Abrechnung mit der Linkspartei

Jutta Ditfurth im Gespräch mit Ulrike Timm · 19.06.2009
Für die Publizistin Jutta Ditfurth ist die Partei Die Linke nicht wirklich links. Die Partei sei prokapitalistisch und stehe mittlerweile für "Sozialabbau und Demokratievernichtung".
Ulrike Timm: Wieso eigentlich kann die Linke aus der derzeitigen Krise so wenig Kapital schlagen? Eigentlich müsste sie doch mächtig Auftrieb erhalten, wenn sogar konservative Politiker meinen, dass das Bankenwesen stärker reguliert werden müsse und die Wirtschaft staatlicher Kontrolle bedürfe. Da könnten Linke doch feixen: Sagen wir doch schon lange. Tatsache ist, die SPD ist bei den Europawahlen abgeschmiert, und die Partei Die Linke hat zwar ein wenig gewonnen, stagniert aber. Uns interessiert dazu die Meinung einer erklärten Linken, die die Linke von links kritisiert. Jutta Ditfurth, vor vielen Jahren eine der bekanntesten Fundis bei den Grünen, inzwischen Publizistin. Sie hat ein Buch geschrieben, eine Streitschrift, "Zeit des Zorn", und darin findet sich auch ein Kapitel "Sackgasse Linkspartei". Darüber wollen wir mit ihr reden. Schönen guten Tag, Frau Ditfurth!

Jutta Ditfurth: Ja, schönen guten Tag!

Timm: Sie beschreiben die Linke wörtlich als "fette Kröte und ziemlich piefige Partei". Warum ist die Linkspartei für Sie eine Sackgasse?

Ditfurth: Aus ganz vielen Gründen, aber ich will versuchen, es kurz zu fassen. Es ist einfach nichts anderes als eine weitere sozialdemokratische Partei, die dann – und das ließe sich ausführlich auch beweisen – dann, wenn sie auch nur riecht, dass sie irgendwo eine Regierung, gar irgendwann mal in eine Bundesregierung kommen könnte, selbstverständlich dann vollkommen für den Kapitalismus ist, für die NATO und damit auch bereit, Kriege zu führen, weil das die Bedingung ist, unter der Parteien in diesem Land an Regierungen nur kommen können. Und ich habe gedacht, es ist mal Zeit – in diesem Buch geht’s natürlich auch um vieles anderes, um Widerstand, um Revolte und Perspektiven, um diese Weltwirtschaftskrise –, aber dieses eine Kapitel, um was es uns heute hier geht, "Sackgasse Linkspartei", habe ich benutzt, um zu sagen: Okay, ich schaue mir nach 20 Jahren mal an, was aus diesem Ansatz geworden ist. Ich habe damals 1990 mir sehr neugierig angeschaut, sehr nah auch, was diese PDS eigentlich ist, was für Leute da kommen. Erstens bin ich neugierig und zweitens, man kann ja nie wissen, ob nicht mal was kommt, was auch die unabhängige Linke bestärken könnte. Aber das ist ein Desaster, was da ist, da ist eine wirklich stickige Partei im Osten, oft sehr national und auch sehr völkisch, in Berlin katastrophal dabei, Sozialabbau und Demokratievernichtung mit zu betreiben, von Ökologie haben sie eh keine Ahnung. Und im Westen sind’s noch mal ein paar andere Probleme, die man mit denen hat.

Timm: Das heißt, die Linkspartei ist nicht links, sondern konservativ mit roter Fahne davor oder prokapitalistisch mit antikapitalistischer Folklore?

Ditfurth: Sie ist alles Mögliche. Natürlich gibt es darin auch ganz nette Leute und ganz überzeugte Linke, die zum Teil auch sehr verzweifelt sind. Aber die meisten aufrechten Linken und Sozialisten, die ich da getroffen habe, sind inzwischen völlig entsetzt und enttäuscht und resigniert raus. Und ich finde, nach 20 Jahren muss das klar sein. Natürlich gibt es Probleme. Es gibt Probleme der Art, dass die Linkspartei, die Rosa-Luxemburg-Stiftung als parteinahe Stiftung auch sehr viel Geld hat, und ich will’s mal offen sagen, sich auch sehr gezielt ihre Vorfeldstrukturen aufbaut und sich in Linke und scheinbar linksradikale Milieus einzukaufen versucht, weil sie gerade auch in diesen Krisenzeiten, die ja viel härter sind für junge Leute als etwa in den 60ern, 70ern, Jobs zu vergeben hat und kleine Aufträge und indirekt vermittelte Staatsknete. Und das bindet. Und da will ich natürlich reinhauen. Ich habe keine Interesse, dass sich junge linke Leute, die wirklich was verändern wollen, auf diese miefige, reformistische Partei einlassen und dann in fünf oder zehn Jahren erschöpft feststellen, dass es ein Irrweg ist. Die Zeit haben wir nicht.

Timm: Nun reden Sie von jungen Leuten – eigentlich, wenn man die Frontleute weg lässt, ist es eine sehr alte Partei. Nun profitiert die Linke von derzeitigen Krise ja gar nicht. Warum wollen denn die Leute von ihr so wenig wissen letztlich?

Ditfurth: Ich glaube, inzwischen hat’s auch ziemlich viele linke Aufklärungs …, also ich find’s sowieso ne Frechheit, dass die sich Linke nennen und nennen die nur Linkspartei, weil das ist eine Anmaßung, sich dieses Wort zu krallen. Also das, was wirklich link ist, unabhängig von Staat, von Kapital und nicht reformistisch wie Linkspartei, da gibt’s ja nun seit ein paar Jahren auch eine Auseinandersetzung intensiver Art mit der Linkspartei, wo klargemacht wurde, um was es sich bei denen eigentlich in Wirklichkeit handelt. Und das hat inzwischen gewirkt. Das heißt, warum sollen denn bei Wahlen, Europawahl oder Bundestagswahlen, Leute, die tatsächlich ne Gesellschaft humanisieren wollen, von links verändern wollen, auf das nächste zum Scheitern verurteilte reformistische Parteimodell reinfallen? Im 20. Jahrhundert gab es irgendwie sozusagen das Desaster SPD und deren Niedergang als linke Partei, dann in sehr viel kürzerer Zeit das Desaster und die Erfahrungen mit den Grünen. Und es wird ja auch mal Zeit, und deswegen finde ich die Wahlentscheidung, nicht Linkspartei zu wählen, für Linke sehr vernünftig, zu begreifen, das dritte Mal muss jetzt so viel Kraftaufwand für nichts nicht sein.

Timm: Schwierige Frage mit Bitte um kurze Antwort: Was ist denn heute links?

Ditfurth: Es ist das links, was eigentlich im Kern immer schon links war. Ich kann’s nur sagen, der Kern ist immer sich eine Gesellschaft … Nein, ich sag’s mal persönlicher: Meine große Sehnsucht ist ne Gesellschaft, ne Welt, in der es soziale Gleichheit gibt, in der Menschen nicht mehr vernichtet, gedemütigt und ausgebeutet und kaputt gemacht werden, sondern die Chance haben, sich in all ihrer Vielfalt und Andersartigkeit zu entwickeln mit den Möglichkeiten, die ihnen gegeben sind. Und das geht in kapitalistischen Verhältnissen blöderweise nicht, und das geht auch nicht mit Händchenfassen, Lichterkette und Mahnwachen, sondern das geht tatsächlich nur mit gesellschaftlicher Gegenmacht. Und die Aufgabe dieses Jahres und der nächsten Zukunft ist, dazu sehr unterschiedliche Menschen zu sammeln, von entlassenen Arbeitern, Hartz-IV-Empfängern, Künstlern, Intellektuellen, Studenten, Schülern bis hin zu allem Möglichen, so was Traditionelles. Und ich komme ja nicht aus der traditionellen Linken, aber so was Traditionelles wie eine Arbeiterklasse, die sich selbst ihrer bewusst wäre, gibt’s in Deutschland leider nicht. Da guckt man manchmal neidisch nach Frankreich und anderswo hin. Sondern da muss man jetzt sehr viel organisieren aus eigener Kraft. Es geht da ums Ganze, und man muss leider alles selber machen.

Timm: Frau Ditfurth, in den westdeutschen Bundesländern sind die Zuwächse für die Linke ja ziemlich bescheiden. Ist sie de facto immer noch eine Ostpartei? Da ist sie ja groß.

Ditfurth: Ja, da ist sie groß, und da wird sie dann einfach, durch die Frage des Älterwerdens wird sie da aber auch stückweise kleiner werden. Aber im Osten – und das ist das Schlimme – knüpfte die PDS die Linkspartei über all die Jahre immer wieder an nationales und völkisches Denken an. Es gab auch Kooperationen zu Gruppen, zu Nazis sogar in einzelnen Fällen, wie in Dresden und anderswo. Die Linke aus dem Osten und das, was sich sozusagen als rebellische Linke unabhängig bildet, das sind komplett verschiedene Planeten.

Timm: Man könnte ja meinen, Frau Ditfurth, dass außerparlamentarische Bewegungen, wie zum Beispiel die globalisierungskritische Attac, von der derzeitigen Krise sehr profitieren müsste. Klappt aber auch nicht – warum?

Ditfurth: Also einerseits ist natürlich Attac auch ne Spielwiese, so Vorfeldspielwiese für die Linkspartei, jedenfalls teilweise, und Rekrutierungsfeld für grüne Kandidaten für diverse Parlamente. Ich hab mal polemisch gesagt, aber ich mein’s auch ernst: Attac ist die am schnellsten eingebunden und befriedete Bewegung seit 1945 in Deutschland. Die war so schnell am Gängelband von Großorganisationen, da konnte man kaum hingucken. Und der Name klingt so schön kämpferisch und nett, nicht? Aber der Kern ist ja nichts anderes als: Wir wollen den Kapitalismus behalten, nur die Tobin-Steuer hätten wir gerne durchgesetzt. Das ist im Kern auch nichts. Und die versanden im Moment, die sacken im Moment ab, weil das, was sich an neuer junger Linker gerade nachbildet, ist sehr viel präziser und sehr viel klüger antikapitalistisch.

Timm: Frau Ditfurth, Ihre außerparlamentarische Linksaußen-Position, die ist allgemein bekannt, aber wenn ich Ihnen zuhöre, frage ich mich, gibt es noch Themen, mit denen eine linke Bewegung überhaupt reale politische Bedeutung haben könnte?

Ditfurth: Massenhaft. Außerdem ist es ja immer wieder dieser ulkige Effekt: Durch die ganze Geschichte dieses Landes gesehen waren es immer so am Anfang oft verspottete, verlachte, dann größer werdende Minderheiten – ob’s nun die Arbeiterbewegung ganz früh war, später Frauenbewegung, Anti-AKW-Bewegung, egal was, Bürgerrechtsbewegung, es waren immer Minderheiten, die dann in die Gesellschaft hineinwirkten und diese, wenn’s glücklich lief, zum Besseren hin veränderten. Es fängt immer so an.

Timm: Aber gefragt hatte ich nach Themen …

Ditfurth: Gerne, massenhaft.

Timm: … und das klappt derzeit anscheinend nicht?

Ditfurth: Doch, Krieg, Kapitalismus, Krise, Armut. Im Moment wird gerade die Massenarmut von morgen und auch von morgen im Alter von Menschen, die es jetzt noch gar nicht verstehen, was da mit ihnen passiert, organisiert. Dieses Land wird nach der Krise, wenn die irgendwann hinter uns liegt, wird das autoritärer, repressiver und demokratiefreier sein und ein Großteil der Leute sehr viel ärmer als vorher. Und darauf laufen wir gerade zu. Und dieses Jahr, was wir jetzt haben, ist das Jahr, um zu organisieren über eine Vielfalt von Themen: Krise, Kapitalismus, Krieg, Atomenergie – es gibt kein Thema, was vorbei wäre, leider.

Timm: Einen Eindruck, Frau Ditfurth, bin ich bei der Lektüre Ihrer Streitschrift "Zeit des Zorns" nie losgeworden, Pardon, aber wäre nicht auf dem Weg in eine sozialere und gerechtere Gesellschaft ein an sozialen Fragen interessiertes Bürgertum hilfreicher als eine Linke, die sich in ihren sozialen Utopien zerstreitet und verheddert?

Ditfurth: Jetzt haben Sie ein Zitat von mir genommen und ins Gegenteil umgedreht. Ich schreibe etwas ironisch in dem Buch, dass es ganz nett wäre, wenn es so was wie ein …

Timm: Sie schreiben hilfreich.

Ditfurth: … linksliberales Bürgertum, das an der sozialen Frage interessiert wäre, existieren würde. Das gibt’s aber kaum noch. Sondern was wir sehen, ist, bei den Grünen etwa, das ist ne FDP mit Fahrrad, wir sehen ganz viel Bürgertum, was in Einzelfragen mal aufgeschlossen ist und vielleicht zu Weihnachten was für die Dritte Welt spendet, aber die ganzen Grundfragen, unter welchen Bedingungen leben, schuften und verarmen eigentlich die Mehrheit der Menschen auf dieser Erde und wie geht’s nur den Armen hier im Land, gibt es im Moment nicht eine einzige Partei bedauerlicherweise und auch keinen größeren Teil des Bürgertums, das sich damit ernsthaft beschäftigt. Wenn man davon etwas hört oder liest, dann ist es die Sorge einzelner Etablierter oder Bürgerlicher, die sagen: Oh, wenn wir jetzt weiter aber so schlimm mit den Ärmsten umgehen, dann könnten die eines Tages zurückschlagen. Es ist immer eine Frage von Ordnung, Sicherheit und Repression, und nicht mal eine Frage von ganz normalem menschlichen Mitgefühl oder Empathie. Ganz zu schweigen von sozialem Bewusstsein, das hat in diesem Land rapide abgenommen.

Timm: Die Linke von links kritisiert, von Jutta Ditfurth, Publizistin. Sie hat eine Streitschrift veröffentlicht, "Zeit des Zorns". Darin finden Sie auch ein Kapitel, "Sackgasse Linkspartei". Vielen Dank, Frau Ditfurth!

Ditfurth: Danke Ihnen auch, tschüss!