Adrian Tchaikovsky: "Die Kinder der Zeit"

Schlaue Spinnen, blöde Primaten

Buchcover "Die Kinder der Zeit" von Adrian Tchaikovsky
Buchcover "Die Kinder der Zeit" von Adrian Tchaikovsky © dpa / Heyne Verlag
Von Marten Hahn · 09.05.2018
Weil die Menschheit mal wieder alles verbockt hat, soll auf einem fernen Planeten eine neue Zivilisation entstehen. Mit einem künstlichen Virus soll dort die Evolution von Primaten beschleunigt werden. Doch das Virus nimmt lieber eine Spinne als Wirt.
Ja, wir haben es mal wieder verbockt. Wieder einmal ist die Erde und damit die Menschheit dem Untergang geweiht. Wieder einmal haben wir uns gegenseitig bekämpft und alles vergiftet. Und wieder einmal steigen wir in Raumschiffe, um irgendwo da draußen auf einem durchs All rotierenden Gesteinsbrocken noch ein Fitzelchen Lebensraum zu finden.
Aber was Adrian Tchaikovsky aus dieser Prämisse in "Die Kinder der Zeit" macht, ist keine schnöde Weltraumodyssee, sondern liest sich so, als hätte der legendäre britische Naturforscher und Tierfilmer David Attenborough in einen halluzinogenen Pilz gebissen und anschließend einen Science-Fiction-Roman geschrieben – über intelligente Spinnen, brutale Ameisen und die Versuchung des Menschen, Gott zu spielen.

Schiefgelaufenes Terraforming-Experiment

Der Jurist Tchaikovsky, der neben Psychologie auch Zoologie studiert hat, erzählt die atemberaubende Geschichte eines schiefgelaufenen Terraforming-Experiments: Eine zur Hybris neigende Forscherin will – während die Menschen sich auf der Erde gegenseitig zerfleischen - auf einem begrünten Planeten bei Null anfangen. Gemeinsam mit einigen Tausend Affen soll ein Virus auf dem Planeten abgeworfen werden, das die Primaten die verschiedenen Evolutionsstufen im Schnelldurchgang absolvieren lässt.
"Denn wir sind Götter, und wir sind einsam, also werden wir zu Schöpfern."
Das Problem ist, dass das Virus sich einen anderen Wirt sucht: Portia labiata – eine Springspinne. Im Wechsel erzählt der Autor vom Aufstieg und Zerfall zweier Zivilisationen: den Sechsbeinern und den Zweibeinern.
Tchaikovsky berührt dabei Themen wie Religion, künstliche Intelligenz und den Umgang mit dem Fremden. Dass der Brite dafür den prestigeträchtigen Arthur C.Clarke-Award bekommen hat, verwundert nicht.
Elegant beschreibt er auf kurzer Strecke jahrhundertelange Prozesse. Die Menschen im Raumschiff Gilgamesch, einer ausgesandten "Arche", schlafen zum Beispiel immer mal wieder 100 Jahre in sogenannten Suspensions-Kammern. "Zeit war ein Gewicht, von dem er befreit, losgeschnitten schien", fasst Holsten Mason, der Chef-Historiker der Mannschaft, die Erfahrung knapp zusammen.

Die Spinnen sind sympathischer als Menschen

Und: Tchaikovsky, der als Autor von Fantasy-Romanen bekannt geworden ist, hat für sein Science-Fiction-Debüt intensiv recherchiert. Man lernt beim Lesen viel, unter anderem über Spinnen. Die Portia labiata kann das 50-fache ihrer Körperlänge überspringen, sieht extrem gut und kann dreidimensional denken und Pläne schmieden.
Tchaikovsky nimmt diese Fakten als Ausgangsmaterial für eine literarisches Versuchsanordnung: Was wäre, wenn Portia außerdem ein Bewusstsein hätte und die Fähigkeit, sich weiterzuentwickeln?
Die Detailgenauigkeit des Roman führt dazu, dass einem die Spinnen am Ende sympathischer sind als die Menschen. Setzt man sich nach der Lektüre von "Die Kinder der Zeit" in den Garten, sieht man all das Krabbeln deswegen mit anderen Augen. Lesen heilt, auch Arachnophobie.

Adrian Tchaikovsky: "Die Kinder der Zeit"
Aus dem Englischen von Birgit Herden
Heyne Verlag, München 2018
672 Seiten. 15,99 Euro

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