Aktienhandel ohne "moralische Dimension"

Georg von Wallwitz im Gespräch mit Joachim Scholl · 08.08.2011
Moral und Logik würden an der Börse klein geschrieben, sagt der Philosoph und Fondsmanager Georg von Wallwitz. "Jeder hofft, dass der andere Ruhe bewahrt, damit man selber noch verkaufen kann." Eine moralische Dimension sei in diesem Gewerbe nicht vorhanden.
Joachim Scholl: Folgendes steht in einem Buch: "Privatanleger haben an der Börse etwa dasselbe Ansehen wie Plankton im Ozean. Ohne den Plankton können die kleine Fische nicht leben und ohne die kleinen haben auch die großen nichts zu fressen. So gesehen hängt alles vom Plankton ab und der Privatanleger ist die vielleicht wichtigste Geldquelle für die Finanzmärkte! Dennoch bekommt der Plankton nicht den Respekt, den er verdient. Er wird einfach nur undankbar und gnadenlos, gedankenlos gefressen. Würden die großen Fische über den Plankton nachdenken, wären sie wahrscheinlich glücklich, dass es ihn gibt. Aber es denkt niemand über den Plankton nach!" – Zitat Ende. Geschrieben hat das einer, der es wissen muss. Der studierte Philosoph und Fondsmanager Georg von Wallwitz, guten Tag!

Georg von Wallwitz: Ja, guten Tag!

Scholl: So denkt ihr Burschen von der Börse also über uns, Plankton sind wir also! Schämen Sie sich nicht?

von Wallwitz: Es gibt da viel Grund zum Schämen, aber darüber hinaus ist es natürlich auch unklug, den Privatanleger wie Plankton anzusehen, weil wenn der Privatanleger irgendwann keine Lust mehr hat auf Börse, auf Geldanlagen, dann dreht sich damit sozusagen, oder geht dem System der Saft verloren. Und die schönen Verdienstmöglichkeiten, die es gewöhnlich gibt an der Börse für Profis, würden dann auch zum Erliegen kommen. Also, es ist nicht nur ein Grund zum Schämen, sondern es gibt auch gute, rationale Gründe, da etwas umzudenken, was die Behandlung von Privatanlegern angeht.

Scholl: Zurzeit, Herr von Wallwitz, geht ja wieder an uns Kleinanleger der Appell wie schon 2008: Vor allem Ruhe bewahren! Geld liegen lassen! Warum müssen wir eigentlich immer nur cool bleiben, während die Profis, die Märkte hypernervös werden?

von Wallwitz: Ja, das ist wahrscheinlich jetzt so wie seinerzeit auf der Titanic. Wenn die Musik zu spielen aufhört, dann ist es meistens dann schon zu spät, weil die Crew ist dann mit den Ruderbooten schon weggefahren. Und so ist es ein bisschen an den Börsen natürlich auch: Jeder hofft, dass der andere Ruhe bewahrt, damit man selber noch verkaufen kann. Das ist immer derselbe Effekt, weil wenn alle zur selben Zeit durch dieselbe Tür wollen, dann tut es natürlich richtig weh, und deswegen ist das immer so eine hoffnungsgetriebene Geschichte, dass die anderen Ruhe bewahren.

Scholl: Aber das klappt ja nie, Herr von Wallwitz. Ich meine, aber eigentlich müssten es doch alle kapiert haben dann mal?

von Wallwitz: Eigentlich müssten es alle kapiert haben, ist aber nicht so, weil die Hoffnung stirbt immer zuletzt. Und das ist natürlich einfach so, wenn der Markt wie jetzt eben einfach schon 20 Prozent runtergegangen ist, dann ist es natürlich irgendwann auch zu spät zum Verkauf. Und das ist immer so, das Verkaufen post factum, das stimmt schon, ist meistens unklug. Also, wenn Lehman dann schon pleite ist und der DAX irgendwie 3000 Punkte gefallen ist, dann ist es eben in der Tat irgendwann zu spät. Und man muss eben auch differenzieren wirklich zwischen der kurzen Frist, also ob es schlau ist zu verkaufen auf drei Wochen gesehen, das steht auf einem ganz anderen Blatt wie die Frage, ob es heute schlau ist zu kaufen auf drei Jahre gesehen.

Scholl: Und wann wäre es an der Zeit für uns, mal nicht ruhig zu bleiben? Gibt es da eine Faustregel?

von Wallwitz: Nicht ruhig bleiben, ist die Faustregel, sollte man, wenn alles schön und ruhig ist. Das ist wie in einem Horrorfilm. Also, jeder Horrorfilmzuschauer weiß, wenn alles ruhig ist, wenn ein ruhiger Wald, ein ruhiger See ist, ein ruhiges Haus, dann weiß man in einem Horrorfilm, gleich kommt um die Ecke irgendwas ganz Schreckliches. Horrorfilmzuschauer wissen das. Anleger an der Börse müssen das immer wieder aufs Neue lernen. Also, wenn jeder glaubt, alles ist gut, alles ist ruhig, dann ist es in der Tat an der Zeit, als Faustregel, zu verkaufen.

Scholl: Könnte man auch anders ausdrücken: Aufhören, wenn es am schönsten ist!

von Wallwitz: Genau. Aber das ist natürlich auch am schwersten.

Scholl: Nun hören wir als Begründung der derzeitigen Turbulenzen also jene Äußerung von EU-Kommissionspräsident Barroso über die Ausweitung des Rettungsschirms, dann das Herabstufen der USA von AAA durch die Ratingagentur Standard & Poor's. Wenn das so rationale Gründe wären für den Kursverfall, wie hoch ist dann der Anteil von Irrationalität? Wie viel Logik gibt es denn überhaupt im Markt?

von Wallwitz: Also, derzeit ist die Logik ganz, ganz klein geschrieben, in anderen Börsenphasen ist sie schon größer. Also, was jetzt mit der Herabstufung von Standard & Poor's geschehen ist, ist ... Also, es ist nicht so, dass da irgendwelche neuen Informationen in den Markt gekommen wären durch diese Herabstufung. Im Gegenteil, Standard & Poor's hat sich um 2000 Milliarden Dollar verrechnet, das ist schon eine ganze Größenordnung, wo man auch seinen Zweifel haben muss, was die Analysten da eigentlich so treiben ...

Scholl: ... also dieses Verrechnet, das ist über Profis überhaupt kein Thema, die haben sich verrechnet ...

von Wallwitz: ... doch, also ...

Scholl: ... das ist nicht nur die Regierung, die das sagt?

von Wallwitz: Nein, das hat auch Standard & Poors zugegeben in einer sehr kurz gehaltenen Meldung am Samstag, das stimmt, die haben sich um 2000 Milliarden Dollar verrechnet, was auch unter Freunden wirklich Geld ist. Und das ist zum Beispiel die gesamte Staatsschuld von Italien, ist das! Aber das Neue, die neue Qualität in den USA ist eben das, was man letzte Woche oder vorletzte Woche bei dem Haushaltsstreit gesehen hat, dass eben in der Republikanischen Partei – man kann das auch so auf eine Partei wirklich festmachen –, dass eben in der Republikanischen Partei Leute sitzen, die eher bereit sind, die Schulden nicht mehr zu bezahlen und also die USA pleitegehen zu lassen, als dass sie von ihrer Ideologie der Steuersenkung abweichen. Und die USA können ihre Schulden bedienen, das ist keine Frage, das ist ein unglaublich reiches Land, da gibt es viele Dinge, die nicht besteuert werden, die haben zum Beispiel nicht einmal eine Mehrwertsteuer, und die können, also von ihren Ressourcen her können sie ihre Ressourcen problemlos tragen, ist halt nur die Frage, ob sie es wollen. Und in der Republikanischen Partei scheint es einige zu geben, die das nicht wollen. Und da geht natürlich bei allen Investoren, gehen die Alarmglocken hoch. Wenn ich mein Geld jemandem geliehen habe und plötzlich sich herausstellt, der will nicht – und bei Staaten ist es ja noch dazu so, man kann sie auch nicht zwingen, man kann jetzt nicht die deutsche Flotte rüberschicken und das Geld heimholen ... Also, einen Staat kann ich nicht zwingen zum Zahlen, der muss es freiwillig machen. Und wenn die Amerikaner jetzt so drauf sind, dass sie freiwillig nicht zahlen wollen, dann ist das ein Problem. Und das ist das eigentlich Neue. Wirtschaftlich ist eigentlich nichts Neues passiert in den letzten Wochen.

Scholl: Die Börse im Auf und Ab, Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit dem Fondsmanager und Buchautor Georg von Wallwitz. An einer Stelle Ihres Buches schreiben Sie, den Märkten Moral beibringen zu wollen, sei so sinnlos, wie die Katze vom Mausen abzuhalten. Wenn wir das Wort von der Moral mal durch Verantwortung ersetzen: Denkt eigentlich kein Händler darüber nach, was jenseits seines Computerschirms passiert durch seine Entscheidung?

von Wallwitz: Nein, also das kann man sich abschminken. Diese moralische Dimension ist in diesem Gewerbe nicht vorhanden. Zur Ehrenrettung muss man sagen, dass das in vielen anderen Gewerben auch nicht besser ist.

Scholl: Aber jeden Abend, Herr von Wallwitz, ist doch auch immer Börsenschluss und dann sieht doch auch jeder Börsenhändler in den Nachrichten, wie es in der Welt so aussieht! – Ja, froh lacht der Börsianer da im Hintergrund!

von Wallwitz: Ja!

Scholl: Ich meine, wie reden Sie denn mit Ihren Kollegen über so eine Entwicklung wie gerade jetzt?

von Wallwitz: Das möchten Sie nicht hören. Da gibt es ab und zu so E-Mails, die abgefangen werden und veröffentlicht werden. Das ist unschön ...

Scholl: ... sagen Sie mal eine!

von Wallwitz: Ach, das war ... Hier, von J. P. Morgan ist irgendein Händler ... Also, die amerikanischen Banker und Händler haben im Jahr 2010, als das Land wirklich noch ganz, ganz schlecht dran war, haben die insgesamt 150 Milliarden Dollar verdient. Und da könnte man sich ja auch fragen, na ja, ist eine Menge Geld! Und da ist irgendwie bei J. P. Morgan jemand erwischt worden, wie er sich eben wieder besonders gefreut hat und so. Das wird dann natürlich auch gerne durch die Medien gezogen und jeder freut sich ja, wenn er viel Geld verdient, aber ... Man wird den Börsen wie auch vielen anderen Branchen nicht mit Moral beikommen, aber eben, wie ich in meinem Buch habe versucht auszuführen, mit eben so etwas wie Transparenz. Also, wenn man die Dinge alle transparent macht und wenn man wirklich sieht, wer wie viel woran verdient und was das für Instrumente sind, mit denen er gehandelt hat, wie, was die tatsächlich für Auswirkungen haben, was da von wem und zu wessen Gewinn verpackt wird und, und, und, dann kann man die Leute über so etwas wie Sitte hingreifen. Sitte in dem Sinne, dass es schon so einen Kodex untereinander gibt, dass man den Nächsten nicht zu sehr übers Ohr haut. Weil, wenn man das macht als Bank, wenn ich also, wie die IKB, also unsere gute deutsche Mittelstandsbank, wahnsinnig übers Ohr gehauen werde, dann sieht das einfach nicht gut aus vor den anderen und deswegen hat man das nicht gerne und man macht nicht gerne, handelt nicht gerne mit Banken, die einen übers Ohr hauen. Und das ist letztlich der Punkt, wo man diese Märkte oder die Finanzwelt kriegen kann, indem man eben ganz offen zeigt, wer was anstellt.

Scholl: Wenn ich Sie jetzt in einer Kneipe treffen würde, Herr von Wallwitz, nach Börsenschluss, und sagen würde, ach Mensch, hier habe ich mal einen Profi, ich hab hier 50.000 Euro übrig! Wie lege ich die denn an, Stichwort Plankton, um danach doch noch einigermaßen sicher schlafen zu können? Was würden Sie sagen, so beim Bier?

von Wallwitz: Beim Bier, dann kaufen Sie sich einen Pfandbrief.

Scholl: Sichere Sache!

von Wallwitz: Derzeit ist alles andere ... Also, da müsste man natürlich auch noch anderes wissen wie zum Beispiel, brauchen Sie es in sechs Monaten, brauchen Sie es in zwei Jahren und so weiter und so fort. Aber wenn man das alles nicht weiß, sind Sie mit einem Pfandbrief oder einer deutschen Staatsanleihe immer noch am besten aufgehoben. Es gibt natürlich Dinge, die höher verzinslicht sind, derzeit kriegen Sie ja ganz miese Zinsen drauf, aber ...

Scholl: ... mein Schlaf ist ruhig und fest ...

von Wallwitz: ... Ihr Schlaf ist ruhig, und der ist mir ja eine Menge wert, weil man begegnet sich ja immer zweimal in der Kneipe!

Scholl: Georg von Wallwitz, Philosoph und Fondsmanager, ich danke Ihnen für das Gespräch!

von Wallwitz: Bitte.

Scholl: Und das Buch von Georg von Wallwitz "Odysseus und die Wiesel. Eine fröhliche Einführung in die Finanzmärkte" ist im Berenberg-Verlag erschienen.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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