Achava Festspiele Thüringen

Chrennikow und Schostakowitsch: Treffen der Antipoden

Ukrainische Soldaten stehen vor der Gedenkstätte Babi Jar in Kiew
Ukrainische Soldaten stehen vor der Gedenkstätte Babi Jar in Kiew © dpa / picture alliance / Jan A. Nicolas
05.10.2017
Die drei Werke des heutigen Abends entstanden, im ungefähren Zehnjahresabstand, im selben Land – der UdSSR – und unter dem Diktat derselben kulturpolitischen Doktrin des "sozialistischen Realismus". Dennoch sind die Unterschiede enorm – und vielsagend.
Denn während sich Chatschaturjan und Chrennikow Anfang der 50er und 70er Jahre den ästhetischen Vorgaben geschmeidig fügten, ist Schostakowitschs weit gedehnte Vokalsinfonie von 1962 ein Werk, das sich in seiner bedrängend düsteren und noch in den satirisch-sarkastischen Passagen gleichsam zähneknirschenden Kargheit jedem plakativen Fortschrittsoptimismus verweigert und die Menschen in erster Linie als Opfer und Ausgelieferte zeigt. Dabei liegt der Schwerpunkt eindeutig auf dem monumental-appellativen Kopfsatz, in dem das faschistische Massaker an der jüdischen Bevölkerung Kiews in der Babi-Jar-Schlucht thematisiert wird – was damals durchaus auch ein politisches Statement des Komponisten und seines Dichters Jewgenij Jewtuschenko war; wurden doch die jüdischen Opfer während der faschistischen Okkupation im öffentlichen Gedenken der Sowjetunion nur am Rande behandelt oder ganz unterschlagen.
Tichon Chrennikow wäre diese Art stiller Widerständigkeit fremd gewesen. Er fungierte für eine schier endlose Zeit zwischen 1948 und 92 als Generalsekretär des sowjetischen Komponistenverbandes, stets linientreu bis hin zu persönlichen Diffamierungen, die auch den – damals immerhin schon weltberühmten – Kollegen Schostakowitsch trafen. Was dennoch nicht heißt, dass Chrennikow seinerseits nur uninteressante Musik gemacht hätte. Ebenso wie Chatschaturjan im melodienseligen Adagio aus seinem "Spartakus"-Ballett ging er mit den vorgegebenen Einengungen durchaus kreativ um, und das 2. Klavierkonzert von 1971 zeigt nicht nur eine originelle Dramaturgie, bei der die ersten vier Minuten dem Soloinstrument allein gehören, sondern sogar einige zarte Anleihen beim Antipoden Schostakowitsch – eine List der Geschichte, die man bei diesem aufschlussreichen Programm aus Ostthüringen durchaus mitdenken darf und soll.


Achava Festspiele Thüringen
Konzertsaal Gera
Aufzeichnung vom 06.09.2017


Aram Chatschaturjan
Adagio für Orchester
Tichon Chrennikow
Klavierkonzert Nr. 2 C-Dur op. 21
Dmitrij Schostakowitsch
Sinfonie Nr. 13 b-Moll op. 113 "Babi Jar" für Bass, Männerchor und Orchester


Ulrich Burdack, Bass
Jascha Nemtsov, Klavier
Mönchschor Kasan
Philharmonisches Orchester Altenburg-Gera
Leitung: Laurent Wagner