80 Jahre Bunker in Wünsdorf

Nazis, Russen und Touristen

Ein Bunker im Wald nahe dem brandenburgischen Ort Wünsdorf.
Ehemaliger Standort der Wehrmacht: Vor 80 Jahren wurde in Wünsdorf mit dem Bau geheimer Bunker begonnen. © Philipp Buder/Thomas Klug
Von Philipp Buder und Thomas Klug · 17.05.2018
1937 wurde im brandenburgischen Wünsdorf mit dem Bau streng geheimer Bunker begonnen – das Oberkommando der Wehrmacht sollte von dort den Zweiten Weltkrieg dirigieren. Die Bunkeranlagen sind mittlerweile ein Mahnmal und locken viele Touristen an.
Die Schachfiguren im Rathaus kann man sich ausleihen. Unterschrift genügt. Dann dürfen Bürger und Touristen mit ihnen spielen. Heute hat niemand Lust auf sie. Es regnet. Die Spielfelder vorm Rathaus sind leer, die Bauern, die Dame und der König weggesperrt. Um den Marktplatz herum sind Buchhandlung, Café und ein paar Wohnhäuser angeordnet
Die Buchhandlung bietet Bestseller, das Café Backwaren. Und das Rathaus bietet die Bürgermeisterin:
"Viele verbinden mit dem Ort Wünsdorf den eigentlichen Teil Waldstadt. Ich weiß nicht, ob Sie es bis ins echte Dorf überhaupt geschafft haben. Wahrscheinlich nicht."
Michaela Schreiber sitzt im Versammlungsraum in der zweiten Etage des Zossener Rathauses. Wünsdorf gehört seit 2003 zum brandenburgischen Zossen, 50 Kilometer südlich von Berlin.

Wünsdorf hat die Weltgeschichte verändert

"Wir haben Stadtrechte, wir sind ja eine Stadt. Aber wer hier lebt – und ich bin hier geboren und aufgewachsen und lebe hier total gerne –, der darf auch sagen, tatsächlich ticken wir hier eher wie ein Dorf. Wir sind kuschelig, klein, haben zwar fast 20 000 Einwohner mittlerweile. Wir sind keine Großstadt, und ich habe nicht vor, Zossen in diese Richtung zu entwickeln. Deswegen ist Wünsdorf auch ein sehr dörflich geprägtes Gelände, so würde ich es formulieren."
Das "dörflich geprägte Gelände" hat die Weltgeschichte verändert.
Die konkrete Planung für das Oberkommando des Heeres begann eigentlich schon 1936, als man einen Standort suchte, denn sie waren ja in den Friedenszeiten in den Bendlerblöcken in Berlin stationiert. Das war ja der Hauptsitz. Man versuchte dann außerhalb Berlins einen Kriegsstandort zu finden, um von da die schon geplanten und vorgesehenen Feldzüge zu führen.
Hans Albert Hoffmann fährt mehrmals die Woche nach Wünsdorf. Früher war er Offizier bei der Nationalen Volksarmee. Jetzt schreibt er Bücher über Militärgeschichte und führt durch die unterirdischen Geheimnisse von Wünsdorf. Oder sitzt in einem Café und gibt Interviews.
"Naja, eigentlich kannten die ja den Militärstandort schon seit 1910, wie das so üblich ist, die Standorte lebten ja auch vom Militär. Es gab dort jede Menge Möglichkeiten, auch viele Hotels, die heute gar nicht mehr existent sind, die man dort nutzte. Man lebte eigentlich vom Militär, ob das in Zossen war, ob das in Wünsdorf war."

Viereinhalbtausend Arbeiter für den Bunkerbau

1937 begann dann der Bunkerbau in Wünsdorf – streng geheim. Die Arbeiter wurden in Zeltstädten und Baracken untergebracht. Viereinhalbtausend Menschen sollen es gewesen sein. Sie alle mussten verpflegt und an ihre Arbeitsplätze gebracht werden.
In die Bunker wurde die modernste Technik der Zeit eingebaut – und alles, was zur Kommunikation rund um die Welt nötig war. Der Krieg konnte beginnen.
Ab 1938 führte man ja schon regelmäßige Kriegsspiele durch. Gerade, was dann Richtung um Polen und Tschechoslowakei ging.
Der Zweite Weltkrieg wurde aus Wünsdorf gesteuert. Hier liefen die Telefonleitungen zu den Armeen zusammen, hier wurden die geheimen Befehle weitergeleitet, hier trafen die Berichte von der Front ein. Wünsdorf war der Hauptsitz des Oberkommandos der Wehrmacht.
"Guten Morgen, kann man Sie helfen?
Führung morgen auch?
Morgen auch – 12, 14, 16 Uhr.
Anmelden?
Nein, einfach vorbeikommen.
Wie lange?
Anderthalb Stunden.
Das ist günstig, weil wir nämlich anschließend zum Griechen wollen.
Ja, ist mir auch lieber, wenn Sie nach der Bunkerführung beim Griechen essen.
Weil Sie so viel Ouzo trinken und hinterher die Treppen runterfallen im Bunker.
Ich war doch schon vor zwölf Jahren bei Ihnen.
Da sind Sie auch zwölf Jahre älter geworden. Schaffen Sie die Treppen überhaupt noch?"
Werner Borchert. Er ist Geschäftsführer der Bücherstadt-Tourismus GmbH in Wünsdorf.
"Unsere Bücherstadt wurde im Zuge der Konversion gegründet am 12. September 1998, weil man der Meinung war nach fast 100 Jahren Militär – "Buch" ist was Friedliches, das siedeln wir hier an. Ich sage mal, die Leute, die die Idee hatten, kannten "Mein Kampf" nicht, das ist ja auch ein Buch und nicht sehr friedlich. Aber egal. "
Werner Borchert verkauft nicht nur Bücher. Er führt auch durch Bunker. Seine Gäste kommen von überall her. Niederlande, Dänemark, Russland, aus ganz Europa. Selbst aus Australien hat sich schon jemand angemeldet.

Ingenieurskunst im Dienst der Zerstörung

"Ich muss Ihnen auch ehrlich sagen: Bei unseren Bunkerführungen – das Ganze ist ja auch in zweieinhalb Jahren gebaut worden. Da geht natürlich immer die Bewunderung für diese Ingenieurskunst. Aber ich sage den Leuten immer: Meine Bewunderung hält sich wirklich in Grenzen, weil immer wieder alles für diesen scheiß Krieg. Das muss man immer im Hinterkopf haben."
Ingenieurskunst im Dienst der Zerstörung. Die Bunkeranlage als Mahnmal.
"Andere werfen uns natürlich vor, dass wir hier mit Wehrmachts- und Heeresanlagen Geld verdienen. Aber unsere Botschaft ist wirklich: Beton als Mahnmal dafür, dass das nicht nochmal passiert. Wir legen unsere Führungen auch unterschiedlich an. Wenn unsere Schüler kommen, dann sind wir ein wenig didaktischer. Für das Erwachsenenpublikum machen wir natürlich weitgehend objektive Führungen mit Fakten."
Die Bunker waren getarnt – als biedere, kleine Häuser mit klingendem Namen: Maybach.
"Hier im Umfeld ist der Begriff entstanden: Dort entsteht eine Maybach-Siedlung. Das klingt ja unerhört friedfertig. Aber dass da Häuser entstanden sind, die da letztlich 50 Millionen Menschen das Leben gekostet haben, das war hier nicht so verbreitet. Also, man hat sich immer relativ clever mit dem Militär hier arrangiert. Das war einfach so."
Die Bunkeranlage: Eine Treppe führt nach unten, 14 Meter unter die Erde. Die Temperatur beträgt 10 Grad. Die Schritte hallen. Früher waren hier hunderte Menschen, die ihrer Arbeit nachgingen – den Funkverkehr zu allen deutschen Frontabschnitten herstellen.
"Direkt vor uns - von da, nach da – drei Meter Stahlbeton. Die Bunkerdecke aus deutscher Zeit. Das große Loch von den Sowjets. Aber diese drei Meter Stahlbeton - damals nannte man das noch Eisenbeton - ist ja noch nicht komplett die deutsche Decke. Nochmal zur Einordnung: Wir stehen mit unseren Füßen immer noch 14 Meter unter der Erde. Über diesen drei Metern im Zweiten Weltkrieg, noch mal zwei Meter Sand als Dämmschicht. Darüber nochmal ein Meter dick wieder eine Stahlbetonplatte als Zerschellschicht, wo die Bombe, wenn sie gefallen wäre, detonieren, zerschellen sollte. Und darüber nochmal vier bis neun Meter Erdabdeckung."
Die Ingenieurskunst, die Stahlbetonbunker, die moderne Kommunikation - es hat alles nichts genutzt: Deutschland musste kapitulieren. Die Nazis verließen fluchtartig ihr Oberkommando.

Letzter Wehrmachtsbericht

20:03 Uhr. Das Oberkommando der Wehrmacht gibt bekannt: Die Wehrmacht hat auf Befehl des Großadmirals den aussichtslos gewordenen Kampf eingestellt. …Die deutsche Wehrmacht ist am Ende einer gewaltigen Übermacht ehrenvoll unterlegen. Wir brachten den Wortlaut des letzten Wehrmachtberichtes dieses Krieges. Es tritt eine Funkstille von drei Minuten ein.
Die Rote Armee besetzte Wünsdorf mit all seinen Militäranlagen. Die vier Alliierten hatten beschlossen, die Bunker zu sprengen. Die entsprechenden Versuche der sowjetischen Armee scheiterten jedoch. Später richtete sie dort die Nachrichtenzentrale Ranet ein. Sie diente dazu, Verbindungen zu allen Standorten der Roten Armee im Einflussbereich der Sowjetunion zu unterhalten.
"Wir verlassen jetzt den dreitagigen Teil von Ranet zu sowjetischer Zeit. Dieser ABC-Sicherheitstrakt der Sowjets. Unter wenn wir diesen Teil des Bunkers verlassen, müssen wir auch wieder durch ein Schleussensystem der Sowjets."
Eine Puppe ohne Beine liegt neben einem Schild mit kyrillischer Schrift auf einem Fensterbrett.
Erinnerungen an das Oberkommando der sowjetischen Streitkräfte.© Philipp Buder/Thomas Klug
Ein paar hundert Meter vom Bunker entfernt– die Anlage mit dem Haus der Offiziere. Ein überlebensgroßer Lenin steht davor. Das Oberkommando der sowjetischen Besatzungsarmee in der DDR in Wünsdorf besteht aus alten Gebäuden. Ein Exerzierhaus, ein Offizierskasino mit Dachterrasse, vereinzelte Wohnhäuser. Ein Schwimmbad. Ein Kino. Ein Theater. Eine Sauna. Die einfachen Soldaten konnten sich hier nicht frei bewegen. Für sie gab es Mannschaftsschlafsäle. Wenigstens 30 Soldaten mussten sich einen Schlafsaal teilen. Gleich gegenüber die Sanitärräume: Zwei Reihen mit jeweils sechs Waschbecken. Die Bedingungen für die Soldaten sollen in Wünsdorf die besten gewesen sein, die besten unter den anderen sowjetischen Garnisonen in der DDR. Und besser als die Kasernen in der Sowjetunion sowieso. Von dem, was im geheimen Teil von Wünsdorf geschah, drang wenig nach außen. Der Militärhistoriker und ehemalige NVA-Offizier Hans-Albert Hoffmann:

Oberkommando der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland

"Es wurden ja auch Baumaßnahmen durchgeführt, wenn ein neues Telefonkabel gelegt wurde von der Post, dann stand dabei immer ein sowjetischer Posten neben den Arbeitenden, damit die ja nicht da eventuell zehn Meter nach links oder nach rechts gehen, um da eine zu rauchen."
Wünsdorf wurde zum Oberkommando der Gruppe der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland – und verwaltete 500 000 sowjetische Soldaten in der DDR. Es war die größte Garnison außerhalb der Sowjetunion - in Spitzenzeiten lebten hier bis zu 70 000 Offiziere mit ihren Familien, Soldaten und Zivilangestellte. Für die DDR-Bürger war Wünsdorf ein verbotener Ort, aber nicht für alle:
"Ich bin ja aufgewachsen mit dem Einmarsch der Roten Armee und bin so erzogen: "Stalin hat jeden Morgen ein kleines Kind gegessen". Deswegen war das auch immer ein bisschen gräulich mit denen."
Bernd Klauck ist Fleischermeister im Ruhestand, Jahrgang 1938.
"Mein Vater kam aus russischer Kriegsgefangenschaft wieder, mit abgefrorenen Zehengliedern, schwer beschädigt und hat hier nach dem Krieg Gurkeneinlegerei und Sauerkohl gemacht. Und das sind viele von der Roten Armee gekommen. Da waren so die ersten Kontakte. Dann habe ich hier die Fleischerei ausgebaut. Wir haben hier geschlachtet."
Fleischermeister Klauck hatte Zugang zur Verbotenen Stadt – sein Beruf machte ihn interessant für die hohen Offiziere. Und manchmal wurden auch Soldaten abkommandiert, um ihm zu helfen. "Kleiner Grenzverkehr" nannten die Wünsdorfer den Austausch von Waren und Dienstleistungen, der nicht immer offiziell war.
"Die Soldaten haben sie doch ganz kurzgehalten. Die durften nicht trinken. Ich hatte hier immer welche gehabt zum Helfen, habe hier ja ein großes Grundstück. Essen war ja sowieso klar und trinken. Dann haben sie gar nichts vertragen. Dann sind sie nicht mehr gekommen. Das darfst du nicht machen, das hast du verkehrt gemacht, hast ihnen Alkohol gegeben. (…) Kontakte wurden immer unterbrochen. Ich habe viel mit Soldaten gesprochen. Wenn wir mal Knochen übrighatten, sind die schon gekommen mit dem Kochgeschirr und haben sich da selber was gekocht."
1994 zogen die sowjetischen Soldaten aus Deutschland ab.

Nur wenige der ehemaligen Militärangehörigen sind geblieben

"Die Stimmung war eher so, dass viele Zossener, Wünsdorfer, staunend zugeguckt haben, was die alles mit nach Hause geschleppt haben, und wie viele Sachen in den Zügen - Wünsdorf war ja auch der Anfangspunkt für den Zug."
Die Bürgermeisterin:
"…dann weggeschleppt wurden. Und was man da alles so reingekriegt hat und was dann über Sperenberg mit den großen, fetten Militärflugzeugen so alles außer Landes geschafft wurde....Da schwang aber auch immer so ein bisschen mit: Wie immer sie daran gekommen sind, wir gönnen es ihnen, nehmt es mit, ihr habt ja echt kaum was zu Hause. Es war auch ein bisschen mit dem Blick wie dann nach Hause kommen und dann nichts vorfinden... Es war eher so, die armen Schweine, die kleinen Soldaten, die es hier wahrscheinlich besser hatten, auch wenn sie kaum rausdurften aus der Einrichtung, als dann zu Hause."
Die Armee ist verschwunden. Nur wenige der ehemaligen Militärangehörigen sind geblieben.
"In Wünsdorf, Russen es gibt ganz kleine Prozent, weil eine gefahren nach West damals Arbeit zu suchen und andere fahren nach Heimat, weil mit Ingenieur-Diplom oder mit Lehrer oder mit Arzt, Leuten möchten nicht putzen Straßen oder waschen Geschirr und ich finde, das ist sehr klug und sehr richtig. Wenn Heimat ruft, dann muss man fahren nach Heimat."
Pawelas Erbach stammt aus Litauen. Er leistete seinen Wehrdienst in der Sowjetarmee ab – aber nicht in Wünsdorf. Dorthin kam er erst nach dem Abzug der Roten Armee. In Litauen war er Lehrer, in Wünsdorf führt er ein Teegeschäft.
"Ehrlich zu sagen, das ist, äh, diesen Einwohner, das ist, leider, nicht so viel Prozent kommen in Laden, weil Sozialwohnung ganz viel und Leute mit soziale Sachen, da ist Brot natürlich wichtiger, steht auf dem erste Plan. Tee, wie gesagt, steht auf dem zweite Plan."

Bis heute locken die Militärspuren Touristen an

Das verlassene Haus der Offiziere. Drinnen sind von allem nur Reste: Reste der Tapeten an der Wand. Reste von alten Zeitungen, die an den Wänden kleben. Reste von heroischen Wandgemälden. Nur von der Macht, die einst hier ausgeübt wurde, ist nichts mehr da. Wünsdorf ist Vergangenheit. Die Vergangenheit verwittert. Die Zukunft ist ungewiss.
"Es gab schon zig Ideen: Sportzentrum und Nobelhotel. Hat sich alles zerschlagen. Auf der anderen Seite, egoistisch gesagt, gerade für unsere Touristen aus den westeuropäischen Ländern, erzählt natürlich dieser marode Charme, die verfallenen Gebäude, erzählt ja wesentlich mehr Geschichte, als wenn da Hochglanzfassaden von einem Hotel zu sehen wären. Das hat schon was für unsere Ambitionen. Auf der anderen Seite ist es schade, dass diese Bausubstanz 100 Jahre, 1916 in Dienst gestellt, dass das immer mehr verfällt."
Sagt Werner Borchert, der Geschäftsführer der Bücherstadt Tourismus-GmbH. Die Bürgermeisterin Michaela Schreiber glaubt, dass sich bestimmt noch ein Investor finden wird. Bloß der Denkmalschutz....
"Aber, ich halte gar nichts davon, wenn man auf der Sanierung von alten Holzfenstern, die eh schon im Arsch sind, besteht und meint, aus Denkmalschutzgründen müssen die wiederaufgebaut werden, anstatt einfach neue Holzfenster da reinzusetzen mit der gleichen Struktur. Und wenn ich dadurch dann eine wirtschaftliche Entwicklung verhindere, habe ich dafür kein Verständnis."
Wünsdorf lebte fast 100 Jahre gut vom Militär. Dessen Spuren locken bis heute Touristen an. Ohne Militär beeinflusst Wünsdorf nicht mehr die Weltgeschichte. Die Weltgeschichte wird es Wünsdorf danken.
Nichts zu danken, bleiben Sie gesund! Meine schwäbische Dialekt manchmal schwer.
Lachen.
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