Abschiebungen in den USA

Schützt Kalifornien Einwanderer ohne Papiere?

Hunderte Menschen demonstrieren am 16. Februar 2017 in Detroit, Michigan, als Teil der landesweiten Proteste "A Day Without Immigrants"
Der 16. Februar 2017 wurde zum Streiktag in den USA unter dem Motto "A Day Without Immigrants". © dpa-Bildfunk / Detroit News / Todd Mcinturf
Von Thilo Kößler · 28.03.2017
In Barack Obamas achtjähriger Amtszeit wurden drei Millionen Menschen aus den USA abgeschoben, vor allem Schwerstkriminelle. Donald Trump setzte diese Schwelle deutlich herab. Nun herrscht Angst vor Polizei-Willkür bei den elf Millionen Einwanderern ohne gültige Papiere. Ist Kalifornien ihr sicherer Hafen?
Mittags in einem Vorort der 500.000 Einwohnerstadt Fresno im Central Valley in Kalifornien: Die Sonne wärmt schon richtig, und Braythen Stoltenberg hat sich die Ärmel seines frisch gebügelten Hemdes hochgekrempelt: Sein goldener Stern mit dem grünen Wappen Fresnos auf der Brust weist ihn als Deputy Sheriff aus. Der junge Polizist ist schlank und durchtrainiert.
"My area is very specific place. The area is called the old fig garden."
Braythen stellt sein Viertel vor – "Old Fig Garden" heißt es, alter Feigengarten, eine der ältesten Gemeinden in Fresno.
Braythen steuert seinen breiten Ford-SUV mit der Aufschrift "Sheriff Fresno County" vom Hof der Polizeiwache. Seit Donald Trump im Januar sein Dekret verabschiedet hat, das darauf abzielt, illegale Einwanderer ausfindig zu machen und umgehend abzuschieben, könnte Braythen auch besonders auf Latinos achten. Das ist zwar eigentlich der Job der Einwandererpolizei ICE, kurz "Ice" genannt. Doch Trumps Heimatschutz-Minister John Kelly möchte auch lokale Polizeikräfte an den Razzien beteiligen.
Trump steht zwischen einer US-Flagge und einer anderen Flagge und reibt sich die Hände; Kelly steht lächelnd dahinter.
US-Präsident Donald Trump am 25. Januar 2017 in Washington bei einem Besuch der Heimatschutzbehörde mit deren neuem Chef John Kelly.© Consolidated / dpa
Aber Braythen macht da nicht mit. Das ist nicht mein Job, sagt er – er käme nicht im Traum auf die Idee, während einer seiner Patrouillenfahrten anzuhalten und jemanden nach seinem Aufenthaltsstatus zu fragen.
"I never ask a person about the immigration status."

Die Bundesbehörden können mir nichts vorschreiben

Braythen weiß seine Vorgesetzten hinter sich. Von seinem Sheriff hat er klare Anweisungen erhalten: Die Polizeikräfte von Fresno County beteiligen sich nicht an Razzien gegen Einwanderer ohne Papiere.
Der Sheriff von Fresno County hat das Büro im sechsten Stock eines schmucklosen Bürogebäudes mitten in der Innenstadt. Der Sheriff ist eine Frau, heißt Margaret Mims, ist um die 50 Jahre alt und sehr erkältet.
"I believe the job of enforcement for immigration issues belongs to the federal government and not to the local law enforcement on the street."
Der Job, die neuen Einwanderungsrichtlinien durchzusetzen, das sei Sache der Bundesbehörden – nicht der lokalen Polizeikräfte, stellt Sheriff Mims klar. Seit elf Jahren ist sie nun schon Fresno County Sheriff, und nächstes Jahr stellt sie sich zur Wiederwahl.
Diese demokratische Legitimation, gewählter Sheriff eines riesigen Bezirks mit 32 Städten zu sein, gibt ihr auch das Recht, sich über die Haltung des republikanischen Bürgermeisters von Fresno hinwegzusetzen. Lee Brand würde das Dekret von Präsident Trump am liebsten konsequent umsetzen. Aber niemand könne einem gewählten Sheriff vorschreiben, was er zu tun oder zu lassen hat, insistiert Sheriff Mims - selbst die Bundesbehörden nicht.
"The federal government cannot order local jurisdictions to do anything – expecially elected sheriffs."
Margaret Mims will ihre Polizeikräfte nicht in den Dienst der Trump´schen Abschiebepolitik stellen. Sie will auch nicht mit den Greiftrupps der ICE-Beamten zusammenarbeiten, die als brutal verschrieen sind und mit Billigung der Trump-Administration völlig willkürlich vorgehen. Trump hat ihre Befugnisse massiv ausgeweitet: Nun reicht schon der bloße Verdacht eines Fehlverhaltens, um jemanden auszuweisen.
Auf einem Wegweiser vor einer Palme stehen die Worte "Mexiko Only - No USA Return".
Zurück nach Mexiko: Die neue US-Regierung unter Donald Trump will mehr Menschen ohne Papiere abschieben. © AFP/Sandy Huffaker
Damit nicht genug: Margaret Mims hat beobachtet, dass offenbar gezielt Gerüchte gestreut werden, wonach ICE-Beamte gerade irgendwo dabei seien, Frauen und Kinder in Schlafanzügen aus ihren Wohnungen zu zerren und abzutransportieren. Sie gehe diesen Gerüchten regelmäßig nach und habe sie niemals bestätigt gefunden - aber sie lösen Panik aus und das muss aufhören, fordert Sheriff Mims.
"That is the thing that locally is raising a lot of fear. That somebody reports something falsely and that causes this distress and fear in our communities. And we need to stop that."

In Maywood sind 96 Prozent Zuwanderer

"Das ist der nackte Terror", sagt auch Eduard de la Riva.
Eduard de la Riva muss wissen, wie die Stimmung in der Bevölkerung ist. Er ist Stadtrat von Maywood – einer Kleinstadt im Central Valley, die als die am dichtesten besiedelte Gemeinde Kaliforniens gilt. 27.000 Einwohner zählt sie offiziell – inoffiziell sind es wohl 40.000. Der Anteil der Zuwanderer aus Mexiko und anderen Ländern Mittelamerikas dürfte so hoch sein wie nirgendwo sonst – er liegt bei mindestens 96 Prozent.
"It`s about 96 percent, if not even higher than that."
Die Angst geht um, sagt Eduard de la Riva – obwohl Maywood sich schon vor elf Jahren zur sogenannten Sanctuary City erklärt hat. Seither fragt die lokale Polizei niemanden mehr nach dem Aufenthaltsstatus. Doch richtigen Schutz bietet der Status der mittlerweile 633 Sanctuary Cities in den USA tatsächlich nicht – niemand könne die ICE-Beamten daran hindern, ihrem Job nachzugehen und gezielt nach Immigranten ohne Papiere zu suchen, sagt Stadtrat de la Riva. Deshalb sei die Sorge in der Bevölkerung so groß. Und deshalb könne er nur jedem raten, sich einen Anwalt zu suchen und einen Plan zurecht zu legen.
"I tell them: get a lawyer and have a plan."
De la Riva wird beängstigend konkret: Was geschieht mit den Kindern, wenn Mutter oder Vater aufgegriffen und abgeschoben werden? Wer holt sie von der Schule ab und versorgt sie? Darauf muss man vorbereitet sein, mahnt er.
"Who is gonna pick up your children from school? Who is gonna to keep your children? Who is gonna to take care for them?"

Abschiebungen lösen Traumata aus

Das ist Teil einer Drohkulisse, die mittlerweile für regelrechte Panik unter den mutmaßlich elf Millionen sogenannten "Illegalen" sorgt. Rosa und Miguel sind zwei von ihnen. Sie wollen ihre richtigen Namen nicht nennen. Diese Angst sei Teil einer neuen Realität, meint Rosa – und deshalb geht sie nicht mehr ohne dieses rote Kärtchen mit dem braunen Rand aus dem Haus: "Know your rights", steht drauf – "Nimm Deine Rechte wahr". Nämlich: Wer aufgegriffen wird, muss keinerlei Aussagen machen. Und darf vor einer Vernehmung einen Anwalt rufen.
"So basically it´s saying, I have the right to remain silent and I would like to speak to an attorney before answering your questions."
Seit 1992 lebt sie mit ihren Eltern in Maywood. Rosa hat Angst davor, dass ihre Eltern abgeschoben werden und sie sich nicht mehr um den kranken Vater kümmern kann. Auch Miguel hat diese Befürchtung – auch er sorgt sich um seinen Vater. Miguels Mutter ist bereits vor Jahren abgeschoben worden. Und Donald Trump habe dieses Trauma wieder wachgerufen.
"The election of Donald Trump triggered negative memories from my moms deportation."
Wenn ein Elternteil abgeschoben werde, sei das eine furchtbare Erfahrung für die ganze Familie, sagt Miguel. Er habe erst jetzt gelernt, dass er dieses Trauma im Grunde noch immer nicht verarbeitet habe – das Trauma, dass eine Familie einfach so und von jetzt auf gleich auseinandergerissen werden kann.
"It get years to get it of that trauma. I don´t know if you ever can get rid of that trauma."
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