lassen.
Eine Merkur-Statue in Stuttgart - die Hamburger Variante aus weißem Hartplastik ist zwei Meter hoch und soll von den Käufern individuell bemalt werden. © picture alliance / dpa / Sebastian Kahnert
Von Rainer Link · 02.01.2015
Zu ihrem 350. Gründungsjubiläum lässt die Hamburger Handelskammer 100 Plastik-Statuen des römischen Gottes Merkur anfertigen. Unternehmer und Privatleute sollen sie kaufen und in der Stadt aufstellen. Künstler belächeln die Aktion.
Merkur war der römische Gott des Handels, des Reichtums und des Gewinns. Er war auch zuständig für List und Tücke. Insoweit versteht man, warum die hanseatische Bourgeoisie sich gerade für die Ehrung dieses Schutzheiligen einsetzt. Deren Sprecher Michael Konow:
"Wir möchten den Merkur in den öffentlichen Raum rücken, da liegt es natürlich nahe, dass wir auf interessierte Unternehmen abzielen, aber, das kann ich Ihnen sagen, es gibt auch schon viele interessierte Privatpersonen, die einen Hamburger Merkur erwerben wollen."
Erstes Muster der Statue im Wassermuseum
Der Berliner Künstler Wolfgang Matzat hat den Roh-Merkur geschaffen. Nun werden 100 exakt identische Kunststoff-Nachbildungenin Serie gefertigt. Hamburger Unternehmen oder Privatleute sollen für 3.900 Euro zuschlagen und ihre Merkur-Kopie auf Straßen, Plätzen oder Firmenfoyers zur Schau stellen. Kunst im öffentlichen Raum. Ein erstes Muster des schneeweißen, unbekleideten Hartplastikgottes ist bereits im Hamburger Wassermuseum zu besichtigen:
"Und das ist der, den wir hier vor uns sehen, bzw. seinen blanken Hintern momentan vor uns sehen. Man erkennt ihn mit seinen Flügeln und er hält auch das Schiff in der Hand als Symbol für Hamburg als Hafenstadt."

Die Merkur-Statue wirkt auch auf den zweiten Blick wie eine überdimensionierte Playmobil-Figur. Der Corpus besticht durch die Oberflächenoptik weißen Kunststoffes. Die Schniedelwutz-Region wird durch ein angedeutetes Tuch verhüllt. Und Merkur reckt seine rechte Hand auffallend steil in den Himmel, was die Kabarettistin Lisa Politt, Chefin der Hamburger Kleinkunstbühne "Polittbüro" zu böswilligen Interpretationen verleitet.
"Die Statue ist eine dem Menschen zugewandte – nein, das ist kein Hitlergruß – das ist ein ausgestreckter Zeigefinger, der eindeutig in die Zukunft weist. In der Kultur gibt es ja immer noch die Berührungsängste, die Wirtschaft könnte die Kunst penetrieren. Aber wenn man den Blick etwas runter schweifen lässt, also dies die Lenden umspielende Tuch, da droht in Richtung Penetration keine Gefahr. "
Rohstatuen sollen individuell verziert werden
Merkur soll nicht nackt bleiben, der Ersteher darf ihn nach eigenem Gusto dekorieren.
Konow: "Und das ist auch genau die Absicht, weil jeder, der einen Merkur erwirbt, soll ihn auch ganz persönlich gestalten können, also das obliegt demjenigen, der den Hamburger Merkur erwirbt, also, da machen wir natürlich gar keine Vorgaben."
Wie kann man dieses Hartplastikelement mit Farbkompositionen und Motiven versehen, die dem hehren Zweck der Huldigung des Kaufmannsgeistes gerecht werden? Eine kleine Umfrage in Hamburgs Künstlerkolonie, dem Gängeviertel:
"Ich würd's wahrscheinlich mit Farbe übergießen bzw. mit Sprühdosen bearbeiten und dann die Farbe runter laufen lassen. Damit das ein bisschen ein peppigeres Aussehen kriegt."
"Ich würd da relativ radikal provokativ ran gehen. Entweder von oben bis unten mit Deutschlandfarben bemalen. Oder es mit Benzin überschütten und anzünden, ich denke, auch das ist eine gute Technik damit umzugehen."
"Also, dieser Hut, den er auf hat, der sieht so aus wie ein Stahlhelm. Das würde ich dann einfach unterstreichen."
"Lösen bei mir jetzt spontan Lachen aus soweit ich das auf dem Bild beurteilen kann, sind sie nicht gerade Ausgeburten der Schönheit."
Künstler: "Nichts anderes als Stadtmarketing"
Unter den Künstlern des Gängeviertels waren trotz intensiver Befragung positive oder wenigstens wohlwollende Stellungnahmen zum Merkur-Projekt nicht zu erhalten.
"Das ist nichts anderes als zu versuchen, wieder mal etwas mit Kunst zu kaschieren... Was eigentlich nichts damit zu tun hat. Hier geht es um Wirtschaft und das ist eine Art Branding für Hamburg, also nichts anderes als Stadtmarketing."
Einhundert bunte Plastik-Merkurfiguren aus Massenskulpturfertigung zwingen der Hamburger City das Image von Disney Land auf, lautet eine Befürchtung. Ist das überhaupt Kunst, wenn alle Skulpturen gleicher Bauart sind? Amelie Deufelhard, Intendantin des Kampnagel Theaters:
"Auf gar keinen Fall. Mit Kunst hat das wirklich nichts zu tun. Das ist eine Werbeaktion für Investoren. Es ist ja nicht nur eine Kopie der Statue, die darf ja auch noch mit Firmenfarben angemalt werden. Insoweit ist das eine räumliche Werbeaktion, die nicht zur Verschönerung Hamburgs beitragen wird. …. Ich hoffe, dass die Merkure nicht für immer bleiben, denn dann wäre es auch noch ne sehr günstige Werbeaktion."
Teil der Verkaufserlöse fließt in Karriereförderung junge Leute
In Hamburg gilt die alte Kaufmannsregel: Wer zahlt, bestimmt! Insoweit wird die Invasion der City durch die Götterstatuen siegreich enden. Auch wenn die Front der Lästerer größer wird.
"Also, ich würde mir das Ding, wenn ich das Geld hätte, hinstellen, es gibt ja auch die Möglichkeit das Ding in Gartenzwerggröße zu erwerben, und dann einfach in den Vorgarten, um einfach zu demonstrieren, ich bin eins mit der Wirtschaft – großartig."
In der Handelskammer ist man überzeugt, mit dem Merkur-Projekt eine herausragende Kunstaktion auf den Weg zu bringen, die die Herzen der Hanseaten erobern wird. Und jenseits der Frage: Ist die Kunstfigur gelungen oder nicht, verweisen die Kaufleute auf den gemeinnützigen Charakter des Projekts. Denn ein Teil der Verkaufserlöse der Merkur-Skulpturen wird fürderhin die Karriere junger Leute fördern.
"Die Spende, die wird an das Jugendprojekt „Futureentrepreneur“ gehen, das Jugendprojekt unterstützt Jugendliche aus sozial schwachen Milieus, und diese Jugendlichen sollen an das Unternehmertum herangeführt werden."
Auf dass sie mit Merkurs Hilfe – also mit List und Tücke – zu Vorzeige-Unternehmern reifen.
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