Adam Zagajewski: "Asymmetrie"

Alltagsaugenblicke eines melancholischen Flaneurs

Im Vordergrund das Buchcover von Adam Zagajewskis "Asymmetrie", im Hintergrund der Schriftsteller selbst.
Adam Zagajewski sammelt in "Asymmetrie" Alltagsaugenblicke. © Hanser Verlag / picture alliance / dpa
Von Carsten Hueck · 18.08.2017
Adam Zagajewski, einer der bedeutendsten polnischen Schriftsteller, schreibt in seinem neuen Gedichtband "Asymmetrie" vor allem über Kindheitserinnerungen. In seinem Blick beginnt das Banale, das Private, das Alltägliche zu leuchten.
Im Juni dieses Jahres erhielt der polnische, 1945 in Lemberg geborene Dichter Adam Zagajewski den Prinzessin-von-Asturien-Preis. Betrachtet man die Liste vorausgegangener Preisträger, so findet man etliche, die später den Literaturnobelpreis erhielten und eine Vielzahl derjenigen, die jedes Jahr als potenzielle Kandidaten gelten. Das ist die Liga, in der Zagajewski dichtet.
Sein neuester Gedichtband trägt den Titel "Asymmetrie". Ein schmales Bändchen, das sich der Breite von Erfahrungen verdankt, die der Dichter über ein halbes Jahrhundert hinweg hat machen dürfen. Selbst die schmerzhaften, wie Tod der Eltern oder anderer naher Menschen, die Unfähigkeit, einander zu verstehen, das Altern und die Vergänglichkeit eines jeden Lebens, beschreibt Zagajewski klaglos.

Der peinliche Auftritt der Mutter beim Abiturball

Er ist ein melancholischer, doch kein elegischer Dichter. Sein Temperament ist ruhig, entspannt, auch traurig. Dabei ist er der Ironie nicht abhold, sieht sich aber in einer dichterischen Tradition, die ihren Gegenstand ernst nimmt.
Zagajewski beschwört in diesem Band auffallend viele vergangene Momente und Ereignisse: Schlaglichter aus der Kindheit: wie er als Zwölfjähriger Relikte des vergangenen Krieges sucht, sein (an sich unmusikalischer) Vater Chopin hört oder ihm der Auftritt seiner Mutter beim Abiturball peinlich ist. Mit lässiger Souveränität beschwört er Begegnungen mit Menschen und Orten, aber auch die mit Werken der Bildenden Kunst und Musik.
So erinnert er an den Dichter Ossip Mandelstam, den Maler Delacroix, an ein Konzert von Rachmaninow, eine Chaconne von Bach. Auch an eine Reise von Lemberg nach Schlesien – die seine Familie 1945 antrat, nachdem Lemberg sowjetisch und Schlesien polnisch geworden war.

Zärtliche Neugier für die Umgebung

Doch Zagajewski ist immer auch Dichter des Augenblicks und der Gegenwart. Mit nahezu zärtlicher Neugier beobachtet er die ihn umgebende Welt, macht sie mit seinen Erinnerungen bekannt und überführt beide - Beobachtung und Erinnerung - harmonisch ins Gedicht. Dort findet dann eine Verschmelzung statt: die Vergangenheit spricht zum Zeitgenossen, das Hochkulturelle wird selbstverständlich, das Banale, das Private, Alltägliche beginnt zu leuchten und erhält eine metaphysische Dimension.
"Jedes Gedicht, selbst das kürzeste,
kann sich in ein erblühendes Poem verwandeln,
denn überall verbergen sich unermessliche
Vorräte an Herrlichkeit und Grausamkeit und warten
geduldig auf unseren Blick, der sie befreien kann…"
Zagajewski ist Alchimist und Flaneur. Er sammelt Alltagsaugenblicke, sieht, was wir nicht sehen, weil wir nicht aufmerksam genug hinschauen. Das kann ein dicker gelber Bleistift sein, ein weißes Segel, ein paar alter Sandalen. So wie der Dichter sie beschreibt, beginnen diese Dinge zu sprechen und erzählen von unserer Existenz. Drängender denn je fragen die Gedichte dieses Bandes nach dem, was bleibt und was wir von uns und anderen überhaupt sagen können.

Adam Zagajewski: "Asymmetrie. Gedichte"
Aus dem Polnischen von Renate Schmidgall
Carl Hanser Verlag, München 2017
80 Seiten, 16,00 Euro

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