Adrian Owen: "Zwischenwelten"

Was empfindet ein Mensch im Wachkoma?

Buchcover: "Zwischenwelten" von Adrian Owen
"Zwischenwelten" beschäftigt sich auch mit der Frage: Was tun, wenn Wachkoma-Patienten den Wunsch signalisieren zu sterben, die Angehörigen davon aber nichts wissen wollen? © Droemer / Knaur / imago/Westend61
Von Susanne Billig · 08.12.2017
Dass Menschen im Wachkoma bei vollem Bewusstsein sein können, hat der Neuropsychologe Adrian Owen bewiesen. Nun zeigt er in seinem Buch "Zwischenwelten", dass er sich tief auf die innere Welt und die Nöte dieser Menschen eingelassen hat und seine Arbeit kritisch hinterfragt.
Ein Schlag auf den Kopf bei einem Überfall, eine Schädelverletzung durch eine Verkehrskollision, eine Gehirnblutung infolge eines Schlaganfalls. Nach einer traumatischen Hirnschädigung gleiten viele Menschen in ein Wachkoma – nicht ansprechbar, aber die Augen weit offen. In seinem neuen Buch "Zwischenwelten" erzählt der Neuropsychologe Adrian Owen von seiner spannenden Pionierforschung auf diesem Gebiet. Er war es, der zeigen konnte, dass auch reaktionslose Patienten bei vollem Bewusstsein sein können. Dazu forderte er sie beispielsweise auf, im Geist Tennis zu spielen oder durch die Zimmer einer Wohnung zu gehen. Je nach Aufgabenstellung zeigten sich im Hirnscan spezifische Reaktionsmuster, die sich als "Ja" oder "Nein" auswerten ließen: So wurde die Kommunikation mit Menschen, die in ihrem bewegungslosen Körper eingeschlossen waren, wieder möglich.

Brilliant erzählt

"Zwischenwelten" ist nicht nur wissenschaftlich interessant, sondern auch erzählerisch brillant geschrieben, wozu der in der Danksagung erwähnte Kenneth Wapner, ein bekannter amerikanischer Manuskriptberater, gewiss seinen Beitrag geleistet hat. Elegant schildert Adrian Owen, was es bedeutet, solche Forschung zu betreiben – Hoffnungen, Rückschläge, Durststrecken, beglückende Durchbrüche. Für große emotionale Momente sorgen persönliche Erfahrungen, denn Owen hat selbst erlebt – in der Familie und in einer Liebesgeschichte, die das gesamte Buch durchzieht – wie geliebte Menschen in jene Grauzonen des Bewusstseins abdrifteten, die er beruflich erforscht.
Sein Buch hat auch eine beklemmende ethische Dimension. Immer wieder beschreibt der Neuropsychologe die Gewissensnöte, die ihn und sein Team quälen. Denn nach den Untersuchungen im Hirnscanner überlassen sie ihre Probanden wieder ihrem Schicksal – in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen, die meist nicht darauf eingestellt sind, Menschen adäquat zu betreuen, die bei völliger Bewegungsunfähigkeit gleichzeitig auch völlig bei Bewusstsein sind. Zwar verfolgen seine Mitarbeiter und er den Werdegang mancher Patienten noch eine Zeitlang nach, doch mehr als kurze Anrufe oder vereinzelte Besuche sind das nicht – und oft haben die Forscher von Menschen, in denen sie gerade eben Spuren von Bewusstsein aufspüren konnten, auch nie wieder etwas gehört. Dazu kommen ethisch schwierige Fragen: Was soll man tun, wenn ein Mensch Sterbewünsche erkennen lässt, die Angehörigen aber davon nichts wissen wollen?

Respekt und Zuwendung helfen Krisen zu meistern

Es ehrt Adrian Owen, dass er mehrere Kapitel seines Buches der ausführlichen und anspruchsvollen Diskussion solcher Themen widmet. Darin betont er auch: Viele Wachkomapatienten, die ihr Schicksal bewusst mitbekommen, kehren nach einer Zeit qualvollen Leidens wieder zu einer Lebenszufriedenheit zurück und genießen die Fürsorge ihrer Freunde und Angehörigen – Kinobesuche, Zeitungslektüre, Klatsch und Tratsch, Händchenhalten. Adrian Owen hat ein bewegendes Buch geschrieben, das einmal mehr deutlich macht, dass Menschen immer dann, wenn sie Respekt und Zuwendung erfahren, selbst schwerste Krisen meistern können.

Adrian Owen:"Zwischenwelten – Ein Neurowissenschaftler erforscht die Grauzone zwischen Leben und Tod
Aus dem Englischen von Harald Stadler
Droemer Knaur, München 2017
320 Seiten, 19,99 Euro

Mehr zum Thema