Afrika

Heiliger Krieg im Ferienparadies

Zwei Leute tragen einen Verwundeten aus der Westgate-Shopping Mall in Kenia, Nairobi, am 21 September 2013.
Der Anschlag auf ein Einkaufszentrum in Nairobi im September 2013 hat das Land erschüttert. © picture alliance / dpa / Daniel Irungu
Von Antje Diekhans · 27.02.2014
An Kenias Stränden patrouillieren Sicherheitskräfte, um Anschläge zu verhindern. Seit Al Shabaab im vergangenen Jahr ein Einkaufszentrum in Nairobi angriff, fürchten viele, dass die kenianische Küste das nächste Ziel sein könnte. Denn die radikalislamistische Miliz aus Somalia rekrutiert schon jetzt Jugendliche in den Ferienorten.
Freitagnachmittag in Mombasa, der kenianischen Hafenstadt. Die Muezzine rufen zum Gebet. Ich will zur Sakina Moschee, die in den vergangenen Wochen Schauplatz hitziger Auseinandersetzungen zwischen jungen radikalen Muslimen und gemäßigten Predigern war. Die Polizei schritt mehrfach ein. Es gab Tote. Auch heute scheint die Stimmung aufgeladen. Der Stadtführer weigert sich, mit mir in den Stadtteil zu gehen.
"Das ist nicht möglich. Hier hat die ganze Bewegung in Mombasa ihren Ausgangspunkt. Sie könnten denken, dass du zum FBI oder zur CIA gehörst und Aufnahmen machen willst."
Auch von Taxi-Fahrern hole ich mir Körbe ein. Schließlich erklärt sich ein Tuktuk-Fahrer bereit, mich mitzunehmen. Mit dem dreirädrigen Motorrad geht es in Richtung Moschee.
"Versteck das Mikrophon" warnt er mich. Es ist die Zeit zwischen dem Nachmittags- und dem Abendgebet. Rund um die Moschee stehen junge Männer vor offenen Verkaufsständen. Fernseher sind aufgebaut. Über die Bildschirme flimmern Reden radikaler Prediger.
Ich lasse mir erzählen, dass unter den Ladentischen DVDs verkauft werden, die den Bau von Sprengstoffgürteln zeigen. Der Touristenort Mombasa ist zu einer Keimzelle des Terrors geworden. Die radikal-islamische Al-Shabaab-Miliz aus dem Nachbarland Somalia hat bis hierher ihr Rekrutierungsgebiet ausgedehnt. Junge Männer verschwinden von einem Tag auf den anderen. Irgendwann bekommen ihre Mütter einen Anruf, dass sie im "Heiligen Krieg" gefallen sind. Auch bis in die anderen Urlaubsorte an der Küste haben die Islamisten längst ihre Fühler ausgestreckt.
Diani ist eins der beliebtesten Ferienziele etwas südlich von Mombasa. Der Strand ist 25 Kilometer lang. Es gibt Hotels für den kleineren und den größeren Geldbeutel. Vor allem auch viele Bars. Eine von ihnen war Anfang des Jahres Ziel eines Anschlags. Die Granate schlug in der Nähe eines Billardtisches ein. Zehn Menschen wurden verletzt.
Etwas entfernt von den Touristenplätzen wohnt Sauma Mwachambuli in einem Dorf. Im Vorgarten wächst Gemüse, ein paar Hühner picken in der Erde herum. Sauma bittet in ihre Hütte.
Die Einrichtung ist schlicht. Für Gäste gibt es ein plüschiges Sofa. Die 48-Jährige lebt hier mit zwei Kindern. Einen weiteren Sohn hat sie verloren. Er hieß Suleiman und war 22 Jahre alt, als er starb.
"Er war ein gutes Kind. Ich musste mir um ihn nie Sorgen machen. Er hat mich unterstützt. Ich konnte ihn zum Einkaufen schicken und er hat immer den besten frischen Fisch mitgebracht. Er hatte überhaupt keine schlechten Angewohnheiten."
Als ihr Sohn immer häufiger zur Moschee ging, hielt die Mutter das erst sogar für ein gutes Zeichen. Aber dann merkte sie, dass etwas nicht stimmt.
"Er war kaum noch Zuhause. Ich glaube, er hatte Freunde, die ihn beeinflusst haben. Wenn Jungen erwachsen werden, ist es für die Eltern oft sehr schwer, von ihrem Leben noch etwas mitzubekommen."
Vermutlich war Suleiman da schon in die Fänge der Islamisten geraten. In den Moscheen an der Küste predigen sie vom Kampf gegen die Ungläubigen. Sie bieten den jungen Männern Geld, wenn sie nach Somalia gehen, um dort gegen die Regierung und Truppen der Afrikanischen Union zu kämpfen.
In den kenianischen Küstenorten gibt es zu wenig Jobs. Fischfang bringt nicht viel ein. Arbeit in den Hotels zu finden ist schwierig. Da ist es sehr verlockend, wenn jemand 200 Euro im Monat verspricht. Die jungen Männer träumen davon, ihrer Familie Geld zu schicken und ihre Eltern stolz zu machen. Ähnliches muss auch Suleiman im Kopf herum gegangen sein, als seine Mutter ihn zum letzten Mal sah.
"Er hat sich nicht richtig von mir verabschiedet. Er war von der Moschee zurückgekommen und stand dann hier vorm Haus. Seine Andeutungen habe ich nicht verstanden. Er fragte, ob ich es nicht auch toll finden würde, wenn er uns alle aus der Armut herausholen könnte."
Für Allah gestorben
Danach war er verschwunden. Seine Mutter suchte verzweifelt nach ihm. Rief entfernte Verwandte in Tansania an. Befragte seine Freunde. Doch von Suleiman gab es keine Spur. Bis zu einem Anruf ein paar Monate später.
"Ein Mann war ein Telefon und sagte, dass mein Sohn Imran getötet worden sei. Ich wusste nicht, was ich glauben sollte, denn schließlich war das nicht sein Name. Dann rief der Mann wieder an und erklärte, dass Imran sein neuer Name in Somalia gewesen sei. Ich solle nicht um ihn trauern, denn er sei für Allah gestorben. Als ich die Nummer zurückrufen wollte, ging der Anruf nicht durch."
Viele der tiefen Furchen in Saumas Gesicht werden sich wohl in den folgenden Tagen eingegraben haben. Was genau mit Suleiman passierte, wird sie vermutlich nie erfahren. Einige der jungen Männer werden als Selbstmordattentäter losgeschickt. Andere fallen im Kampf gegen die Afrikanische Union Truppen, die in Somalia gegen die Islamisten kämpfen. Anrufe wie Sauma haben schon viele Mütter an der Küste bekommen.
Der bekannteste radikale Prediger in Mombasa und Umgebung war Aboud Rogo. Von den USA wurde er als Terrorist eingestuft. Er soll in die ersten größeren Al-Kaida-Angriffe verwickelt gewesen sein, als 1998 Sprengsätze an den US-Botschaften in Kenia und Tansania hoch gingen und mehr als 200 Menschen töteten.
Aboud Rogo ist auf den DVDs zu sehen, die Jugendliche an der Sakina Moschee schauen. Er hetzt gegen Andersgläubige.
"Meine islamischen Brüder, es ist eine Tatsache, dass Christen euch nicht mögen. Sie mögen auch unseren Propheten Mohamed nicht. Sie zeichnen ihn als Schwein. Wollt ihr das etwa? Das einzige Heilmittel gegen einen Christen ist ein Gewehr."
Wegen seiner Verbindungen zur somalischen Al Shabaab setzten ihn die Vereinten Nationen auf eine Sanktionsliste. Die Konten des Predigers wurden eingefroren. Das hielt ihn nicht davon ab, weiter zur Unterstützung von Al Shabaab aufzurufen.
"Lasst euch nicht beirren. Der Krieg in Somalia richtet sich gegen uns alle. Denn es ist ein Krieg gegen den Islam."
Im August 2012 wurde Aboud Rogo getötet. Unbekannte schossen fast 20 Mal auf ihn. Seine Anhänger vermuten, dass die kenianische Anti-Terror-Polizei den Prediger ausschalten wollte. Sie stehen mit dieser Ansicht nicht allein da.
"Die Täter gehören in diesen Fällen meist der Polizei an. Vor allem der Anti-Terror-Einheit. Die Polizisten töten und gehen straffrei aus."
Die Terror-Polizei foltert und mordet
Francis Auma arbeitet für die Menschenrechtsorganisation "Muslims for Human Rights" in Kenia. Selbst ist er Christ. Zusammen mit anderen Fachleuten hat er eine Abhandlung über die Anti-Terror-Polizei veröffentlicht. Ergebnis: Die vor allem von den USA und Großbritannien unterstützte Einheit foltere und morde.
"Wir haben dafür Zeugen. Wir haben mit Familienangehörigen von Opfern gesprochen und auch mit Menschen, die selbst von der Anti-Terror-Polizei verhört wurden. Viele berichten von Folter. Es gibt Fälle, in denen Menschen einfach verschwinden. Das alles ist gar nicht gut für dieses Land."
Im vergangenen Jahr wurde das Einkaufszentrum "Westgate" in Nairobi angegriffen. Terroristen, die zur Al-Shabaab gehören sollen, töteten etwa 70 Menschen. Seitdem greife die Anti-Terror-Polizei noch härter durch, meint Francis Auma.
"Der Krieg gegen den Terror wird sehr schwer sein, wenn die Verantwortlichen in Kenia an ihrer Strategie festhalten. Viele Terror-Verdächtige sind getötet worden. Selbst wenn jemand ein Terrorist ist, darf er nicht gleich umgebracht werden."
Die Stimmung heize sich dadurch weiter auf. Gerade viele Jugendliche würden radikalisiert, wenn sie sehen, dass muslimische Freunde von der Polizei festgenommen werden.
"Die Jugendlichen sind es leid. Sie sehen, dass die Polizei tötet und damit durchkommt. Dann sagen sie: Wenn ihr uns Muslime sowieso für Terroristen haltet, können wir uns wirklich radikalen Gruppen anschließen und selbst töten."
Nach dem Tod Aboud Rogos schließen sich junge Männer mit diesen Gefühlen vor allem einem muslimischen Geistlichen an: Sheikh Abubakar Sharif Ahmed, genannt Makaburi - das bedeutet auf Kisuaheli "Friedhof". Er war ein enger Vertrauter von Aboud Rogo. Genau wie sein Freund steht er auf der Sanktionsliste der Vereinten Nationen, weil er Jugendliche dazu aufgerufen haben soll, für Al Kaida zu kämpfen und US-Bürger zu töten.
Makaburis Büro liegt im Untergeschoss eines fünfstöckigen Wohnhauses. Der Zugang ist mit einem hohen Tor aus Metall gesichert. Hier lässt er mich erst mal warten. Die Überwachungskameras bemerke ich nicht. Erst beim Interview sehe ich, dass Makaburi vor Bildschirmen sitzt und jeden Besucher ausführlich begutachtet, bevor er ihn hereinlässt. Der Jugendführer ist misstrauisch. Außer Aboud Rogo sind auch andere aus seinem direkten Umfeld getötet worden.
"Warum bin ich noch am Leben? Weil sie Krawalle fürchten. Ansonsten wäre ich schon lange tot."
Das Büro, von dem aus er die Fäden in der Hand hält, ist ein schmaler Schlauch. Makaburi thront am Ende auf einem Drehstuhl. Er wirkt Respekt einflößend, obwohl er ein löchriges weißes T-Shirt mit einigen Flecken trägt. Sein Bart ist hennarot gefärbt. An der Wand hängt ein Banner mit einem Schwert und arabischen Buchstaben, das auch als "schwarze Flagge des Dschihad" bekannt ist.
"Sie wird als Terroristen-Flagge bezeichnet. Wenn das so ist, bin ich wohl auch ein Terrorist. Das werde ich vor jedem Gericht bekennen."
Angeklagt ist er unter anderem wegen Al-Shabaab-Mitgliedschaft und Aufhetzung. Für Makaburi ein weiteres Zeichen, dass Muslime verfolgt werden.
"Wir sind die Zielscheibe. Immer wieder hören wir davon, dass Drohnen unschuldige Menschen auf Hochzeiten töten. Warum wird US-Präsident Obama dafür nicht verfolgt? Warum gilt nichts, was Muslimen angetan wird, als brutal?"
Seine Schlussfolgerung: Muslime müssen zurückschlagen. Genau das predigt er den vielen jungen Männern, die ihn als ihr Vorbild sehen.
"Was soll ich sonst machen? Soll ich ihnen sagen, dass sie unbewaffnet bleiben sollen, während die kenianische Regierung sie tötet? Junge Muslime in Mombasa müssen kämpfen, weil ihr Leben bedroht ist. Wir müssen den Dschihad in Kenia ausrufen, denn wir werden unterdrückt und sogar umgebracht."
Die Touristen bleiben aus
Die Anschläge in Kenia und die Ausschreitungen gerade in Mombasa haben dem Ruf des Landes als Ferienparadies zugesetzt. Die Regierung zeigt sich nach außen noch zuversichtlich, doch viele Hotelbesitzer an der Küste klagen, dass die Hälfte ihrer Betten auch zur Hauptsaison unbelegt bleibt. Genau das ist Makaburis Ziel.
"Mit Gewalt können wir erreichen, dass die Touristen weg bleiben. So verliert die Regierung Einnahmen. Auch andere Geschäftsbereiche können wir so treffen. Ausländische Investoren meiden Kenia, wenn das Land als unsicher gilt."
Bisher waren die vielen Moscheen in Mombasa und die islamische Kultur ein Grund, warum Kenias zweitgrößte Stadt bei Urlaubern so beliebt war. Jetzt bleiben die Gäste weg, weil sie Anschläge fürchten.
In einem Hinterhof treffe ich zwei junge Anhänger von Makaburi, beide schätzungsweise Anfang zwanzig. Sie sind noch misstrauischer als ihr großes Vorbild. Keine Namen, keine Fotos. Einer von ihnen war früher Medizinstudent, erzählt er. Doch das habe er aufgegeben, weil sein Glauben ihm wichtiger ist.
"Mein erstes Ziel ist, dass ich als Muslim leben will. Es ist ein anderer Weg, Medizin zu praktizieren. Denn Religion ist ein Weg, Krankheiten des Herzens zu heilen."
Er wirkt überlegt, wenn er redet - anders als sein Freund, der nicht lange damit zurückhält, dass er sich der radikalen Al-Shabaab-Miliz nahe fühlt.
"Al Shabaab sind Muslime. Unsere muslimischen Brüder. Sie kämpfen für unsere Rechte, genauso wie Al Kaida. Wenn ich die Chance bekommen, selbst im Dschihad zu kämpfen, werde ich gehen."
"Ich bin bereit für meine Religion zu sterben. Wenn ich von der Anti-Terror-Polizei getötet werde oder im Kampf falle, wird mir das den Weg ins Paradies sichern."
Vielleicht wird er schon bald nach Somalia gehen. Den ruhigeren Medizinstudenten entdecke ich kurze Zeit später auf einem Foto in der kenianischen Tageszeitung. Er ist mit anderen festgenommen worden, weil sie Anschläge geplant haben sollen. Die anschließenden Krawalle in Mombasa sind blutig - bestimmt nicht zum letzten Mal.