Abwanderung aus dem Elend

Von Katrin Lechler · 23.10.2013
Eine "Zuwanderung in die Sozialsysteme" dürfe es nicht geben, sagt Innenminister Friedrich und meint damit auch Roma aus Bulgarien und Rumänien. Doch denen bleibt oft nichts anderes übrig als die Flucht aus ihrer Heimat, wie dieses Beispiel aus einer Roma-Siedlung an der Schwarzmeerküste zeigt.
"Das war nicht nur eine Hütte, wir hatten fünf Zimmer, fließendes Wasser und Elektrizität. Wir haben unsere Rechnungen bezahlt, wir hatten Verträge."

Elfie Mustafa blickt mit leeren Augen auf die Trümmer ihres einstigen Hauses. Nur das Fundament und herumliegende Betonstücke lassen erkennen, dass das Haus einmal blau gestrichen war. Darüber türmen sich Teppiche, Tische und geborstene Türrahmen.

Seit 54 Jahren lebt sie hier, sagt sie. Trotz des eisigen Windes trägt Elfie Mustafa nur ein Kopftuch, Strickjacke und Rock. Vor zwei Tagen haben Militärs mit Bulldozern die Siedlung geräumt, in der über 100 rumänische Roma lebten. Manche Kinder sind barfuß. Seit Tagen regnet es fast ununterbrochen, ihre Füße versinken tief im Matsch.
Zwei Autos kämpfen sich durch den Schlamm und die Trümmer. Aus dem einen steigen Vertreter einer Nicht-Regierungsorganisation. Sie wollen die Zwangsräumung der Familien dokumentieren. Aus dem anderen steigt ein beleibter junger Mann mit dunkelblondem Haar. Er ist der Roma-Experte der Gemeinde Eforie und soll zwischen der rumänischen Verwaltung und den Roma vermitteln. Seinen Namen will er nicht sagen, denn er hat einen Loyalitätskonflikt: Einerseits arbeitet er für die Gemeinde, andererseits setzt er sich als Aktivist für seine Ethnie, die Roma ein.
"Überall, wo Sie hinsehen, waren Häuser. Wir haben Fotos von Innen, es war sehr sauber. Die Verwaltung hat diesen Müllhaufen zehn Jahre lang liegen gelassen, nur um einen Grund zu haben, die Siedlung zu zerstören. Der wahre Grund ist, dass sie eine Verbindungsstraße zu diesen Häusern bauen wollen."
Er zeigt auf zwei halbfertige Wohnblöcke in 200 Meter Entfernung. Hier sollen Sozialwohnungen entstehen. Mit ihrem verrosteten Stahlskelett sehen sie aus wie Bauruinen.

"Wir haben den Bürgermeister gebeten, bis Frühling zu warten mit der Räumung. Wir haben gesagt, dass wir eine Lösung für dieses öffentliche Stück Land finden werden. Er kann die Straße sowieso nicht im Winter bauen. Es ist eine humanitäre Katastrophe, was hier passiert: Einige Kinder sind krank geworden. Wir haben Frauen, die im achten Monat schwanger sind."

Die Gruppe geht in das einzige Haus, das nicht völlig zerstört wurde: Das Dach ist von Weinstöcken überrankt, in dem einstigen Garten liegen Brennholz, Garten- und Haushaltsgeräte durcheinander. Auf dem Bett im Schlafzimmer sitzt resigniert Familienvater Vladimir Konstantin.

"Vielleicht können wir in zwei, drei Tagen die Schäden reparieren. Aber ich habe Angst, sie kommen nochmal, um alles zu zerstören. Ich habe keine andere Bleibe.”"

"Ich will eigentlich nicht weggehen"
Vladimir Konstantin sagt, er und auch die anderen hätten versucht, das Land zu kaufen. Doch die Gemeinde wehrte ab. Und die Roma blieben auf dem öffentlichen Land, auf dem sie sich noch zu kommunistischen Zeiten niederlassen durften. Doch im nächsten Jahr läuft Konstantins Personalausweis mit der Adresse der jetzt plattgemachten Siedlung aus. Ohne festen Wohnsitz wird es für alle hier schwer, gültige Papiere zu bekommen. Ohne gültige Papiere aber können sie weder ihren Souvenirhandel fortsetzen, noch im Krankenhaus behandelt werden, erklärt das Familienoberhaupt.

""Ich will eigentlich nicht weggehen, hier habe ich mein ganzes Leben gelebt. Aber wenn ich bessere Lebensbedingungen außerhalb meines Landes habe, gehe ich lieber."

Vladimir Konstantin will entweder nach Deutschland oder Frankreich, denn dort, so glaubt er, werden die Minderheitenrechte geachtet.
Im Auto geht es weiter zu einer leerstehenden Schule mit zerbrochenen Fenstern, in der einige der zwangsgeräumten Bewohner Unterschlupf gefunden haben.

Vasile Galbea von der Roma-Initiative Romani Criss hat ein provisorisches Büro aufgebaut. Er lässt sich die Personalausweise der Betroffenen geben, um deren rechtmäßigen Wohnort nachweisen zu können.

"Sicher, wir sind kein Gericht. Aber nach unserer Kenntnis sind die Menschenrechte verletzt worden, und auch das Recht auf Wohnraum. Vor einem Abriss muss man einen Gerichtsbeschluss haben und eine unumstößliches Urteil, was in diesem Fall nicht geschehen ist.”"

Ein Geruch von Urin und Stall zieht aus den beiden bewohnten Räumen der alten Schule. In diesem Halbdunkel leben mehrere Dutzend Menschen. Keines der Kinder geht zur Schule.

""Wir haben kein Geld für Bücher."

Weil sie kein Geld für Bücher haben. Dabei würden sie gerne zur Schule gehen. Nur wenige Kilometer entfernt sitzt Efories Bürgermeister Ion Ovidiu Brailoiu in seinem Büro. Vor seinem Gemeindehaus weht die Flagge von Rumänien und von Europa. Ein Infopunkt mit Touchscreen klärt Touristen über die Sehenswürdigkeit von Eforie auf. Die Lage direkt an der Schwarzmeerküste zieht sonnenhungrige Europäer an.

Wozu Menschlichkeit?
Ion Ovidiu Brailoiu, ein grauhaariger, dicklicher Mann, sitzt über seinen Papieren. Auf die Frage, ob es menschlich ist, kurz vor einer Unwettermeldung eine Siedlung zu räumen antwortet er:

"Wir sprechen nicht über Menschlichkeit. Wir können einen Priester rufen, wenn Sie darüber sprechen möchten."

Er verteidigt sich und betont, dass viele der Roma gar nicht aus Eforie stammen. Theoretisch könnten die zwangsgeräumten Roma in den Sozialwohnungen, für die sie ihre Häuser räumen mussten, wohnen. Aber der Bürgermeister ist skeptisch.

"Vielleicht, wenn sie ein Einkommen haben. Die Roma dort geben ihre Kinder von einem zum anderen, ohne genau zu wissen, wem sie gehören. Ich finde das extrem beunruhigend."

Wenige Tage später lässt der Bürgermeister von Eforie auch das letzte Haus abreißen. Familienvater Konstantin dürfte sich inzwischen auf den Weg gen Westeuropa gemacht haben.
Mehr zum Thema