Ai Weiwei in Marseille

Hommage an den Vater

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Totenmaske von Ai Weiweis Vater Ai Tsching © Deutschlandradio / Kathrin Hondl
Von Kathrin Hondl · 20.06.2018
Ai Weiwei tritt in Dialog mit den Ausstellungsstücken des "Museums der Zivilisationen Europas und des Mittelmeers". Und das an einem besonderen Ort: 1929 landete sein Vater auf dem Weg in den Westen genau hier, am Hafen von Marseille.
Die Mittelmeerwellen schwappen an die Felsen vor dem "Mucem", dem "Museum der Zivilisationen Europas und des Mittelmeers". Nur ein paar Meter weiter liegen im Hafen die Fährschiffe, bereit zum Ablegen Richtung Korsika und Nordafrika. Und hier legte auch der Überseedampfer an, mit dem Ai Weiweis Vater Ai Tsching 1929 von China nach Europa reiste.

Ai Weiweis Vater traf die französische Avantgarde

Mit einem Modell dieses Schiffs beginnt die Ausstellung. An der Wand dahinter ist die französische Übersetzung eines Marseille-Gedichts von Ai Tsching zu lesen. Der chinesische Dichter hatte in Frankreich den Kontakt zu den künstlerischen Avantgarden gesucht und gefunden. Und die Geschichte dieses Dichtervaters, davon ist die Kuratorin Judith Benhamou überzeugt, war prägend für Ai Weiwei.
"Während der Kulturrevolution wurde sein Vater von Mao und Chinas Machthabern extrem schlecht behandelt. Fünf Jahre lang wurde er, einer der größten chinesischen Intellektuellen, gezwungen, Latrinen zu putzen. Für das Kind Ai Weiwei war das traumatisierend. Und dieses Trauma entwickelte sich zu Zorn. Zorn über die Ungerechtigkeit. So wurde Ai Weiwei schließlich zu einem, der fähig war, sich allein gegen den chinesischen Staat aufzulehnen", sagt die Kuratorin.
Eine Totenmaske des Vaters, von Ai Weiwei gemacht und feierlich in einer Vitrine präsentiert, vollendet in der Ausstellung die Hommage an Ai Tsching. Aber auch der künstlerische "Vater" Ai Weiweis, der ready made-Erfinder Marcel Duchamp kommt zu seinem Recht: Ein aus einem Kleiderbügel gebogenes Profil-Portrait Duchamps ist zu sehen, entstanden 1985 in New York, eines der ersten Werke von Ai Weiwei, der sich in den 80ern seinerseits aus China zu den künstlerischen Avantgarden des Westens aufgemacht hatte.

Duchamps Flaschentrockner als riesige Kopie

Und eigens für die Ausstellung in Marseille schuf Ai Weiwei einen gigantischen Kronleuchter – bestehend aus unzähligen Kronleuchtern der 20er Jahre, die er auf einer riesigen Kopie von Duchamps legendärem Flaschentrockner drapiert hat. Die Kronleuchter sollen, so die Kuratorin, sowohl auf die Begeisterung im heutigen kapitalistischen China für Kitsch und Prunk verweisen, als auch auf die Zeit der Europareise von Ai Weiweis Vater.
"Ai Weiwei ist ein Künstler der Kontraste. Er ist immer irgendwo dazwischen. Er ist Chinese und lebt in Deutschland. Er bezieht sich auf Duchamp und gleichzeitig auf seine chinesische Kultur. Und diese Ausstellung treibt das Wechselspiel auf die Spitze. Denn sie zeigt Werke Ai Weiweis im Dialog mit Objekten aus der Sammlung des Mucem, die von den chinesisch-französischen Beziehungen erzählen. Ai Weiwei sagt, seine Arbeit sei die Fortsetzung der Museumsobjekte", so Kuratorin Benhamou.

Frühe Propaganda trifft auf aktuelle Polit-Kunst

Besonders interessierten Ai Weiwei kleine Reklamekärtchen vom Anfang des 20. Jahrhunderts: Bunte Bildchen, auf denen französische Soldaten zu sehen sind, die traditionell gekleideten Chinesen an ihren Zöpfen ziehen. Dokumente des Alltagsrassismus und der politischen Propaganda von einst, die im Mucem jetzt zusammen mit Ai Weiweis bekannten politischen Werken von heute zu sehen sind.
Ein Video zum Beispiel, zusammengeschnitten aus Rohmaterial von Ai Weiweis Flüchtlingsfilm "Human Flow", zeigt den ziemlich brutalen Einsatz französischer Polizisten bei der Räumung des sogenannten "Dschungels" von Calais. Gegenüber in einer Vitrine präsentiert Ai Weiwei wie Reliquien weiß bemalte Tränengasflaschen der Polizei aus Calais.
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© Deutschlandradio / Kathrin Hondl
Insgesamt 50 Werke Ai Weiweis von den 80er Jahren bis heute zeigt die Ausstellung zusammen mit 50 Objekten aus dem Mucem. Auch der Titel der Schau verweist auf die Geschichte der Beziehungen zwischen Europa und China: "Fan-Tan" – das war der Name eines Panzers, den ein chinesischer Geschäftsmann einst Großbritannien schenkte und der im 1. Weltkrieg in Frankreich zum Einsatz kam.

Gewagtes Dialog-Konzept

Das Dialog-Konzept der Ausstellung ist originell und gewagt: Da ist zum Beispiel ein chinesisch inspirierter Porzellanteller aus dem Frankreich des 19. Jahrhunderts neben einem Teller zu sehen, den Ai Weiwei 2017 – ebenfalls von der chinesischen Tradition inspiriert - schuf: Bei ihm allerdings schmücken keine blauen Ornamente das Porzellan, sondern Migranten im Kampf mit Ordnungshütern.
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Plakativ und politisch wie gewohnt präsentiert sich Ai Weiweis Kunst also in Marseille. Aber der Ausstellung gelingt es eben auch, zu zeigen, was diese künstlerische Formensprache prägte. Und sie versucht, mit der Hommage an den Vater eine intime, private Seite zu präsentieren von Ai Weiwei, der zwar permanent in den sozialen Netzwerken aktiv ist, aber wenig von sich preisgibt.
Der chinesische Lieblingsdissident des Westens, er wird in Marseille heruntergeholt von seinem aktuellen politischen Denkmal-Sockel, auf dem der Künstler Ai Weiwei zu erstarren oder gar zu verschwinden drohte.
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