Abschiebungen

"Die Hälfte der geplanten Rückführungen scheitert"

Banner mit Aufschriften wie "Wir sind Flüchtlinge und brauchen Schutz" halten Demonstranten am 23.01.2018 auf dem Flughafen in Düsseldorf (Nordrhein-Westfalen) bei einer Protestkundgebung der Flüchtlingsinitiativen gegen Sammelabschiebungen nach Afghanistan.
Proteste gegen Sammelabschiebungen nach Afghanistan © dpa-Bildfunk / Henning Kaiser
Jörg Radek im Gespräch mit Dieter Kassel · 05.06.2018
Abschiebungen scheitern nicht an fehlenden Flugzeugen, meint Jörg Radek, stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei. Im Interview nennt er drei Probleme, die für nicht stattfindende Rückführungen verantwortlich seien. Von der Politik fordert er "größere Praxisnähe".
Dieter Kassel: Nicht jeder, dessen Asylantrag in Deutschland abgelehnt wird, ist sofort ausreisepflichtig. Nicht jeder, der ausreisepflichtig ist, wird auch abgeschoben. Und nicht bei jedem, der eigentlich zur Abschiebung vorgesehen ist, kommt es auch zu einer Abschiebung. Sie sehen, selbst ohne Zahlen – und die könnte ich, wenn Sie wollen, auch durchaus dazu liefern, protokolliert wird das Ganze schon –, also selbst ohne Zahlen ist die Verwirrung groß.
Das ist alles kompliziert, aber die Politik in Bayern bringt es gerade auf einen einfachen Nenner: Die Abschiebequote muss erhöht werden. Deshalb verabschiedet das Kabinett in München heute den bayerischen Asylplan, der unter anderem auch das Chartern von eigenen Flugzeugen für solche Abschiebungen vorsieht. Wo die Probleme allerdings wirklich liegen, darüber wollen wir jetzt mit Jörg Radek sprechen, er ist der stellvertretende Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei. Herr Radek, einen schönen guten Morgen!
Jörg Radek: Guten Morgen, Herr Kassel!
Kassel: Scheitern denn Abschiebungen in Deutschland tatsächlich an einem Mangel an Fluggeräten?
Radek: Nein, an einem Mangel an Fluggeräten, egal ob das Charterflüge sind oder ob das Linie ist, scheitert es nicht. Was jetzt die bayerische Staatsregierung vorhat, ist offenbar, dass sie sich ihrer Verantwortung, die sie nach dem Gesetz nach hätte – nämlich, dass die Abschiebung Ländersache ist –, diese Verantwortung übernimmt die bayerische Landesregierung, aber das liegt nicht alleine nur an Flugzeugen oder an Fluggeräten.

Unterschiedliche Abschiebequoten der Länder eine politische Frage

Kassel: Aber wie erklären Sie denn allein schon diesen unglaublichen Unterschied bei der Abschiebequote zwischen den Bundesländern?
Radek: Man darf hier das politische Moment nicht außer Acht lassen, es gibt da schon eine unterschiedliche politische Einstellung zu diesen Maßnahmen, die Menschen außer Landes zu bringen. Es gibt eine sehr restriktive Haltung – da, denke ich mal, wird sichtbar, dass es eine sehr hohe Zahl an Rückführungen und Abschiebungen gibt. Und es gibt eine sehr geringe Zahl, wo man eher auf die Duldung setzt und wo man eher auf Integration setzt.
Jörg Radek, stellvertretender Vorsitzender der GdP
Jörg Radek, stellvertretender Vorsitzender der GdP© dpa/picture alliance/Arno Burgi
Kassel: Nun ist natürlich die Quote derjenigen, die abgeschoben werden sollen, das wird beschlossen, organisiert und gelingt dann rein faktisch nicht, im Vergleich zu den vielen Ursachen, warum nicht alle das Land wieder verlassen, gering. Aber es kommt natürlich tatsächlich vor, dass Ihre Kollegen irgendwo anrücken, jemanden abholen wollen zur Abschiebung, und sie finden ihn nicht. Ist das einfach eine Sache, wo Sie sagen, ja, die Aufklärungsquote, die ist nicht 100 Prozent, oder liegt auch das manchmal an Fehlern im System?

Hören Sie zum Thema Abschiebungen auch den Beitrag von Tobias Krone über den bayerischen Asylplan aus unserer Sendung Studio 9 vom 5.6.2018: Audio Player

Radek: Es muss tatsächlich ganz deutlich angesprochen werden, dass die Hälfte der geplanten Rückführungen, dass die nicht durchgeführt werden können, weil aus verschiedenen Gründen derjenige, der außer Landes zu bringen ist, nicht angetroffen wird. Er ist untergetaucht, er ist erkrankt, er leistet Widerstand – und das sind, denke ich, die drei großen Gründe, die wir haben, warum wir, obwohl jemand ausreisepflichtig ist, diese Pflicht nicht sofort umsetzen können.
Wir versuchen es dann eben noch ein zweites, noch ein drittes Mal, aber wir wollen den Rechtsstaat, der hier an der Stelle ganz deutlich seine Maßnahmen durchsetzen muss, das versuchen wir auf jeden Fall durchzusetzen, wie es bei dem Beispiel in Ellwangen ja auch gelungen ist.

"Politik braucht eine große Praxisnähe"

Kassel: Aber wie könnte die Politik die Polizei dabei noch ein bisschen besser unterstützen? Also finden Sie die rechtlichen Rahmenbedingungen, aber auch die personelle Ausstattung schlicht und ergreifend, ausreichend?
Radek: Ich glaube, dass Politik hier eine große Praxisnähe braucht. Es ist uns schon in 2015, als wir die Massenmigration hatten, ist uns schon aufgefallen, dass man dieses Thema Abschiebung/Rückführung noch gar nicht auf der Tagesordnung hatte. Uns, aus Sicht der Praxis, war es vollkommen klar: Bei dem, was jetzt kommt, wird es auch die Situation geben, das Menschen in Deutschland keine Bleibeperspektive haben werden. Und die müssen dann außer Landes gebracht werden.
Erster Ansatz ist, die Freiwilligkeit dort zu erhöhen. Das ist uns bei denjenigen, die aus dem Balkan gekommen sind, ist uns das ganz gut gelungen. Es gelingt uns weniger bei denen, die aus den afrikanischen Ländern kommen, da muss man eine Ursachenforschung betreiben.
Ich glaube, dass Politik da eine größere Praxisnähe braucht und es nicht festmachen darf daran, ob Flugzeuge fehlen oder nicht. Vor allen Dingen dieses Argument, es muss immer alles schneller gehen – das heißt dann in etwa, als wenn diejenigen, die es vollziehen, dass die nicht schnell genug arbeiten. Da soll man sich mal in eine Rückführung setzen und soll sich das mal genauer anschauen, bevor man also immer wieder davon spricht, dass diese Verfahren schneller gemacht werden müssen.

"Es ist ja nicht so, dass es eine willkürliche Maßnahme ist"

Kassel: Aber wenn Sie von Praxisnähe reden, dann gibt es natürlich auch manchmal Widerstände in Teilen der Zivilgesellschaft, die relativ praxisnah ist. Der Berliner Flüchtlingsrat sagt klar und deutlich, Polizei und Mitarbeiter von Flüchtlingsunterkünften haben unterschiedliche Interessen, und hat sogar einen schriftlichen Ratgeber auf den Markt gebracht, wo darüber informiert wird, wie sich Flüchtlingshelfer der Zusammenarbeit mit der Polizei verweigern können, ohne sich strafbar zu machen. Sitzen Ihre Kollegen da nicht manchmal zwischen allen Stühlen, die einen fordern strengere Abschiebungen und die anderen sagen, die Polizei ist viel zu rabiat?
Radek: Mein Eindruck ist, dass aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Blickwinkeln auf die staatliche Organisation geschaut wird. Aber das darf nicht dazu führen, dass wir ein unterschiedliches Verständnis von staatlichen Verfahren haben. Tatsache ist doch: Denjenigen, den wir als Polizei außer Landes bringen, da ist ein abgeschlossenes Gerichtsverfahren, da wird ein Gerichtsverfahren umgesetzt. Es ist ja nicht so, dass es eine willkürliche Maßnahme ist, auch wenn ich mir als Polizist wünschte, es würde in Deutschland mehr in Integration investiert werden.
Wir diskutieren letztlich das ganze Thema von einer Seite aus, die sehr existenziell ist, und zwar für denjenigen, den wir außer Landes bringen. Was ist aber vorher schon alles an Maßnahmen einzuleiten, um eben eine verbesserte Integration vorzunehmen? Diese Diskussion brauchen wir auch, die vernehme ich überhaupt nicht. Und da bin ich bei denjenigen, die sagen, wir müssen auch bei dem Thema Rückführung das Thema Integration durchaus mitbehandeln.
Kassel: Jörg Radek, stellvertretender Bundesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei über die bayerischen Asylpläne und die Gründe, die Abschiebungen manchmal tatsächlich be- oder sogar verhindern, und was sich nicht nur in diesem Zusammenhang ändern müsste. Herr Radek, ich danke Ihnen sehr für das Gespräch.
Radek: Ich danke Ihnen für Ihr Interesse!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema