Afrikanische Widersprüche

09.08.2012
In Ghanas Haupstadt Accra macht ein Ritualmörder Jagd auf Straßenkinder. Inspector Darko Dawson ermittelt und stößt in die dunkle Seite des afrikanischen Alltags vor. Davon erzählt der in den USA lebende Schriftsteller und Arzt Kwei Quartey in seinem Roman "Accra".
Ungefähr 60.000 Kinder leben in Accra, der Hauptstadt des westafrikanischen Ghana, auf der Straße. Viele davon sind aus dem Norden des Landes zugewandert und möchten im relativen Wohlstand von Accra ihr Überleben und Fortkommen sichern, weil die Stadt boomt. Dort bildet sich gerade eine Mittelschicht, jenseits der alten Eliten; die Infrastruktur, die öffentlichen Dienste und die Telekommunikation sind gut ausgebaut.

Afrikanische Widersprüche: Denn trotz aller Probleme der Slums, der Armut, der Straßengewalt und der Bandenkriminalität, die auch Accra noch hat, sind ermordete und anscheinend nach einem bestimmten Muster verstümmelte Leichen von Straßenkindern, die an möglichst unappetitlichen Stellen – Müllkippen, Latrinen etc. – abgelegt werden, nicht einfach krimineller afrikanischer Alltag.

Ein Reihe solcher Morde, die einen Serientäter am Werk vermuten lässt, baut der in USA lebende Arzt und Schriftsteller Kwei Quartey als "Fall" für seinen Helden, den Detective Inspector Darko Dawson vom Criminal Investigation Department von Accra, auf.

Serienkiller stehen in der westlichen Kriminalliteratur meistens für schrille, auf Effekt getrimmte Unterhaltungsliteratur. Planvoll verstümmelte Leichen stehen in der afrikanischen Kriminalliteratur meistens für Ritualmord und Voodoo und andere, für ein westliches Publikum gruslig-exotische Phänomene. Kwei Quartey führt diese beiden Strömungen zusammen, aber das Resultat ist nicht etwa der optimal auf den Markt getrimmte Superthriller.

Quartey nutzt das kommunikative Potential beider Narrative aus, um ein sorgfältig inszeniertes, behutsam geschildertes Panorama des Lebens in einer im Grunde wenig spektakulären afrikanischen Metropole zu erzählen. Tatsächlich macht sich Quartey sogar lustig über den Topos des magisch inspirierten Ritualmordes, indem er einen reichen Professor auftreten lässt, der als wissenschaftlicher Exeget solcher Phänomene ein im Ausland gerne gesehener Spezialist ist, im Inland allerdings eher zynisch seinen Forschungsinteressen und damit der Optimierung seines Wohlstandes nachgeht.

Weil Quartey weitgehend auf sensationsheischende Effekte verzichtet, wird der brutale Alltagsstress der Straßenkinder und der jungen Prostituierten, die vor allem mit dem Überleben beschäftigt sind, besonders deutlich. Und auch für Familien, die es geschafft haben, nach "mittelständischen" Normen zu leben, wie die von Inspector Dawson, ist damit noch lange keine Sicherheit hergestellt, weil etwa einfach kein Geld für eine notwendige Herzoperation seines Sohnes da ist.

Aber auch wenn "Accra" gewollt bodenständig erzählt ist, ist die Kriminalgeschichte fein geplottet und spannend aufgezogen. Dawsons Arbeit wird durch den auch in Ghana ganz normalen bürokratischen Alltag gebremst, die Presse sitzt ihm im Nacken, er selbst neigt zu Gewaltausbrüchen und kämpft mit seiner Neigung zu "Wee", also Marihuana. So verbindet "Accra" alle Tugenden eines spannenden Kriminalromans mit denen eines genauen Stadtporträts, ohne daraus groß ein Thema zu machen.

Besprochen von Thomas Wörtche

Kwei Quartey: Accra
Roman
Aus dem Englischen von Sabine Schilasky
Lübbe Paperback, Köln 2012
333 Seiten, 16,99 Euro