Achse des Antisemitismus

19.10.2009
In seinem neuen Roman schildert der Salzburger Schriftsteller Vladimir Vertlib die Nähe zwischen dem radikalen deutschen Nationalismus während des Zweiten Weltkriegs und der panarabischen Bewegung dieser Zeit, die sich beide im Antisemitismus treffen.
Das Verhältnis zwischen den Deutschen und der islamischen Welt ist das Thema dieses Romans. Vladimir Vertlib geht es von zwei Seiten an: Auf der Gegenwartsebene heißt die Hauptfigur Astrid Heisenberg, eine Buchhändlerin aus einer süddeutschen Kleinstadt, deren Leben von einer entscheidenden Begegnung geprägt wurde. Mit 19 Jahren hat sie sich Hals über Kopf in den Iraker Khaled verliebt, aber am Morgen des zwölften Tages war Khaled fort. Astrid Heisenberg hat eine Tochter von ihm bekommen, die Erinnerung an diesen Liebesverrat hat sie nie überwinden können. 20 Jahre nach den Tagen mit Khaled geht Astrid eine neue Beziehung mit einem Araber ein, die in einem Desaster endet. Der Mann schlägt Astrid, ein Schock, der sie in eine Phase der Selbsterkenntnis zwingt. Die führt sie in die eigene Familiengeschichte.

Astrid hat viel Zeit mit ihrem bewunderten Großvater verbracht, dem Orientalisten Sebastian Heisenberg, der in der Bundesrepublik eine glänzende akademische Karriere gemacht hat. In der Nazizeit war er früh in die NSDAP eingetreten, in seinen Publikationen hat er eine "faschistische Perspektive für den Islam" entwickelt. Das bringt ihm einen wichtigen Auftrag ein: Heisenberg reist im Mai 1941 mit einer deutschen Delegation nach Bagdad, um die Iraker bei ihrem Aufstand gegen die Briten zu beraten und die Achse Bagdad-Berlin auszubauen.

Die Ereignisse im Irak und viele der Figuren, die Vladimir Vertlib im tagebuchartigen Bericht von Sebastian Heisenberg auftreten lässt, sind authentisch. Vertlib nutzt diese Schilderung, um die Nähe zwischen dem radikalen deutschen Nationalismus und der panarabischen Bewegung dieser Zeit zu zeigen, beide treffen sich im Antisemitismus. Ein grauenhaftes antijüdisches Pogrom steht am Ende von Heisenbergs Bericht aus Bagdad.

In der Gegenwart zeigen sich sehr viel mehr Ambivalenzen. Zwar trifft Astrid in einer Selbsthilfegruppe auf viele andere Frauen, die von ihren muslimischen Männern gedemütigt oder sogar misshandelt wurden. Aber genauso wird der Generalverdacht gegen alle Araber thematisiert, der nach dem 11. September 2001 aufgekommen war, dieses Motiv führt in die Pointe des Romans.

Die früheren Bücher von Vladimir Vertlib wurden von der Kritik in eine große Tradition jüdischen Erzählens gestellt, er wurde mit Joseph Roth oder Isaak Singer verglichen. Diese Höhen erreicht Vladimir Vertlib mit seinem neuen Roman ganz sicher nicht. Er ist immer da gut, wo er sich dem Faktischen und Alltäglichen der Geschichte stellt. Schwach ist der neue Roman vor allem in der Festlegung auf die Rollenprosa. In der Maske seiner Figuren Astrid und Sebastian Heisenberg erzählt Vladimir Vertlib mal als biedere Buchhändlerin, mal als betagter Herr, der mit altbackenem Humor seine Verantwortung kleinzureden versucht.

Interessant bleibt aber dieser literarische Versuch, das kaum mehr bekannte irakische Abenteuer des Dritten Reiches wieder ins Bewusstsein zu holen und von dort aus eine Linie zur deutsch-muslimischen Gegenwart zu ziehen.

Besprochen von Frank Meyer

Vladimir Vertlib: Am Morgen des 12. Tages
Deuticke Verlag, Wien 2009
559 Seiten, 24,90 Euro